Ich lehne mich zurück ins weiche Leder des Autositzes. Meine Kopfhörer liegen weich auf den Ohren und ich lausche meinen Lieblingskünstler*innen, während Bäume und Felder an uns vorbeirauschen. Ich muss mich bei jedem Ton der Songs zusammenreißen, um nicht sofort loszuheulen. Ich hasse dieses Gefühl. Es nimmt mich ein und ich kann es nicht mehr loslassen, wenn es beginnt, sich auszubreiten. Wie ein Virus. Ein Liebesvirus.
»Alles gut bei dir, Henriette?« Meine Mutter dreht sich vom Beifahrersitz in meine Richtung um. Anscheinend muss sie gesehen haben, wie sehr ich kämpfe. Ich weiß, Mama würde mich trösten, aber ich brauche niemanden, der mich tröstet. Ich schaffe das schon alles alleine. Irgendwann werde ich über ihn hinweg sein. Irgendwann kann ich stolz zu meinen Freundinnen sagen, wie schwer es war, aber dass ich jetzt über ihn hinweg bin. Irgendwann.
»Mhm«, nicke ich, während Olivia Rodrigo mir die wahren Worte mit ihrem Song favourite crime ins Ohr singt. Ich weiß, traurige Lieder helfen nicht, um über Liebeskummer hinwegzukommen, aber ich habe keinen Lust, fröhliche Songs zu hören.
Ich tue so oft so, als wäre alles okay. Ich brauche keine fröhliche Musik, wenn ich fröhliche Menschen habe. Okay, die gehen mir in letzter Zeit eher auf die Nerven und merken kaum, wie es mir geht, aber sie machen ja selbst gerade auch etwas durch. Jedes Mädchen aus meiner Viererclique hat eigene Probleme. Ist ja klar, dass sie sich dann nicht um meine kümmern können. Ich kann nicht zu viel erwarten. Es sind zwar meine besten Freundinnen, aber auch nur Menschen.
»Sicher? Du siehst traurig aus. Du warst doch so begeistert vom Camp!«, stellt Mama fest. Ich schiebe den Kopfhörer am rechten Ohr etwas nach hinten, sodass ich Mama verstehe.
»Da dachte ich ja auch, Jenny würde mitkommen.«, erwidere ich. Ursprünglich war eine meiner besten Freundinnen auch für dieses Camp angemeldet, aber dann wollte sie doch lieber mit ihrem Freund in ein anderes Ferienlager. Jetzt bin ich alleine. Mit lauter anderen Mädchen, die wahrscheinlich die Natur über alles lieben und riesige Wanderrucksäcke und -schuhe besitzen, während ich nur bequeme Sneakers und einen robusten Rucksack gepackt habe.
»Aber sie wollte nicht?« Ich sehe Mamas irritierten Blick durch den Rückspiegel. Sie hat recht, es ist bescheuert. Ihr Freund scheint meiner besten Freundin anscheinend wichtiger zu sein, als eine schöne Zeit mit mir. Ich kann es ihr nicht übel nehmen. Hätte ich einen Freund, würde es mir wahrscheinlich genauso gehen.
»Sie wollte lieber mit ihrem Freund in ein Ferienlager«, erwidere ich, während ich mich dazu zwingen muss, nicht die Augen zu verdrehen.
»So ist die Liebe... Nichts ist für die Menschen wichtiger als die erste Beziehung.« Ich glaube kaum, dass Liebe so wichtig sein kann. Okay, ich hätte wahrscheinlich vor wenigen Wochen genauso gedacht, aber jetzt meide ich alles, was auch nur im Entferntesten mit Liebe zu tun hat. Ich will nicht an ihn erinnert werden. Aber gerade passiert es wieder.
»Das wirst du verstehen, wenn du einen Freund hast.«, meint Mama, als ihr mein verwirrter Blick auffällt. Werde ich das? Werde ich meinen Freund vor alles andere setzen, nur weil ich ihn liebe? Ich liebe doch auch meine Familie und meine Freunde, nur halt auf eine andere Weise. Liebe ist doch nicht immer nur in einer Beziehung. Liebe ist überall.
Ich setze meinen Kopfhörer wieder ganz auf. Olivia Rodrigo setzt gerade den Refrain ein.
»Oh, the things I did. Just so I could call you mine. Oh, the things you did. Well, I hope I was your favorite crime«, singt Olivia Rodrigo in meine Ohren. Ich muss an Adrian denken und all die Dinge, die ich mit ihm erlebt habe.
Während das Lied langsam zuende geht und Selina Mour mit Solo einsetzt, laufen in meinem Kopf wie als Film all die Momente mit ihm ab. Adrian. Ein Junge, der mir erst nichts wert war und mir jetzt die Welt bedeutet. Keine Ahnung, wie er das geschafft hat. Vom ersten Moment in der Bücherei, wie wir das gleiche Buch ausleihen wollten und dann ins Gespräch gekommen sind. Wir haben uns öfters in der Bibliothek gesehen und uns irgendwann auch außerhalb getroffen.
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The Summer Of Our Lives - Henri und Charlie
Teen Fiction»Ich fühle mich gut bei ihr. Ich fühle mich richtig. Perfekt so, wie ich bin. Dieses Gefühl hatte ich noch nie bei irgendjemandem« Henri und Charlie sind so verschieden, wie zwei Mädchen nur sein können. Henri liebt es, sich zu stylen und mit ihren...