Kapitel 1

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Alina

Meine Koffer waren gepackt und nachdem ich mich mit einem letzten Blick auf meine Liste vergewissert hatte, dass ich an alles gedacht hatte, ließ ich meinen Koffer zufallen und stand vor demselben Problem wie nicht zu wenige Mädchen in den Filmen, wenn sie die Koffer nicht zukriegten. So hoffte ich, dass auch der Trick, den sie anwendeten, bei mir helfen würde und setzte mich auf den Koffer. Zum Glück funktionierte es und ich kam mir zwar lächerlich albern vor, aber Hauptsache war doch, dass ich meinen Koffer zubekam.

Ich hörte unsere schrille Klingel und zuckte kurz zusammen. Dabei hatte ich doch gedacht, dass ich gut in der Zeit lag. Ein Blick auf meine Uhr zeigte mir, dass es erst viertel vor drei war, und Michelle hatte doch erst um drei Uhr hier sein wollen. Wenn es wirklich Michelle war, die vor der Tür stand, dann war es unglaublich beeindruckend, da sie sonst nie pünktlich war. Sie hatte einfach kein Zeitgefühl.

Ich hörte das Schloss unserer Haustür leise aufzischen, als der Freund meiner Mutter die Tür öffnete.

An der Stimme erkannte ich, dass es sich tatsächlich um Michelle handelte. Wow.

Ich zog meinen meerblauen Kunststoff-koffer, auf den ich so stolz war (weil ich mir das Geld selbst verdient hatte und er wirklich sauteuer war), vom gemachten Bett und durch meine weiße Tür, an der etliche Postkarten hingen. Unbeholfen zog ich die Tür mit meinem Ellbogen hinter mir zu, und ging in Richtung Treppe.

Die ersten paar Stufen brachte ich zwar nicht besonders elegant, aber sicher hinter mich. Doch dann war ich zu aufgeregt, um die abgenutzte Treppenstufe zu beachten, an der ein Stück Holz fehlte. Und so stolperte ich samt meinem Koffer die Treppen herunter. Es polterte durch das ganze Haus, und es hörte sich an, als würde ein Elefant auftreten.

Es tat zwar weh, aber es war einfach zu witzig, um den minimalen Schmerz zu bemerken, und so fingen Michelle und ich gleichzeitig lauthals an zu lachen.

Aber als ich meine Klamotten, die aus dem Koffer gefallen und auf dem Boden verteilt waren, bemerkte, errötete ich und stand vorsichtig auf, als meine Mutter gerade durch die Wohnzimmertür kam.

„Hast du dir wehgetan?“, fragte sie besorgt.

Ich schüttelte den Kopf und Michelle verkniff sich kaum das Lachen, womit sie sich einen finsteren Blick meinerseits einhandelte.

Verlegen packte ich die Klamotten in den Koffer und diesmal ging er ohne Schwierigkeiten zu. Vielleicht lag es daran, dass die Klamotten wegen dem Sturz nicht mehr gefaltet waren und sie nun zerknüllt im Koffer lagen.

Der Freund meiner Mutter hievte meinen Koffer in den Kofferraum von Michelles Auto, ein dunkelblauer Golf, auf den ich schon seit sie ihn hatte neidisch war.

Nachdem das Gepäck sicher verstaut war, wandte ich mich dem Abschied zu.

Es war zwar nicht das erste mal, dass ich alleine mit einer Freundin in den Urlaub fuhr (mit 14 war ich mit meiner Freundin Natti an der Westküste Italiens gewesen, allerdings war damals eine Jugendgruppe mit Betreuern dabei gewesen), doch die Augen meiner Mutter glänzten.

Gott, fängt sie jetzt an zu weinen? Bitte nicht. Doch als sie ihren Tränen freien Lauf ließ, konnte ich meine auch nicht mehr halten. Ein Monat alleine mit Michelle in London war nicht unbedingt das Optimum, wenn es darum ging, meiner Mutter keine Sorgen zu bereiten.

Wir fielen uns in die Arme und ich hörte mit großer Anstrengung auf zu weinen. Meine Wimperntusche hatte 16€ gekostet. Vorsichtig löste ich mich aus der Umarmung und schob sie von mir. Wir sahen uns in die Augen, und sie sagte: „Pass auf dich auf.“

Ich nickte. „Du auch.“

Widerwillig wandte ich mich Birger, ihrem Freund, zu. Sollte ich ihn jetzt umarmen? Irgendwie kam mir das unpassend vor. So wechselten wir einen einfachen Handschlag und ich ließ mich in den Beifahrersitz des süßen kleinen Golfs fallen.

Michelle ließ den Motor warm laufen und fuhr los. Ich winkte meiner Mama und Birger zu, bis ich meinen Blick auf Michelle gleiten ließ.

„Und? Jetzt gehen wir zur Mafia und rauben Bänke aus, bis wir genug haben?“, scherzte Michelle.

„Haha, witzig.“

„Ja ein bisschen bessere Laune wär auch nicht schlecht!“, seufzte Michelle.

„Ich bin gut gelaunt, damit das klar ist. Sind nur nicht so blendende Aussichten, eine Stunde im Flugzeug über das Meer zu fliegen, während so ein Wetter herrscht“, zischte ich und deutete auf den Himmel der sich über dem Horizont dunkelgrau verfärbte, obwohl es erst 14:55 Uhr war.

Dazu sagte Michelle nichts mehr, sondern beobachtete nur starr den Verkehr.

Als der Golf auf den Parkplatz fuhr, war der Himmel bereits vollständig dunkel. Michelle parkte auf dem „Langzeit-Parkplatz“. Ja, wirklich, so stand es auf dem Schild.

Michelle und ich waren da.

Auf der anderen Seite der Scheibe ..Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt