Kira atmete gepresst. Senna hob die Hand in ihre Richtung, um ihr Gesicht zu beleuchten. Sie sah nicht gut aus, kreidebleich, mit angestrengt gerunzelter Stirn und zusammengepressten Lippen. „Die Magie", brachte sie hervor.
„Fühlst du es? Kannst du uns hinbringen?", fragte Senna leise und schien wieder in den Raum. Kira drehte ohne ein weiteres Wort nach rechts ab, zwischen stiftdünnen, engstehenden Säulen hindurch. Unsere Schritte hallten von den Wänden wider.
Mehrmals stieß ich gegen die Säulen. Sie waren viel zu dünn, um sie in der Dunkelheit sicher erkennen zu können, und trotzdem erstaunlich massiv.
Die ganze Aufmachung dieser Gruft hatte ein gewisses Endboss-Gefühl. Es fehlte nur noch epische Hintergrundmusik und das Ambiente wäre perfekt.
Ein Geräusch ließ uns innehalten. Es war ein Rauschen. Wir gingen alle drei etwas in die Hocke, Senna leuchtete nach oben. Schlagende Flügel. Kleine, schwarze Blitze schossen über uns hinweg – Fledermäuse. Vermutlich Tausende.
Mein Puls war auf hundertachtzig. Meine Bemühungen würden meinem Vater nichts nützen, wenn ich dabei starb. Leise Reue, nicht auf Sylas gehört zu haben, meldete sich, aber bevor ich sie äußern konnte, hörte ich ein dumpfes Geräusch aus einer anderen Richtung. Sennas Licht erlosch.
Eng zusammengepresst und zitternd hockten wir in der absoluten Finsternis. Keiner wagte es, einen Ton von sich zu geben, während weitere dumpfe Klänge durch den Raum hallten. Ich war mir nicht sicher, ob das schwere Schritte waren, und betete, dass ich es nicht herausfinden musste.
Eine Hand ergriff mich aus Kiras Richtung, wanderte zu meinem Handgelenk und zupfte mit ansteigender Dringlichkeit daran. Vor mir setzte Senna sich in Bewegung, ganz langsam und absolut lautlos. Ich ließ mich von Kira führen, obwohl mir das Herz mittlerweile in den Kniekehlen hing und ich am liebsten umgekehrt wäre. Aber dafür war es nun wohl zu spät.
Wir schlichen Kira nach, die uns vermutlich beide führte, und zuckten abwechselnd zurück, wenn wir wieder einmal eine Säule erwischt hatten. Bei jedem Zucken, das ich von den anderen wahrnahm, setzte mein Herz einen Schlag aus. Die Bedrohung lag so schwer in der Luft, dass es kein magisches Geschöpf brauchte, um sie wahrzunehmen.
Nach ein paar Minuten blieb Kira stehen. Ich hörte, wie sie nach etwas tastete. Ihre Atmung kam stoßweise. Die näherkommende Magie musste sie sehr anstrengen.
„Licht", hauchte sie.
Meine Nackenhaare stellten sich vor Angst auf, aber Senna tat, wie ihr geheißen. Sie öffnete ihre nur minimal leuchtende Handfläche. Es war gerade genug Licht, um die steinerne Tür direkt vor uns erkennen zu können.
Kira drückte dagegen, fuhr den Rahmen entlang, soweit sie hochgreifen konnte und fummelte an dem Schloss herum. „Ich muss es sprengen. Ich werde versuchen, die Magie von drinnen zu nutzen", informierte sie uns leise.
Ich wusste, was das bedeutete. Wir mussten unsere Deckung aufgeben. Egal, was hier oder im nächsten Raum lebte, würde die Sprengung nicht überhören können.
„Warte", bat ich sie, weil ich nun endgültig die Nerven verlor.
Senna umarmte mich sanft. „Wir müssen das jetzt durchziehen."
„Wir werden hier unten draufgehen", krächzte ich. Wie hatte ich nur denken können, dass ich hierfür bereit war? Was um alles in der Welt hatte ich mir dabei gedacht?
„Du hast Angst. Das ist normal. Wir tun das für deinen Vater und Sylas, okay? Du musst durchatmen", flüsterte Senna mir eindringlich ins Ohr, während Kira ihre flache Hand an die Tür legte. Sie hatten sich beide entschlossen und würden nicht umkehren.
„Bitte...", versuchte ich es ein letztes Mal, doch es brachte nichts mehr.
Kira verwandelte sich in ein Leuchtfeuer für alle möglichen Angreifer, denn ihre Haut begann schneeweiß zu strahlen. Ein ohrenbetäubender Knall und die einen Herzschlag später folgende Schockwelle rissen mich von den Füßen. Im Sturz blieb ich an einer Säule hängen und landete schmerzhaft auf dem Ellenbogen.
