„Fleischfressende Bäume?"
Er nickte. „Ich bin mächtig, wahrscheinlich eins der mächtigsten Geschöpfe, denen du je begegnen wirst, aber es gibt dort Dinge, vor denen auch ich dich nicht beschützen kann. Also bleib nah bei mir und mach nichts, dessen du dir nicht absolut sicher bist."
Ich zog den Kopf ein und nickte, auch wenn ich schon vor seiner Geschichte nicht vorgehabt hatte, dort allein auf Wanderschaft zu gehen. So viel hatte ich mittlerweile dazugelernt. „Lass mich bloß nicht allein", sagte ich kleinlaut.
„Würde mir im Traum nicht einfallen. Jedes Mal, wenn ich dich aus den Augen lasse, stehst du bedenklich kurz vorm Ableben", schnaubte er mit einer Spur Schalk in der Stimme, den ich jedoch nicht ganz nachfühlen konnte. Denn er hatte recht.
„Wie mächtig bist du?", hängte ich mich an seinen vorigen Worten auf, die mir ein wenig im Hinterkopf nachhallten. Ich hatte bereits viel gesehen in den letzten Wochen, und doch musste ich mir eingestehen, dass ich immer noch keine wirkliche Vorstellung von den Kräften hatte, die er besaß. In welchem Ausmaß von ‚mächtig' sprachen wir hier? Und wozu war die mächtigste Kreatur der Welten dann imstande?
Sylas studierte meine Mimik genau, während er nur sehr bedacht seine nächsten Worte aussprach: „Mächtig genug, um die Individuen der meisten Spezies mit einem Fingerschnippen auszulöschen."
Mir bleib ein wenig die Luft weg. Ich rang damit, es mir nicht anmerken zu lassen, und sah ihn stattdessen fragend an. Wir hatten bisher nicht viele Möglichkeiten gehabt, über seine Fähigkeiten zu sprechen, obwohl ich dieses Thema eigentlich unfassbar interessant fand. Wann hatte man schon einmal die Chance, den Thronfolger einer potenziell tödlichen, paranormalen Spezies auszufragen?
„Erinnerst du dich an mein Schild?", fragte er, und als ich nickte, fuhr er fort: „Ich kann es formen, wie ich möchte. Als Wand, als Ball, was auch immer ich mir vorstellen kann. Auch die Größe liegt in meiner Hand, wobei natürlich eine größere Fläche immer mehr Macht erfordert. Nehmen wir aber an, ich würde ein winzig kleines Kraftfeld in deinem Brustkorb platzieren, und es sich dann rasend schnell ausbreiten lassen..."
Er ließ das Satzende in der Luft hängen. Die Vorstellung dessen, was er mir gerade eröffnet hatte, verschlug mir die Sprache. Sein Schild war nicht nur Schutz, sondern auch Waffe, wenn er es so wollte. „Bist du.... Hast du...?", begann ich, stoppte mich selbst, um durchzuatmen, und versuchte es dann erneut. „Hast du das schon...?"
Meine Stimme versagte. Sylas war von Anfang an mein Freund und Beschützer an der Burg gewesen. Die Vorstellung, dass er ein Mörder war, kollidierte hart mit meinem Bild von ihm. Umso erleichterter war ich, als er den Kopf schüttelte.
„Nicht bei intelligenten Spezies", sagte er.
Ich verstand. Bei Kei oder anderen Angreifern war es schon einmal vorgekommen. Das war ein großer Unterschied, den ich anerkennen musste und der mich beruhigte.
Kurz kam unser Gespräch ins Stocken, bis er mir vom Rat erzählte; Es gab zwei Vertreter jeder Ratsspezies einen Diplomaten und einen Krieger – die in permanentem Kontakt mit den jeweiligen Herrscherhäusern standen und ihre Interessen hier vertraten, damit die Herrscher nicht ständig selbst anwesend sein mussten. Diese Vertreter wohnten alle dauerhaft hier, sodass man sich den Rat durchaus wie eine eigene, kleine Gemeinde vorstellen konnte. Das stärkte zudem die Loyalität zwischen den Spezies, weil sich dort Freundschaften bildeten.
Die Diplomaten waren hauptsächlich für alle gewaltfreien Konflikte zwischen den Spezies zuständig und die Krieger für Kämpfe, die gemeinsam oder selten auch gegeneinander ausgetragen wurden. Alle Vertreter waren dafür zuständig, in jedem Bereich für einen möglichst respektvollen und besonnenen Umgang zu sorgen. Sämtliche Manöver mussten von der Mehrheit der Mitglieder gebilligt werden. Auf diese Art hatte man ein gut funktionierendes System mit hohem Zusammenhalt ausgearbeitet. Ich lauschte seinen Erzählungen mit wachsender Neugierde.
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Chained Ashes
FantasyAls Kaias Vater spurlos verschwindet, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Seine Spuren führen sie an einen Ort, an dem sie ganz offensichtlich nicht erwünscht ist und schnell wird ihr klar, dass sie eine Zielscheibe auf dem Rücken trägt. Denn sie...