Senna ließ ihren Kurs ausfallen, um den späten Nachmittag bei mir zu bleiben. Gerade, als wir beschlossen hatten, uns mit einer Serie und Süßigkeiten zu verschanzen, rief meine Tante an. Ich ging direkt nach dem ersten Klingeln dran und machte mich mental für schlechte Nachrichten bereit. „Tante Betty?", meldete ich mich.
„Kaia, wie geht es dir?"
Senna ging an ihren Schreibtisch und sortierte wahllos einige Sachen hin und her, um mir etwas Privatsphäre zu geben. Ich warf ihr ein dankbares Lächeln zu.
„Es geht so, Tante Betty. Gibt es etwas Neues von Papa?"
„Noch nicht. Ich wollte nur mal von dir hören."
„Kannst du mich sicher nicht nach Hause holen?", fragte ich leiser als zuvor, „Ich fühle mich hier wirklich nicht wohl, und die Studenten hier fühlen sich von mir, glaube ich, auch eher gestört. Ich kann doch mit in Megans Zimmer schlafen."
Früher hatten meine Cousine und ich so oft beieinander übernachtet, dass unsere beider Eltern extra ausklappbare Sofas für unsere Zimmer besorgt hatten.
„Du weißt, dass das nicht geht", seufzte meine Tante.
Ein Teil von mir wollte erneut zum Streit ansetzen und meinen Willen, diese gottverlassene Burg hinter mir zu lassen, durchsetzen. Doch ein andere Teil hatte resigniert. Diese Diskussion hatten wir schon vor meiner Abreise stundenlang geführt und sie hatte sich um nichts in der Welt überzeugen lassen.
„Wie geht es Chestnut?"
„Megan ist ganz vernarrt in ihn. Er schläft sogar bei ihr im Bett, obwohl ich ihr tausendmal gesagt habe, dass ich das nicht gut finde. Ihm geht's super."
Jetzt musste ich lächeln. Ich ließ meiner wunderbaren Cousine Grüße ausrichten und beendete unser Gespräch. Wie Chestnut und sie gemeinsam in ihr kleines 90cm breites Bett passten, war mir allerdings ein Rätsel.
„Chestnut ist dein Hund?", fragte Senna, nachdem ich aufgelegt hatte.
„Der beste Hund der Welt!", gab ich immer noch lächelnd zurück.
Daraufhin schaltete Senna ihre Lieblingsserie ein und erzählte mir von ihren Haustieren. Ihre Familie lebte auf einer kleinen Farm und hatte scheinbar schon immer eine unglaubliche Anzahl von Tieren gehütet. Dabei hatten sie sich auch nicht nur auf die üblichen Haus- und Nutztiere beschränkt; Sennas erstes eigenes Haustier war eine Netzpython gewesen. Sie zeigte mir ein Bild und obwohl ich nie ein großer Fan von Reptilien gewesen war, musste ich zugeben, dass die riesige, gelb-weiß gemusterte Schlange wunderschön war.
Wir schauten zwei Folgen der Serie und vernichteten die ersten Schokoriegel. Senna hatte einen guten Geschmack. Es war eine Mischung aus Fantasy und Thriller.
„Colton hat erzählt, dass du mit Sylas auf die Party gehst", sagte Senna unvermittelt.
„Ist das in Ordnung?", erkundigte ich mich, weil ein Unterton in ihrer Stimme mich verunsicherte. „Das ist kein Date, wir gehen als Freunde hin."
„Bist du denn nicht an ihm interessiert?"
„Ich bin im Moment an niemandem interessiert, nicht auf diese Art", seufzte ich, „Was soll das schon bringen, wenn ich sowieso so schnell wie möglich wieder gehe?"
„Oh, verstehe. Natürlich."
„Aber ich freue mich, hier so schnell Freunde gefunden zu haben und Sylas ist wirklich sehr nett. Bist du denn an ihm interessiert?"
Jetzt lachte sie. „Nein, er ist wie ein großer Bruder für mich. Wir kennen uns schon unser halbes Leben. Also keine Sorge."
Ich schüttelte bloß den Kopf und konzentrierte mich wieder auf die Serie, weil gerade eine spannende Stelle lief. Ein kleiner Teil meines Gehirns fragte sich, ob ich Sylas womöglich doch auf diese Art interessant fand und ich hatte auch sicherlich nichts dagegen, ihn näher kennenzulernen. Aber für echtes Interesse kannte ich ihn einfach noch lange nicht gut genug. Ich würde es einfach auf mich zukommen lassen.
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Chained Ashes
FantasyAls Kaias Vater spurlos verschwindet, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Seine Spuren führen sie an einen Ort, an dem sie ganz offensichtlich nicht erwünscht ist und schnell wird ihr klar, dass sie eine Zielscheibe auf dem Rücken trägt. Denn sie...