K04 - Mutter

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Am nächsten Morgen, als sie mit dem Frühstück fertig waren, fragte David Sophie:

„Weißt du, welcher Tag heute ist?"

„Hmm. Mamas Geburtstag?"

„Richtig, Kleines. Darum werden wir heute zur Gedenkstätte gehen. Also mach dich bereit."

„Okay."

Freudestrahlend rannte Sophie nach oben und zog sich Kleidung für draußen an.

<Sollte ich es ihr heute sagen?>

Sie kamen an der Kirche vorbei. David sah, wie Menschen aus ihr herauskamen.

<Hochstapler. Ihr werdet niemals in den Himmel kommen. Ihr seid auch nur Sünder, die sich gut fühlen wollen.>

Als sie vor dem Blumenhügel wieder standen, fragte Sophie:

„Wollten wir nicht zur Gedenkstätte?"

„Wir gehen da auch gleich hin. Aber möchten wir nicht Mama etwas mitbringen? Wie wäre es, wenn du wie gestern eine Blumenkrone für sie bastelst."

„Oh, ja! Ich bin sofort wieder da."

Sophie rannte durch die Blumen und wählte sorgfältig die schönsten aus. Danach bastelte sie die Krone.

David schaute zum Baum. Es war der Ort, an dem er Theresa den Heiratsantrag gemacht hatte. Wehmut erfasste ihn.

Als Sophie fertig war, gingen die beiden zum Grab. Sophie legte die Krone auf den Grabstein und stellte sich vor das Grab. Sie klatsche die Hände zusammen und rief:

„Ich bitte den lieben Gott, dass Mama bald wieder zurückkommt."

<Sie wird nie wieder zurückkommen. Sie ist tot. Die Welt hat sie uns entrissen. Denn sie gönnt einem nichts.>

„Wann wird Mama wieder kommen?"

„Geduld, Kleines, Geduld."

<Feigling. Sag ihr die Wahrheit.>

„Ich vermisse sie."

„Ich auch, Kleines."

Sophie und David richteten das Grab noch etwas her. David kam nie vorbei und es benötigte daher einiges an Arbeit. Als Theresa gestorben war, war er oft gekommen. Das Grab war in der Zeit auch immer gut gepflegt. Doch die Zeit verging und er kam immer seltener, bis er es ganz einstellte. Die einzige Ausnahme bildete ihr Geburtstag, dann kam er immer mit Sophie zusammen her.

Als sie fertig waren, verweilte David vor ihrem Grab etwas.

<Ob ich jemals darüber hinwegkomme?>

„Warum gibt es eigentlich so viele Denkmäler hier, Papa?"

„Sie geben den Leuten Hoffnung, daher stellen viele welche auf."

<Es sind Gräber, Kleines. Wir sind auf einem Friedhof. Nur kann ich dir das nicht sagen, denn dann wüsstest du, dass sie tot ist.>

„Warum hat Papa noch kein Denkmal?"

<Das habe ich von meinen Lügen.>

„Papa ist viel in der Stadt unterwegs, die Leute benötigen noch kein Denkmal von mir."

„Dabei ist Papa der Beste."

Auf dem Rückweg kamen sie an der Apotheke vorbei. David erinnerte sich, wie er verzweifelt versucht hatte, Medizin billiger zu bekommen. Er hatte seine Arbeit verloren und kaum jemand wollte ihm Geld geben. Jeden Tag musste er mit ansehen, wie Theresas Gesundheit sich verschlechterte. Es war zum Verzweifeln. Dann eines Tages war es vorbei. David kam damals in der Nacht zurück und fand Theresa tot im Bett auf. Er hatte alles versucht, doch am Ende war es vergebens. Sophie hatte es nicht mitbekommen und er sorgte dafür, dass sie es nie erfahren würde. Sie sollte nicht den Schmerz erfahren, den er durchgemacht hatte.

„Kochen wir heute wieder Mamas Lieblingsessen?"

