Am nächsten Tag hatten sie Besuch von den Soldaten.
„Ihr werdet beschuldigt, eine Hexe zu sein."
„Ich?"
Theresa zeigte verwundert auf sich.
„Im Namen des Herrn, bringen wir euch zur Kirche, die eure Identität bestätigen wird."
„Was d..."
„Es ist in Ordnung, Schatz. Ich kläre das allein."
<Wüsste ich nicht, dass sie ein Engel ist, würde ich das niemals zulassen.>
David lief den ganzen Tag vor der Tür auf und ab. Wenn seine Beine müde wurden, setzte er sich an den Tisch und trommelte mit dem Finger auf ihm.
Endlich, als es Abend war, kehrte Theresa zurück.
„Wieso siehst du so glücklich aus?"
„Ich wünschte, ich könnte dir das sagen, aber das ist mein kleines Geheimnis."
„Was ist mit der Beschuldigung?"
„Natürlich nicht wahr. Die Kirche hat bezeugt, dass ich keine Hexe bin und ich werde nicht weiter verdächtigt."
„Einfach so?"
Ein Lächeln machte sich auf Theresas Gesicht breit.
„Einfach so."
Am nächsten Sonntag war die Familie wieder in der heiligen Messe. Theresa trieb die zwei in gewohnter Manier vor zur heiligen Kommunion. David und Sophie empfingen den Segen. Als jedoch Sophie die Hostie erhalten sollte, war etwas anders.
„D-d-der L-l-leib Christ-t-t-i"
„Amen."
Ein Hauch von Heiterkeit war in Theresas Antwort zu hören.
<Hat sie ihn bedroht, während sie als Hexe verdächtigt wurde?>
Auf dem Weg nach Hause fragte David sie danach:
„Warum hat der Pfarrer bei dir gestottert?"
„Wer weiß?"
„Hast du ihn bedroht?"
„Wo denkst du hin? Weißt du nicht, wer ich bin?"
<Ein Engel darf wohl einen Pfarrer nicht bedrohen.>
„Aber er kam mir eingeschüchtert vor."
„Dabei habe ich ihm extra gesagt, dass er sich nicht fürchten soll."
Theresa legte ihren Finger nachdenklich an das Kinn und grinste etwas schelmisch.
„Sicher war er von Mamas Schönheit aus der Fassung geraten."
„Oh, wie lieb von dir, Liebes. Das wird es sein. Nicht wahr David?"
<Wenn ich das verneine, hieße es, dass Theresa hässlich ist.>
„Das würde in der Tat Sinn ergeben."
<Wenn man nicht richtig im Kopf ist.>
David wartete, bis Sophie im Bett war, um die Diskussion fortzusetzen.
„Hast du dem Pfarrer vom Himmel erzählt? Wie ist es da oben eigentlich?"
„Das willst du erst jetzt wissen? Ich dachte, du wusstest, dass du dir, laut dem zweiten Gebot, kein Bild von Himmel oder Hölle machen sollst. Ich darf also weder dir noch dem Pfarrer davon erzählen."
„Warum eigentlich nicht? Wäre es nicht einfacher, die Leute von Gott zu überzeugen, wenn jeder von Engeln und Dämonen wüsste."
„Ist aber nicht gerade die Unwissenheit eine Prüfung? Wenn man Gewissheit hätte, würden dann nicht die Bösen anfangen, die Grenzen zu testen?"
„Was meinst du?"
„Angenommen jemand tötet am Anfang jemanden mehr oder wenig unabsichtlich. Er bereut seine Tat zu tief und tut sein restliches Leben Sühne. Gott vergibt ihm daher am Ende. Würden alle davon wissen, könnte der falsche Eindruck entstehen, dass jeder einen töten darf."
„Dann soll er zumindest nur seine Existenz bekannt machen und halt noch nicht sein Urteil verkünden."
„Ist jemand, der nur wegen der Existenz der Hölle, keine Sünden begeht, wirklich ein guter Mensch?"
„Du meinst, wenn Gott existiert, ist die Bestrafung am Ende Gewissheit und deswegen beherrschen sich die Menschen besser? Aber ist das nicht gerade gut, dann leiden die guten Menschen weniger."
