Michelle
Alinas Motivation hielt sich echt in Grenzen. Das störte mich. Da würde es nicht einfach werden, ihr beizubringen, dass wir bald auf ein Konzert von One Direction gehen würden. Sie verabscheute Boygroups, auch wenn ich nicht verstand, warum.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als einer vom Personal hinter der Theke nach unseren Ausweisen verlangte. Erst verstand ich garnichts mehr und fragte verwirrt: „Was?“
„Personalausweis“, wiederholte der Typ mürrisch.
Solche Leute raubten mir den letzten Nerv. Wenn sie so angepisst waren, färbte sich das auf alle anderen ab. Ich rang mir dennoch ein Lächeln ab und hielt stolz meinen Personalausweis hoch. Mein Bild war echt hässlich, aber meine Augen waren seltsam blau darauf. Das gefiel mir.
Der Typ ließ den Blick über den Ausweis wandern und nickte mir zu, als er sah, dass ich bereits 18 war.
Bei Alina würde das nicht so einfach werden. Sie war für ihr Alter noch recht klein, auch wenn sie eigentlich älter war als ich.
Alina hielt bereitwillig ihren Ausweis hoch, aber zu ihrer Demotivation ließ sie sich zusätzlich noch von diesem Idioten anstecken. Na, das konnte ein super Flug werden.
„Schon 18?“, fragte der Typ verwundert.
Alina stellte sich kerzengerade hin. „Ja, schon 18. Blumen wachsen eben langsamer als Unkraut“, sagte Alina kühl und würdigte ihn keines Blickes mehr. Sie wurde nicht gerne wegen ihrer Größe aufgezogen.
Das Flugzeug war überfüllt mit ekligen Typen mit fettigen Haaren.
Zu allem Überfluss war in unserer Reihe, direkt neben meinem Platz (Alina hatte darauf bestanden, am Fenster zu sitzen), ebenfalls solch einer. Juhu.
Die eine Stunde fühlte sich an wie 7. Alina redete kein Wort mit mir, sondern saß einfach so da, starrte verängstigt aus dem Fenster, hörte ihrer Musik zu und versuchte das Gewitter draußen zu verdrängen. Da Alina Flugangst hatte, war es natürlich sehr schlau von ihr gewesen, sich ans Fenster zu setzten. Ich hatte während dem Flug oft hoffnungsvoll versucht, sie zu fragen, Plätze zu tauschen, doch Alina reagierte nicht.
Plötzlich geriet das Flugzeug ins Wanken und panisch ergriff Alina meinen Arm.
Die Stimme der Stewardess dröhnte in unseren Ohren unglaublich laut.
„Liebe Fluggäste, wir möchten Sie bitten, Ruhe zu bewahren. Wir sind in ein paar Luftlöcher geraten, aber wir bekommen das Problem wieder in den Griff. Es hat nichts, wirklich nichts mit dem Unwetter zu tun. Vertrauen Sie uns.“
Alinas Fingernägel krallten sich in meinen Arm, bis ich sie wütend anstarrte.
„Ach, aber um in meinen Arm zu kneifen, reicht deine Motivation? Ja nee, ist klar.“
Alina lockerte ihren Griff und grinste mich schief an. „Hehe, sorry.“
Ich zuckte mit den Schultern.
„Michelle, ich hab voll Panik“, sagte sie mit bebender Stimme.
Ich stöhnte. „Immer Ruhe bewahren. Das hat nichts mit dem Gewitter zu tun.“
Nach ein paar Schreckenssekunden beruhigte Alina sich einigermaßen wieder, da das Flugzeug aufgehört hatte zu wanken.
„Es folgt eine Ansage des Captains“, kündete auf einmal die Stewardess an, und Alinas Augen weiteten sich.
„Wir werden alle sterben“, wimmerte sie, „Michelle, ich sag's dir. Wir werden sterben. Wir werden nie wieder den Boden sehen... Michelle...“ Alina schluchzte und die Stimme des Captains ließ uns aufhorchen.
„Liebe Fluggäste. Wir haben das Problem wie versprochen in den Griff bekommen und ich freue mich, ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir uns dem Boden nähern. Einen schönen weiteren Flug noch.“
Alina sah mich aufgelöst an. Ich bekam einen unglaublichen Lachflash und kriegte mich nicht mehr ein. Verbissen starrte Alina aus dem Fenster.
„Ja, Alina, wir werden sterben“, sagte ich und meine Stimme triefte vor Sarkasmus, „In ungefähr 70 Jahren.“
Als das Flugzeug den Boden erreichte, wurden wir noch einmal kurz durchgerüttelt. Alina bemühte sich deutlich, ruhig zu bleiben. Ich hob eine Braue.
Wir erhoben uns von unseren Sitzen und stiegen aus.
Nachdem wir uns unsere Koffer geschnappt hatten, stiegen wir in eins der etlichen Taxis am Wegrand und gaben dem Fahrer die Adresse unseres Hotels.
London. Wir waren tatsächlich in London.
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Auf der anderen Seite der Scheibe ..
RomansaAlina und Michelle (beide 18) freuen sich schon seit Ewigkeiten auf den Sommer, den sie zusammen in London verbringen. Doch Alina ahnt den Grund nicht, weshalb Michelle dann doch nach London und nicht nach Sizilien wollte: In London gibt One Directi...