„Natürlich, es ist ja ihr Geburtstag."

„Yay, keinen Brei heute."

Sie kamen am Markt vorbei und David merkte, dass mehr Wachen als sonst unterwegs waren.

<Mist, haben die doch gemerkt, dass ich aktiv war?>

Als sie zu Hause ankamen, kochte David das Lieblingsessen von Theresa und sie aßen es ihr zu Ehren gemeinsam. Später schickte David Sophie wieder zum Spielen hinaus. Diesmal würde er in der Nacht nicht weggehen, also blieb er diesmal in der Nähe und beteiligte sich gelegentlich. Später gesellte sich Georg dazu und David zog sich etwas zurück, damit sie sich allein beschäftigen konnten.

<Früher musste ich mich abmühen, um mit ihr Zeit zu verbringen und jetzt kann ich immer so viel gemeinsam mit ihr machen, dass ich die Zeit allein vermisse. Mein Beruf mag nicht ehrlich und daher riskant sein, aber er erlaubt mir, mich auf Sophie zu fokussieren. Georgs Vater hat diesen Luxus als Schreiner nicht. Ich bin mir sicher, dass Georg sich mehr Zeit mit seinem Vater wünschen würde. Solche Sorgen hat Sophie nicht. Dafür hat sie aber keine Mutter.>

„Waah! Papa! Georg hat mich geschlagen!"

Sophies Weinen riss David aus den Gedanken und er richtete sich auf.

„Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen, Georg?"

In seiner Stimme lag Zorn. Für ihn war der Schuldige schon klar, aber vor Sophie musste er den Unparteiischen spielen.

„Sie hat mich zuerst geschlagen!"

„Stimmt das, Sophie?"

„Nein, Vater! Er lügt!"

„Was?! Du Göre ..."

„Klatsch."

David gab Georg eine Ohrfeige.

„Frauen und Mädchen schlägt man nicht. Merk dir das!"

„Aber sie hat ..."

Georg sprach nicht zu Ende, als er Davids warnenden Blick sah. Sauer sah er zu Sophie rüber, die hinter David stand. Sie zeigte ihm nur die Zunge, denn sie hatte ihn sehr wohl zuerst geschlagen. Wut kochte in Georg hoch, aber er wusste, dass er hier nichts ausrichten konnte.

„Dann gehe ich halt!"

„Das solltest du. Denk gut über deine Taten nach."

Als Georg weg war, drehte sich David zu Sophie. Er hatte natürlich nichts von ihrer Grimasse mitbekommen.

„Tut es noch weh?"

„Ja, Vater."

„Wo genau?"

„Hier."

Sophie zeigte auf die leicht wunde Stelle und David pustete leicht darauf.

„Besser?"

„Ja, Papa. Du bist der Beste!"

Sophie umarmte ihn. Sie genoss die Wärme, die sie so von ihm erfuhr. Warum hatte sie Georg geschlagen? War es, um ihren Vater für sich zu beanspruchen oder hatte Georg etwas falsch gemacht? Es war vermutlich ersteres, denn obwohl David so viel Zeit mit ihr verbrachte, so hielt er immer eine gewisse Distanz zu ihr. Er liebte sie, dessen war sie sich sicher und doch fühlte sie sich etwas alleingelassen. Sie beneidete Georg, der oft die Liebe einer Mutter erfahren durfte. Ihr blieb nur, sich an Davids Zuneigung zu laben.

„Denk daran, Gewalt ist nie die Lösung. Werde also ja nicht wie Georg, der Leute einfach schlägt!"

<Sie ist nur eine Lösung, wenn du sicher als Gewinner hervorgehst und keine Konsequenzen zu fürchten hast.>

„Natürlich nicht! Ich bin doch nicht so dumm wie er."

Am Abend klopfte es an der Tür.

Das schwarze Schaf - German / DeutschWo Geschichten leben. Entdecke jetzt