Sie nahm ihn und betrachtete ihn. „Ich fühle keine Magie."
Kira und Senna sahen sich den Spiegel ebenfalls genauer an und schüttelten dann den Kopf. Sie konnten auch nichts fühlen.
„Warum liegt hier ein normaler Spiegel herum?", beschwerte Colton sich.
„Es wird schon seine Gründe haben. Ich weiß selbst nur sehr wenig über diesen Raum und was hier alles zu finden ist. Sucht ihr weiter. Ich versuche, herauszufinden, ob es vielleicht doch das Tagebuch ist", antwortete Aurora.
Wir nickten und machten uns zurück ans Werk.
Etwa eine Stunde später trafen wir uns an der vorderen Wand. Wir hatten nichts weiter gefunden und Aurora hatte in der Zwischenzeit auch kein mystisches Allwissen von dem Handspiegel erlangt. Ich war der Verzweiflung nahe. Wenn dieses verdammte Tagebuch nicht hier war, hatten wir keinen Anhaltspunkt mehr.
Ich betrachtete das größte Portrait des Raumes, das mittig an der hinteren Wand platziert war. Der Beschriftung nach zeigte es Nielus Tezen. Zum Zeitpunkt des Portraits war er noch recht jung gewesen, ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Bis auf die kleinen Hörner, die auf seinen Schläfen saßen, war er ein eher unscheinbarer Mann – er hatte ein spitzes Kinn, schulterlange, braune Haare, dunkle Augen. Seine außerordentlich schmalen Schultern ließen auf einen hageren Körperbau schließen.
Senna blieb neben mir stehen. „Es tut mir leid, Kaia..."
„Mir auch", gab ich leise zurück. Ich wusste, dass es ihr ebenso wichtig gewesen war. Sie hatte genauso große Hoffnung auf das Tagebuch gesetzt wie ich, wenn auch aus anderen Gründen.
Kira gesellte sich zu uns und sah uns eindringlich an. „Lasst uns zurück aufs Zimmer gehen. Ich denke nicht, dass wir hier noch etwas finden."
Senna und ich starrten sie an. Irgendetwas in ihrem Blick ließ mich aufhorchen. Hatte sie etwa doch etwas gefunden? Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als würde sie meine Gedanken bestätigen. Sennas Blick hellte sich ein wenig auf.
Ich wurde sofort kribbelig und musste mich beherrschen, damit die Brüder mir meine neue Hoffnung nicht ansahen, als wir uns zu ihnen umdrehten. „Kira hat Recht. Das hier war verschwendete Zeit", sagte Senna und beeindruckte mich mit der überzeugenden Bitterkeit in ihrer Stimme. Ich kaufte es ihr hundertprozentig ab.
Aurora legte mir zaghaft eine Hand auf die Schulter. „Ich hatte sehr gehofft, dass die Legende wahr ist. Aber ich verspreche dir, dass wir Lysander auch so finden."
„Deine Hilfe hierbei bedeutet mir viel", sagte ich und lächelte sie an. Es war nicht gelogen. Ich wusste, dass sie mit dieser Aktion einiges aufs Spiel setzte und doch hatte sie nicht einen Herzschlag lang gezögert, mir ihre Unterstützung zuzusichern.
Ich drückte ihre Hand, bevor ich in die Runde nickte. „Lasst uns gehen."
Es herrschte bedrücktes Schweigen auf unserem Weg zu den Zimmern. Aurora wollte erst uns zurück zum Zimmer begleiten und dann die Brüder zu ihrem. Sie erinnerte uns daran, dass Übernachtungen in fremden Zimmern nicht gerne gesehen waren. Es klang nicht wie eine ernstgemeinte Warnung. Wahrscheinlich war sie als Mentorin einfach dazu verpflichtet, uns dahingehend dazu anzuhalten.
Wir begegneten wieder niemandem. Vor unserem Zimmer schloss mich Sylas zum Abschied fest in die Arme und murmelte mir eine Entschuldigung ins Ohr. „Ich weiß, wie sehr du das wolltest... aber wir finden einen anderen Weg, deinen Vater zu finden. Ich helfe dir, wo ich kann. Gib nicht auf, okay?"
Aurora drängte zur Eile. „Wir haben kurz vor eins. Um Viertel nach ist der nächste Kurswechsel. Ihr könnt morgen in Ruhe weiterreden."
Wir nickten einander zu, bevor Senna, Kira, Chestnut und ich in unser Zimmer verschwanden. Chestnut ging sofort zu seinem Korb und ließ sich grunzend nieder, während Senna und ich uns erwartungsvoll zu Kira umdrehten.
DU LIEST GERADE
Chained Ashes
FantasyAls Kaias Vater spurlos verschwindet, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Seine Spuren führen sie an einen Ort, an dem sie ganz offensichtlich nicht erwünscht ist und schnell wird ihr klar, dass sie eine Zielscheibe auf dem Rücken trägt. Denn sie...