Wir beeilten uns, zurück aufs Zimmer zu kommen und machten uns schon fertig fürs Frühstück. Kira wachte auf, als wir die Tür wieder schlossen. Sie schreckte mit großen Augen hoch, als hätten wir sie aus einem schlechten Traum gerissen.
„Alles in Ordnung?", fragte ich und begann, mein Bett zu machen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Chestnut nun den Rest seines Napfes leerte.
Kira schüttelte ihren Traum wie kaltes Wasser von sich. „Ja, ich hab nur schlecht geträumt. Die ständigen Angriffe machen mir zu schaffen."
Senna sah sie mitfühlend an und berichtete ihr von Nathans Aktion am Eingang, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Ich hörte mit halbem Ohr zu, wie sie sich ausgiebig über ihn echauffierten, ohne das Bedürfnis zu haben, mit einzusteigen. Das ganze Thema saß mir viel zu tief in den Knochen.
Ein Teil von mir wollte den Mut aufbringen, ihn zu fragen, was sein Problem war. Der andere Teil wollte sich ganz tief vergraben und ihm nie wieder in die Augen sehen. Dass mir niemand verraten wollte, welches Geschöpf er war, half dabei auch nicht, obwohl ich immer noch auf einen Nachtwandler tippen würde.
Ich hatte ihn an sonnigen Tagen noch nie draußen gesehen, er wohnte im Wald und war stärker als Maxine. Dabei hatte sie mir gesagt, dass die meisten Geschöpfe gegen Nachtwandler nicht einmal eine Chance hatten, weswegen die Auswahl sich sehr einschränkte. Vielleicht sollte ich mal in der Bibliothek nach einem Buch suchen, das mir die verschiedenen, tatsächlich existierenden Geschöpfe erklärte. Mein menschliches Wissen schien in der Hinsicht sehr inakkurat zu sein.
Vielleicht war die Kälte, die er um sich trug, mein entscheidender Hinweis, um es herauszufinden. Wobei Sylas sie nicht wahrnahm, was mich immer noch stutzig machte.
„Kann ich euch mal etwas fragen?", fragte ich, um wenigstens einen Zweifel endlich ausmerzen zu können. Die beiden unterbrachen ihr Gespräch und sahen mich an.
„Fühlt ihr diese Kälte bei Nathan?", wollte ich geradeheraus wissen.
Die beiden wechselten einen Blick. Ich hasste es, wenn sie das taten. Sie gaben mir keine Zeit, mich insgeheim darüber aufzuregen, bevor sie unisono verneinten. Ich seufzte frustriert. Obwohl ich diese Antwort bereits befürchtet hatte, überraschte sie mich.
Kira legte den Kopf leicht schief. „Was für eine Kälte meinst du?"
Ich zögerte und schaute beiden in die Augen. Sie waren besorgt und etwas irritiert, das konnte ich ihnen deutlich ansehen. Das Bedürfnis, ein offenes Gespräch über Nathan zu führen, wuchs mit jedem Tag. Ich war mir noch nicht sicher, inwiefern sich meine neuen Freundinnen dafür eigneten, musste mir aber eingestehen, dass mir Alternativen fehlten. Meine Tante wäre sicher nicht begeistern, wenn ich mit ihrer Tochter den Umgang mit absolut tödlichen und mir nicht wohlgesonnenen Geschöpfen diskutierte.
Also beschloss ich, mich zu öffnen. „Die Temperatur im Raum sinkt gefühlt gegen Null, sobald er in der Nähe ist... es ist keine metaphorische Kälte. Ich friere, wenn er da ist."
Ich beobachtete ihre Reaktion. Die Beiden ließen meine Worte auf sich wirken. Senna runzelte die Stirn. „So etwas habe ich noch nie gehört."
„Ihr wisst doch, was er ist, oder?"
Sie nickten vorsichtig.
„Warum sagt ihr es mir nicht? Ich werde niemandem verraten, dass ich es weiß. Ihr wolltet mir nichts mehr verheimlichen... ich weiß nicht, was ich von ihm halten soll. Er hasst mich ja offensichtlich, und ich weiß nicht, warum."
„Es gibt einen Kodex, an den sich alle intelligenten Geschöpfe, die einen Platz im Rat haben oder haben wollen, halten müssen. Die zweite Regel besagt, dass wir kein anderes Geschöpf vor einem Menschen offenbaren dürfen. Wir sind an diesen Kodex gebunden, er sichert unsere Daseinsberechtigung in dieser Welt", erklärte Kira.
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Chained Ashes
FantasyAls Kaias Vater spurlos verschwindet, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Seine Spuren führen sie an einen Ort, an dem sie ganz offensichtlich nicht erwünscht ist und schnell wird ihr klar, dass sie eine Zielscheibe auf dem Rücken trägt. Denn sie...