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DOMINIC
Ich habe das Gefühl, dass ich sterbe, aber leider täusche ich mich. Mein Herz rast, mein Hals ist wie zugeschnürt, als würde ich jeden Moment ersticken und meine Hände zittern wie verrückt. Ich weiß, dass es bald aufhören wird, aber das macht es in diesem Moment nicht weniger schlimm.
Ich brauche ein bisschen Schmerz.
Ich haste die Straße lang, biege ab und gehe den Weg zurück zu meiner Wohnung, ehe ich kurz hinter dem Haus verschwinde. Chase und Jackson sind noch da und ich kann ihnen so nicht gegenübertreten. Niemand darf mich so sehen. Meine Gedanken rasen und meine Hände verkrampfen sich. Wut rauscht noch immer durch meine Adern, meine Finger zucken und ich stelle mir vor, wie sie sich um seinen Hals legen. Eines Tages werde ich den Bastard umbringen. Eigentlich wäre das sogar lustig. Dann hätte ich beide auf dem Gewissen.
Ich lehne mich keuchend gegen die kühle Steinwand und versuche, meinen Atem zu beruhigen, aber die Luft bleibt mir im Hals stecken und kommt nicht durch. Hektisch krame ich nach meinem Feuerzeug, das ich immer in meiner Hosentasche habe und zünde mir eine Zigarette an. Sie zittert in meinen Händen und ich erlange einen Hauch von Kontrolle zurück, als der Rauch in meine Lunge strömt. Ich rauche die Zigarette so schnell wie möglich zu Ende, lasse sogar noch ein bisschen Tabak übrig, weil ich nicht länger warten kann, ehe ich mein Shirt ein Stück hochziehe und die glühende Spitze in meine Haut drücke.
Der Schmerz nimmt mir für einen Moment die Luft, ehe ich erleichtert aufatme. Ich nehme die Zigarette wieder weg, und drücke meine Hand in die frische Verletzung, bis ich wieder atmen kann. Langsam bekomme ich wieder Luft, meine Lunge pfeift nicht mehr so stark und ich lasse den Kopf in den Nacken sinken. Die Brandwunde pulsiert vor Schmerz und ich konzentriere mich darauf, nicht auf die Worte, die in meinem Kopf herumschwirren.
Ich bin süchtig nach diesem Schmerz, denn es ist das Einzige, was funktioniert. Nichts anderes kann die Panik stoppen.
Und ich weiß, dass ich aufhören sollte, ich will ja. Jedes Mal nehme ich mir aufs Neue vor, einen anderen Weg zu finden, der meinen Körper nicht für die Ewigkeit verunstaltet, aber ich schaffe es nicht. Ich habe schon alles ausprobiert. Und immer, wenn ich eine neue Idee habe, kommt wieder Hoffnung in mir auf. Aber diese Hoffnung wird wieder zerquetscht, bis nichts mehr übrig ist. Jedes verdammte Mal. Nichts hilft. Ich bin mir selbst ausgeliefert.
Und es wird wieder schlimmer, ich spüre es. Ich habe meine Tabletten genommen, ich habe keine einzige vergessen und trotzdem merke ich, wie ich mit jedem Tag mehr die Kontrolle verliere. Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Mein Leben entgleitet mir. Ich brauche Hilfe, das ist mir klar, aber ich kann mir keine holen. Ich muss das hier alleine hinkriegen, ich kann mich niemandem anvertrauen. Alles was ich tun kann, ist meine Tabletten zu nehmen und zu hoffen.
Ich ziehe mein Shirt hoch und begutachte die Verletzung. Neben der Wunde sind alte Narben, manche so alt, dass ich sie nicht mal selbst verursacht habe. Manche sind kaum noch zu sehen, andere sind noch gerötet. Ich presse den Kiefer zusammen und verdecke meinen Körper wieder mit dem Stoff. Der schlimmste Teil sind die Schuldgefühle, wenn ich langsam von der Panik und dem kurzen Schmerz-High herunterkomme. Ich bin nicht stolz darauf, was ich hier mache. Im Gegenteil. Es ist peinlich, dass ich nicht anders mit meinem Kopf umgehen kann. Dass ich zu solchen Maßnahmen greife, weil ich so verzweifelt bin. Es ist armselig. Jämmerlich. Und ich schwöre mir, dass es niemals jemand erfahren wird.
Als Leah vor ein paar Tagen ins Badezimmer gekommen ist, hatte ich einen kleinen Herzinfarkt. Sie hat die Narben gesehen, da bin ich mir sicher. Ob sie sie zuordnen kann, weiß nicht nicht. Hoffentlich war sie einfach abgelenkt von meinen Muskeln.
Manchmal, wenn ich Panik bekomme, mir vor Augen halte, dass ich für immer so aussehen werde und dass es immer mehr Narben werden, lege ich ein Seil oder irgendein Gitarrenkabel was gerade in der Nähe ist um meinen Hals und ziehe zu. Im Notfall hält auch die Kette her, die ich trage. Das hinterlässt zwar auch Spuren, aber keine ewigen. Denn genau das ist es, was ich brauche. Dieser kurze Moment, in dem es nicht die Panik ist, die mir die Luft zum Atmen nimmt, sondern ich selbst. Der Schmerz, den ich mir zufüge, ist der einzige Weg, die Kontrolle zurückzuerlangen.