Kira hatte die Tür nicht nur gesprengt, sondern pulverisiert. Die Staubwolke, die sich augenblicklich durch den Raum wirbelte, ließ meine Augen tränen und meine Lunge brennen. Reflexartig presste ich mir den Armel vor Mund und Nase.
Senna riss mich auf die Füße und zerrte mich voran, durch das klaffende Loch in der Wand hindurch in den nächsten Teil der Gruft. Kira leuchtete immer noch so hell, dass wir nun alles deutlich hätten sehen können, wenn die Staubwolke nicht wäre.
Dieser Raum war klein, und länglich. Nur etwa zwei Meter vor uns war ein steinernes Becken, etwa zwei Meter mal zwei Meter groß, in dessen Rand etliche Symbole gemeißelt waren. Er erinnerte mich an die Säulen, an dem die Worte für das Archiv verborgen war. In dem Becken befand sich eine tiefschwarze Flüssigkeit.
Hinter uns blieb es ruhig. Die dumpfen Klänge von vorher blieben unverändert, also waren es wahrscheinlich doch keine Schritte. Ich hustete. Senna machte eine zu beiden Seiten wegschiebende Geste und formte eine Art Blase, die den Staub von uns fernhielt.
„Es ist da drin", sagte Kira atemlos. Ihr Glühen ließ nur langsam nach. „Ich habe nur ganz wenig von dieser Macht genommen und es hätte nicht viel gefehlt, damit ich uns alle in die Luft jage. Es ist eine unfassbar mächtige Magie..."
Sie klang ehrfürchtig. Ohne die schwarze Masse zu berühren, hob sie ihre flache Hand knapp über die Oberfläche und schloss die Augen. Senna und ich beobachteten gebannt, wie die Flüssigkeit direkt unter ihrer Hand anfing, sich zu verformen.
Kira tauchte ihre Hand in die Flüssigkeit, um das Tagebuch zu holen, und das war der Anfang vom Ende. Die Schwarze hinter uns manifestierte sich in lebendige Schatten, die sich auf uns stürzten. Sennas Schrei zerriss mir fast die Trommelfelle, während ich mit der Schläfe gegen den Beckenrand donnerte.
Das panische Kreischen meiner Freundinnen vervielfältigte sich als Echo von den Wänden und drang in die tiefsten Ebenen meines Verstands. Wie hypnotisiert rollte ich mich zusammen, presste die Hände auf die Ohren und sog den Schmerz auf, der sich auf meinem ganzen Körper ausbreitete. Mein Blick verschwamm.
Ein erneutes, schmerzhaft helles Aufscheinen aus Kiras Richtung ließ die Schatten zurückzucken. Senna zog mich auf die Beine und stieß mich Richtung Ausgang. „Renn!", befahl sie. Ich gehorchte instinktiv.
Wir rannten durch das riesige Gewölbe. Mehrmals fühlte es sich an, als würde ich fast von den Säulen halbiert, weil ich sie mit vollem Schwung erwischte. Jedes Mal strauchelte ich und traf noch eine zweite Säule bei dem Versuch, mich abzufangen.
Bewegte man sich langsam, konnte man ihnen ausweichen. Aber im Rennen waren sie genauso fatal wie ein Spiegelkabinett. Es war zu dunkel, und sie waren viel zu dünn, um sie auf der Flucht wahrnehmen zu können.
„Scheiße", hörte ich Senna einige Meter vor mir. Auch sie und Kira hatten große Probleme mit den Säulen. Die Schatten, die uns immer noch verfolgten, hatten damit offenbar keine Probleme. Sie glitten körperlos durch sie hindurch, kratzten oder bissen mit nadelspitzen Zähnen, während sie selbst direkt vor meiner Nase nahezu unsichtbar blieben.
Das einzig Gute daran, von Feinden völlig umringt zu sein, war, dass ich ziellos in alle Richtungen um mich schlagen konnte. Mehrmals erwischte ich eine der Kreaturen, hatte aber nicht das Gefühl, ihnen schaden zu können. Wir wurden von lebendigen Schatten niedergemetzelt und konnten nicht einmal wegrennen.
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Chained Ashes
FantasyAls Kaias Vater spurlos verschwindet, wird ihr Leben auf den Kopf gestellt. Seine Spuren führen sie an einen Ort, an dem sie ganz offensichtlich nicht erwünscht ist und schnell wird ihr klar, dass sie eine Zielscheibe auf dem Rücken trägt. Denn sie...