„Oder werden vermehrt in die Irre geführt, da sie davon ausgehen, dass jeder den Geboten folgt. Die Bösen werden versuchen, die Gebote für ihre Zwecke zu verbiegen und damit schaden sie trotzdem den anderen. Eventuell ist es sogar gefährlicher, da sie behutsamer vorgehen."
„Die berühmte gespaltene Zunge. Ich verstehe. Kann er dann nicht zumindest das Leid lindern?"
„Hatten wir die Diskussion nicht schon? Willst du, dass die Menschen Sklaven werden? Wer nicht hört, wird gefoltert, bis er sich fügt oder stirbt. Ist es das, was du willst?"
„Nein, natürlich nicht. Aber er könnte es doch irgendwie anders verhindern."
„Gott gab uns einen freien Willen. Die Folge davon ist, dass jeder selbst entscheiden kann, was er tut oder nicht tut. Wenn du also willst, dass niemand sich für das Böse entscheidet und niemand ein Sklave ist, bleibt dir nur noch, diesen freien Willen zu nehmen. Dann wäre die Welt gewissermaßen Gottes Puppenhaus. Keiner würde mehr tun, wofür er nicht bestimmt ist. Alles würde durch Gott bewegt werden. Kann man das dann wirklich noch ein Leben nennen? Sind wir dann nicht praktisch alle bereits tot?"
„Willst du so all das Leid rechtfertigen, das auf der Welt passiert?"
„Wie ich schon mal sagte, es ist die freie Entscheidung von Erwachsenen."
„Wenn ich als Soldat einen Befehl bekomme, dann habe ich keine freie Wahl, sondern muss ihn befolgen."
„Falsch. Du hast eine Wahl."
„Tod oder Gehorsam."
„Die Welt ist nicht Schwarz-Weiß. Es gibt mehr als nur zwei Optionen. Du kannst zum Feind überlaufen oder dich mit Gleichgesinnten verbünden. Die Macht des Kommandanten, über dich zu entscheiden, gibst du ihm. Du kannst sie ihm jederzeit zurücknehmen."
„Leichter gesagt als getan."
„Ich habe nie behauptet, dass es einfach ist. In solchen Situationen zeigt sich das wahre Gesicht eines Menschen. Nur weil ein König ein Gesetz verabschiedet, macht es die Tat nicht gut. Man sollte selbst für sich entscheiden, ob man wirklich jedem Folge leistet und ob es das Richtige ist. Manche sind bereit, ihr Leben dafür zu riskieren, um das Richtige zu tun. Auch wenn sie mit dieser Meinung allein dastehen."
„Nur dumm, wenn man sich täuscht und das Falsche tut."
„Fehler sind immer möglich. Doch ist es wichtiger, wie man mit ihnen umgeht. Wer nichts dazu lernt, wird seine Fehler wiederholen. Auch ein Grund, warum ein gewisses Leid stattfinden muss, damit die Menschen davon lernen können."
„Reicht es nicht, wenn man sie belehrt?"
„Sagst du als Vater? Hast du nicht Sophie schon mal ermahnt und sie hat es trotzdem probiert? Manches muss man am eigenen Leib erfahren, um es zu verinnerlichen."
„Wir werden also immer wieder Krieg haben, weil die Leute die Grausamkeit erneut vergessen?"
„Ich befürchte ja."
„All die Unschuldigen, die mit hineingezogen werden ... Ich wünschte, es gäbe etwas, um ihnen die Qualen zu ersparen."
„Man kann ihnen leider nur Hoffnung auf ein besseres Leben geben. Auch deswegen wenden sich manche an Gott."
„Der ihnen nicht helfen darf."
„Aber du darfst es."
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Das schwarze Schaf - German / Deutsch
EspiritualDavid ist ein Sünder, doch er versucht, das vor seiner Tochter Sophie geheim zuhalten. Wird es ihm gelingen, oder wird sie die Wahrheit herausfinden? 40 Kapitel - 40k Wörter + Nachwort Eine Fortsetzung ist nicht geplant. Es ist mein zweites Buch, da...