Wenn ich irgendwann tot am Boden liege, dann nicht, weil jemand anderes daran schuld ist. Ich werde es selbst tun und ich werde Spaß daran haben, mich zu zerreißen, bis meine Existenz ausgelöscht und nichts mehr von mir übrig ist.
Ich sollte zum Haus zurückgehen und mir Gedanken darüber machen, wie ich an neues Geld komme. Ich sollte mich in ein paar Kämpfe im Ring eintragen und mit dem Captain sprechen, wann ich seine Autos für ihn fahren soll. Vielleicht sollte ich sogar einen neuen Überfall planen.
Denn er macht Druck und ich weiß, dass er mich ausnutzt. Nie im Leben braucht er so viel Geld, um die Rechnungen zu zahlen. Wahrscheinlich finanziere ich seine Drogensucht. Aber er hat mich vollkommen in seiner Gewalt, denn ich würde sogar meine E-Gitarre verkaufen, wenn es notwendig wäre. Aber das ist mein letzter Strohhalm, denn damit wäre meine Musikkarriere und damit auch meine langfristige Einnahmequelle endgültig vorbei.
Ein neuer Schub Panik überkommt mich bei all den Gedanken, doch ich dränge ihn zurück. Ich sollte wirklich zum Haus gehen und einen neuen Plan machen. Doch mein ganzer Körper zittert immer noch und ich will mich noch nicht Chase und Jackson stellen. Ich habe Angst, dass man mir ansehen kann, was in mir vorgeht, obwohl mein Gesicht so kalt und unlesbar ist wie immer. Und außerdem bin ich so geladen, dass ich nicht weiß, was ich sagen würde. Ich lasse meinen Zorn oft genug an Menschen aus, die ihn nicht verdient haben und das ist das schlimmste Gefühl. Ich kann noch nicht zurück. Zwar wissen die beiden grob von meinem Geldproblem und meinen... allgemeinen Problem, aber sie haben keine weiteren Details. Und das soll auch so bleiben.
Ich setze mich wieder in Bewegung, fahre mir über das Gesicht und durch meine schwarzen Haare. Aber statt zurück in die Garage zu gehen, hole ich mein Motorrad und tippe schnell eine Nachricht an den Captain, dann an Leah.
Heute ist kein Abschreckungsmanöver eingeplant, aber ich schreibe ihr trotzdem. Ich weiß nicht warum, aber irgendetwas drängt mich. Vielleicht ist es ihre Positivität, die ich gerade brauche. Ich muss den Kopf freikriegen.
Angespannt tippe ich auf meinem Bein herum und warte darauf, dass sie antwortet. Hoffentlich.
Ich weiß nicht, warum ich sie überhaupt sehen will. Eigentlich sollte ich mich jedes Mal darüber freuen, wenn sie aus der Tür tritt und nach Hause geht. Aber wenn sie mich nervt, bin ich wenigstens für einen Moment abgelenkt. Und das brauche ich.
Plötzlich wird mein Gesicht heiß und ich schüttele den Kopf. Ich bin so verdammt peinlich, was mache ich hier überhaupt? Ich starre auf mein Handy und warte auf die Nachricht eines Mädchens, als hinge mein Leben davon ab.
Und die Sache wird noch schlimmer, als ich tatsächlich erleichtert ausatme, als sie mir antwortet. Junge.
Ich zögere keine Sekunde und fahre los.
Als ich ihre blonden Haare wenig später erblicke kann ich auf einmal wieder besser Luft holen. Sie sitzt auf einer Bank, die Beine elegant überschlagen und liest ein Buch. Sie sieht aus wie der Hauptcharakter in einem Film mit ihrem perfekten Outfit, den perfekten Haaren und aus irgendeinem Grund sieht sogar ihr Buch ästhetisch aus. Sie schaut auf als sie das Geräusch meines Motorrads hört und lächelt freundlich, während ich neben ihr halte und ihr sofort den Helm gebe.
Ich verstehe nicht, warum sie sich freut mich zu sehen, aber ich hinterfrage sie nicht weiter. Wir hatten zwar gerade eben erst Bandprobe und ich wundere mich, warum sie noch nicht zuhause ist, aber sie meinte, sie war noch bei der Bibliothek.
„Wohin geht's?" fragt sie interessiert, während sie hinter mich klettert und ihre Arme um mich legt. Mein Herz klopft schneller und gleichzeitig werde ich ein wenig ruhiger. Sie ist so warm und zart und obwohl sich mein Puls beschleunigt, fällt mir das Atmen plötzlich leichter. Ich nehme den feinen, blumigen Duft ihres Parfums wahr und atme unbewusst ein wenig tiefer ein. Sie fühlt sich so seltsam vertraut an und irgendwie beruhigt es mich ein wenig. Beinahe genieße ich das Gefühl ihrer Arme um meinen Körper.
Ich starte den Motor, während sie ihren Griff um mich verstärkt und ich beiße die Zähne zusammen, als sie die Verbrennung über dem Stoff berührt. Dann gebe ich ihr einen kleinen Klaps auf den Oberschenkel.
„Wir fahren zu einem alten Bekannten."
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ANTITHESIS
RomanceAls Leahs langersehnter Traum Musik zu studieren, plötzlich zu platzen droht, ist sie gezwungen, sich ihrem Rivalen zu stellen. Dominic Ashford, der Leadsänger der Rockband "The Bandits". Unfreundlich, einschüchternd und gefährlich sind Worte, die i...