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Kira, die ihren Mund ebenfalls zum Protest geöffnet hatte, schloss ihn wieder. Ich hatte ebenfalls nichts mehr dagegen zu sagen, denn Senna hatte vollkommen recht. Wir hatten gerade einen entscheidenden Vorteil, auf den wir in allen anderen Nächten nur spekulieren könnten. Eine grundsätzliche Aufregung packte uns alle drei.

Während wir den Sekundenzeiger auf der Uhr verfolgten, die, wie in nahezu jedem Raum der Burg, über der Tür hing, versuchten wir einen Schlachtplan zu entwickeln. Ich hatte Sylas' Warnung im Kopf. Senna war davon zwar nicht gänzlich unbeeindruckt, wollte sich aber nicht von unserem Vorhaben abbringen lassen. Kira war sichtlich nervös, aber auch fest entschlossen. Und ich zitterte zwar jetzt schon bei der Vorstellung, was uns dort wohl erwarten könnte, musste aber für meinen Vater alles riskieren. Ein Rückzieher aus Angst kam schon lange nicht mehr infrage.

Der Sekundenzeiger zog unermüdlich seine Kreise. Der Minutenzeiger schien festzustecken. Nach einer Weile begann Senna, immer wieder auf ihr Handy zu schauen, um sich sicher sein zu können, dass die Uhr nicht stehengeblieben war.

Ich stellte Maxine bei mir auf die Kurzwahl. Was auch immer passierte, sie konnte uns im Notfall sicherlich den Hintern retten, ohne uns simultan den Kopf abzureißen. In diesem Punkt war ich mir bei Sylas gerade nicht so sicher und hoffte inständig, er würde mir verzeihen, dass ich ihn angelogen hatte.

„Wird Sylas sehr wütend sein?", fragte ich Senna. Sie konnte ihn deutlich besser einschätzen als ich. Ihr entsetzter Blick war Antwort genug. Er würde mich hassen.

Ich nahm Chestnut an die Leine. Er schielte zwar skeptisch zu mir auf, da ich ihn so gut wie nie an die Leine nahm, blieb aber ruhig liegen. Auch, als ich ihn an der Heizung festband, akzeptierte er das, ohne zu Murren. Wahrscheinlich hatte ihn unser erster Ausflug schon so müde gemacht, dass er auf einen zweiten gerne verzichtete. Diesmal konnte ich ihn auf keinen Fall mitnehmen.

„Es ist halb zwei", meldete Kira. Ihre Stimme war dünn.

„Seid ihr sicher, dass wir das schaffen?", fragte ich nochmal nach, denn weder Senna noch Kira sahen auch nur im Ansatz überzeugt aus. Sie waren nun mal keine Krieger, und ich war mit meiner lächerlichen, menschlichen Kraft auch nicht hilfreich.

„Nein", antwortete Senna atemlos. „Aber wir müssen jetzt los."

Also machten wir uns auf den Weg. In der Burg bewegten wir uns diesmal langsam und lauschten vor jeder Ecke nach Schritten. Einmal hörten wir etwas, das eine knarrende Tür gewesen sein könnte, und blieben eine Minute reglos und an die Wand gepresst stehen, bevor wir uns weiter wagten. Auf der großen Treppe vor dem Eingang hielt ich den Atem an, denn hier war die Wahrscheinlichkeit am größten, dass wir entdeckt wurden. Aber wir gelangten unbehelligt nach draußen. Direkt vor der Tür stürzten wir uns nahezu ins nächste Gebüsch und atmeten durch.

„Das ist doch hirnrissig", entfuhr es Senna. Mir schlug das Herz schon jetzt bis zum Hals, obwohl noch nichts passiert war, also konnte ich ihr nur zustimmen.

Kira richtete sich etwas auf, um sich umsehen zu können. „Ich fühle die Anwesenheit von Geschöpfen, aber ich glaube, sie sind relativ weit weg."

Ihre Fähigkeit, andere Geschöpfe mithilfe deren Magie aufzuspüren, faszinierte mich. Ich würde in diesem Moment viel dafür geben, auch ein paranormales Geschöpf zu sein. Unter ihnen fühlte ich mich schrecklich schwach und angreifbar, und obwohl ich es auf eine verdrehte Art attraktiv fand, dass Sylas mich schon zweimal gerettet hatte, würde ich uns beiden solche Situationen künftig lieber ersparen. Die Ironie dahinter, dass ich nun freiwillig an einen Ort ging, an dem die Gefahr praktisch garantiert war, versuchte ich zu verdrängen.

Chained AshesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt