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Aurora war es, die mich bereits um fünf Uhr aus den Federn warf. Sie klopfte laut und trat keine zwei Sekunden später direkt ein. Senna hob verschlafen den Kopf und blinzelte sie verwirrt an und Kira rührte sich unruhig um Schlaf.

„Schlaft ruhig weiter, die Damen, und entschuldigt die Störung. Kaia, würdest du ein Stück mit mir gehen?", wandte sie sich an mich. Wüsste ich nicht, dass mindestens Senna alles mithörte, hätte ich sie gefragt, ob sie einen Schatten hat. In den letzten vier Tagen hatte sie exakt zweimal mit mir gesprochen – einmal bei meiner Ankunft und dann nochmal beim Mittagessen des darauffolgenden Tages, und beide Gespräche waren maximal zehn Minuten lang gewesen. Warum um alles in der Welt hielt sie es nun also für nötig, mich dermaßen früh für ein drittes Gespräch zu wecken?

Doch da ich das nicht vor Senna herauslassen wollte, stand ich wortlos auf und suchte mir im Halbdunkeln eine einfache, schwarze Jeans und einen schwarzen Strickpullover heraus. Da Aurora keine Anstalten machte, draußen zu warten oder sich wenigstens umzudrehen, sah ich sie auffordernd an und hielt meine Kleidung hoch.

Sie verstand den Wink und richtete ihren Blick auf die vielen Bilder, die über Kiras Schreibtisch an der Wand pinnten. Das musste mir wohl genügen, also schluckte ich mein Seufzen runter und zog mich um. Nachdem ich auch noch schnell meine Haare durchgebürstet hatte, nickte ich Aurora zu.

Sie geleitete mich zur Tür hinaus und hinauf in den Turm der Mentoren. Sie hatten dort auch eine Art Gemeinschaftraum, und natürlich einzelne Zimmer und Waschräume.

Ich wurde ungeduldig, zwang mich aber abzuwarten, bis wir auf den breiten, braunen Ledersesseln vor dem Karmin des Gemeinschaftsraums Platz genommen hatten, bevor ich fragte: „Was ist so wichtig, dass du mich um diese Uhrzeit herholst?"

„Du bist meine Tochter und ich möchte eine Bindung zu dir aufbauen", antwortete sie, als wäre das selbstverständlich. Ich allerdings meinte mich verhört zu haben.

„Um fünf Uhr morgens, nachdem du meine Anwesenheit vier Tage lang praktisch ignoriert hast? Das ist doch wohl ein schlechter Scherz", sagte ich trocken und starrte sie an.

Sie schloss kurz ihre seeblauen Augen und rieb sich die Nasenwurzel. Ich betrachtete sie etwas genauer, als mir auffiel, dass ihre wilden Locken in alle Richtungen abstanden, als hätte sie kürzlich in eine Steckdose gefasst. In den letzten Tagen waren sie zwar nicht weniger voluminös, aber deutlich ordentlicher gebändigt gewesen.

„Was willst du wirklich?", forderte ich sie auf, endlich Klartext zu sprechen.

„In Ordnung. Gib mir eine Sekunde, um mich etwas zu ordnen", seufzte sie.

Ich schwieg und wartete. Und wartete. Und wartete.

Es dauerte deutlich länger als eine Sekunde, bis sie sich endlich bereit fühlte, zu sprechen, und selbst dann sprach sie langsam, vorsichtig, als hätte sie Angst, dass ich jeden Moment aufspringen und weglaufen könnte. „Ich hatte gehofft, dir einige Dinge erst weitaus später nahelegen zu müssen, allerdings scheint es, dass es für dich hier gefährlich werden könnte, unwissend zu bleiben. Zum Beispiel bei unserer wichtigsten Regel, bei Nacht auf dem Zimmer zu bleiben..."

„Außer man wird aus dem Bett geworfen, um frühmorgendliche Gespräche zu führen?", hakte ich sarkastisch nach. „Es ist auch jetzt noch dunkel."

„Mit einer Mentorin an deiner Seite ist das etwas ganz anderes", erwiderte sie verärgert, atmete tief durch und fuhr ruhiger fort. „Hör mir bitte zu und beherzige meine Worte. Dies ist keine 0815 Akademie und es gibt einige Studenten hier, die dir weitaus weniger freundlich gesinnt sein werden als deine Mitbewohnerinnen. In der Nacht unterwegs zu sein, ganz besonders alleine, kann sehr gefährlich für dich werden."

Chained AshesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt