kapitel 34 - dominic

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DOMINIC

Ich kann die Momente in meinem Leben, in denen ich wahre Angst empfunden habe, an einer Hand abzählen. Nach den Dingen, die mir passiert sind, bin ich so abgestumpft, dass mich nichts mehr aus der Ruhe bringt. Ich habe meinen Lebenswillen verloren. Und um ehrlich zu sein, bin ich mir nicht sicher, ob ich jemals einen hatte. Mein ganzes Leben lang hatte ich diese stille Gewissheit, dass ich früh sterben werde. Doch nach einer Weile habe ich mich so daran gewöhnt, dass ich Trost in dem Gedanken gefunden habe. Manchmal kann ich es kaum erwarten.

Doch der plötzliche Anruf verpasst mir eine Erinnerung daran, wie Furcht sich anfühlt. Ich verstehe kaum, was sie sagt, sie klingt so aufgewühlt, ihre Stimme bricht, ihr Atem geht keuchend. Zum Glück sind Chase und Jackson gerade bei mir und es dauert nur eine halbe Minute, bis wir auf unseren Motorrädern sind und losfahren.

Ich habe keine Ahnung, was los ist, aber mein Herz rast und meine Hände zittern. Irgendetwas schreckliches ist passiert. Wir brechen sämtliche Geschwindigkeitsbegrenzungen und ich parke so nah wie möglich an ihrem Haus. Chase und Jackson tragen ihre Sturmmasken, ich hatte keine Zeit mehr. Ihr Licht brennt und ich bin froh, dass ich einmal länger gewartet habe, bis sie in ihrem Haus verschwunden ist, um zu beobachten, wo ihr Zimmer ist. Auch wenn ich mich damals wie ein gruseliger Stalker gefühlt habe.

Ich muss sie da rausholen, egal wie. Ich muss sie sehen, muss wissen, was los ist. Ich muss sehen, dass es ihr gut geht. Dass sie unversehrt ist. Ohne zu zögern, fange ich an zu klettern. Glücklicherweise bin ich relativ erfahren im Einbrechen, kann die kleinen Vorsprünge an den Fenstern und Wänden ausmachen, an denen ich halt finde. Ich ziehe mich am Fenstersims hoch und klopfe an die Scheibe, woraufhin sich das Fenster mühsam öffnet. Sofort steige ich ein und als ich sie erblicke, erstarre ich.

Das Fenster zu öffnen hat all ihre Kraft beansprucht, sie ist zu Boden gesunken und mein Gehirn braucht eine Sekunde, um den Anblick einzuordnen, der sich mir bietet.

Sie sitzt zusammengesackt auf dem Boden, angelehnt an die Wand. Ihre blonden Haare sind blutverschmiert, rote Flecken sind überall auf dem Boden. Sie atmet flach, kann die Augen kaum offen halten, überall sind Scherben und sie schaut mich für einen Moment an, ehe sie in Tränen ausbricht.

„Leah, oh fuck, Leah!" Ich bin auf den Knien und greife sofort nach ihr. „Was ist mir dir passiert? Wer war das?" bringe ich hervor. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Plötzlich höre ich, wie sich jemand an der Tür zu schaffen macht. Ihre Augen weiten sich panisch und sie beginnt, hysterisch zu schluchzen, versucht näher zu mir zu kommen.

„Dom... Ich-" presst sie hervor und ich ziehe sie sofort in meine Arme, während ich realisiere, was passiert ist. Ihr Körper ist so fragil, ich habe Angst, sie zu zerbrechen, aber ich halte sie fest und sicher.

„Alles ist gut, Smarty, ich bin da. Ich hole dich hier raus. Wir sind alle da und wir helfen dir." Sage ich schnell, streiche fahrig über ihre Haare, um sie zu beruhigen, ehe ich sie vorsichtig greife und hochhebe. Sie stöhnt auf vor Schmerz und es zerreißt mich beinahe.

„Tut mir leid, gleich hört es auf. Halt durch." Keuche ich, während ich unbewusst über ihren Arm streiche und ihr einen schnellen Kuss auf den Kopf gebe.

Im selben Moment stemmt sich Chase auf das Fenstersims und klettert in den Raum. Als er sie sieht klappt seine Kinnlade herunter. Ich habe noch nie so etwas wie Überraschung oder Schock in seinem sonst so stoischen Gesicht gesehen. Wir tauschen einen schnellen Blick aus.

„Fuck." Flüstert er. Das kann man so sagen.

„Wir brauchen ein Seil." Entgegne ich hastig, während das Knarren und Klopfen an der Tür immer lauter wird. Wir haben keine Zeit mehr.

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