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Am nächsten Morgen suchte ich sofort nach Aurora. Senna und Kira begleiteten mich zum Mentorenturm, bevor sie zu ihren Kursen gingen. Ich musste mehrmals klopfen, bis mir endlich von einem unbekannten Mann geöffnet wurde.

„Entschuldigen Sie bitte, ich suche Aurora. Es ist dringend."

Er hob eine Augenbraue. „Einen Moment."

Er schloss die Tür wieder und es dauerte erneut sehr lange, bis Aurora sich blicken ließ. Sie sah müde aus. Hatte ich sie etwa aus dem Bett geworfen? Leise Schadenfreude meldete sich, denn Rache war tatsächlich süß.

„Wir müssen reden", kam ich direkt auf den Punkt. Sie nickte bloß, scheinbar immer noch nicht ganz anwesend, und ließ mich herein. Ich versuchte die neugierigen Blicke der anderen Mentoren, die auf den Sesseln saßen und plauderten, zu ignorieren. Aurora brachte mich in ihr Schlafzimmer, damit wir ungestört reden konnten.

Ich war verblüfft, als ich mich umsah. Ihre gesamte Einrichtung war tiefschwarz, selbst der Teppich, die Wände und Decke. Außerdem hingen überall Bilder an den Wänden und Schränken. Von allen möglichen Personen, von denen ich keine einzige kannte, und von sich selbst mit verschiedenen Gruppen. Von Tieren, Fabelwesen und unfassbar schönen Landschaften. Aurora räusperte sich.

Ich riss meinen Blick von den Bildern los. Aber auch Aurora sah so verändert und erschöpft aus, dass ich mich kaum auf den eigentlichen Grund meines Kommens konzentrieren konnte. „Was ist mit dir los?", fragte ich.

„Meine Reise war sehr anstrengend. Mach dir darum keine Gedanken. Sag mir lieber, warum du mit mir sprechen wolltest. Oder ist das bloß deine Rache wegen der Uhrzeit?", fragte sie mild und ich musste ein kurzes Grinsen unterdrücken.

„Ich glaube nicht, dass ich hier erwünscht bin. Einer der Studenten hat mich bedroht und ich möchte wirklich einfach nur noch nach Hause."

Sofort war sie hellwach. Ihr ganzer Blick wurde klarer, als würde sie mich jetzt erst richtig wahrnehmen. „Wer hat dich bedroht?"

„Nathan", sagte ich nur zögerlich. „Lässt du mich bitte nach Hause gehen?"

Ich war mir nicht sicher, ob ich es mir nur einbildete, oder ob sie tatsächlich blass wurde. „Das kann ich nicht", flüsterte sie nur.

„Warum nicht? Wenn es dir um den Kontakt geht, bin ich bereit, öfter mal mit dir zu telefonieren, oder wir können schreiben. Dafür musst du mich nicht zwanghaft in dieser verdammten Burg behalten", bot ich ihr an. Ich würde alle Register ziehen, wenn es sein musste, um hier weg zu kommen.

„Es geht nicht, Kaia. Das ist nicht bloß meine Entscheidung."

„Wen muss ich noch anflehen, um gehen zu können?", fragte ich halb verzweifelt, halb wütend. „Dieser durchgeknallte Typ hat mich beinahe gewürgt und mir gesagt, dass ich hier nicht her gehöre. Und du willst mir nicht helfen?!"

Es war unfassbar. Musste ich wirklich durchbrennen und auf eigene Faust versuchen, irgendwie nach Hause zu kommen? Wie konnte sie nach diesem Vorfall immer noch sagen, dass ich bleiben musste? Das durfte nicht wahr sein.

„Das habe ich nicht gesagt!", erwiderte Aurora aufgebracht. „Natürlich helfe ich dir. Aber du kannst die Burg trotzdem nicht verlassen."

„Was willst du machen? Den Schlägertypen der Akademie verweisen? Ihn nachsitzen lassen? Mama anrufen?", fragte ich sarkastisch. Wir wussten beide, dass das völlig abwegig war. Die Studenten hier waren erwachsene Menschen und keine Schüler, denen man mit einem Elterngespräch drohen konnte.

„Kaia, bitte..."

Ich hielt inne. Die Kraftlosigkeit in ihrer Stimme war allzu deutlich. Unsere Blicke trafen sich und sie strich sich mit beiden Händen die Haare zurück. Ihre Handflächen ruhten auf ihrer Schläfe und sie dachte eine Weile nach.

Chained AshesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt