Kapitel 11 - Charlie

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Ich liege wach in meinem Schlafsack. Henri scheint schon zu schlafen und all die anderen Naturmädchen auch, aber ich habe noch immer kein Auge geschlossen. Der Tag war so schön, aber trotzdem ist da noch immer dieser Platz in meinem Kopf, der einfach nur ihr gewidmet ist.

Lou. Dem Mädchen meiner Träume, seit dem ersten Tag. Ich hasse es, sie zu lieben. Ich hasse es, jeden Tag diesen Schmerz zu spüren. Heute war er kaum da, weil Henri fast jede Sekunde bei mir war und mich abgelenkt hat. Sie bedeutet mir was. Und zwar immer mehr. Sie ist schon jetzt, nach einem Tag, viel mehr als nur eine Ablenkung von Lou. 

Ich drehe mich um, um nachzusehen, ob Henri noch wach ist, aber ihre Augen sind geschlossen. Sie sieht süß aus, wie sie dort liegt. Ihre schwarze Haarpracht auf dem Kissen verteilt und die Augen geschlossen. Ich könnte sie stundenlang ansehen. Bis unter die Nasenspitze liegt sie in ihrem Schlafsack eingekuschelt. Ich strecke meine Hand aus und bin kurz davor, Henri zu berühren, aber dann zucke ich zurück. Was tue ich hier? Was zum Teufel ist nur in mich gefahren? Seit ich Henri kenne, bin ich so anders. Ich erkenne mich selbst nicht mehr. Als wäre ich ein ganz neuer Mensch. In einer ganz neuen Welt. 

Ich hebe meinen Kopf, um mich zu versichern, dass auch alle anderen schlafen, dann lasse ich ihn wieder fallen und kuschele mich in den Schlafsack, als sich eine Gänsehaut auf meinem Körper ausbreitet. Es kühlt immer weiter ab, obwohl es noch vor ein paar Stunden fast dreißig Grad warm war. 

Ich starre an die Decke der Hütte, wo gerade eine Spinne ihr Netz aufbaut. Normalerweise würde es mich stören und ich würde mir einen anderen Schlafplatz suchen, aber das ist mich gerade egal. Zumal es auch gar keinen anderen Schlafplatz mehr bei uns gibt.
Gruselige Dunkelheit streckt sich durch die Hütte und etwas Angst breitet sich in mir aus. Ich wünschte, ich würde einfach schlafen. Ich hasse es. Jeden Abend dasselbe Spiel. Ich bin als einzige wach und meine Gedanken wuseln durch meinen Kopf, wie zu keiner anderen Zeit des Tages. 

»Ist jemand wach?«, flüstere ich in die Dunkelheit, aber es kommt keine Antwort zurück. Ich fühle mich alleine. Verloren in einer Hütte, irgendwo im Nirgendwo. Ich erinnere mich an Ninas Worte ganz am Anfang. Wenn es euch nicht gutgeht, weil ihr nicht schlafen könnt oder ihr Heimweh habt, könnt ihr immer zu mir zum Betreuer-Zelt kommen, hatte sie gesagt. Ich spiele tatsächlich mit dem Gedanken, das zu tun. Aber wieso sollte ich das tun, wenn ich durch den Wald laufen muss? Alleine. In der absoluten Finsternis. Das bin nicht ich. Ich bin nicht so mutig, das zu tun. Aber ansonsten wäre ich alleine... 

Ich erinnere mich daran, dass am Ausgang unserer Hütte eine Taschenlampe hängt, was mich dazu überzeugt, den Mut aufzubringen, um Nina aufzusuchen. Es muss schon nach Mitternacht sein und es ist wirklich stockdüster. 

Ich taste mich so leise wie möglich aus meinem Schlafsack und laufe über den mit Stroh bedeckten Boden. Ich strecke meine Arme nach vorne, bis ich auf die Wand treffe. Ich ertaste sie und nehme die Taschenlampe vom Harken, nachdem ich sie gefunden habe. Ich ziehe die Tür auf und versuche dabei, dass sie nicht knarzt, aber das gelingt mir nicht. Trotzdem scheinen alle noch zu schlafen. 

Ängstlich schalte ich die Taschenlampe an und leuchte auf den kleinen Weg vor mir, der mich zurück auf den Hauptweg bringt. Ich muss nach links, dann nur noch geradeaus, bis ich zum Haupthaus komme. Es ist nicht weit, aber trotzdem spüre ich die Angst in mir aufsteigen. Ich tue zwar immer so, als hätte ich keine Angst, aber eigentlich bin ich ein richtiger Angsthase. 

Mein Herz schlägt schneller als ich auf den Hauptweg einbiege. Es sind nur noch ein paar Meter, Charlie. Beruhig dich, ermahne ich mich selbst, aber das bringt mir auch nicht viel mehr Mut ein. Ich muss da jetzt durch. 

So schnell wie möglich laufe ich den Weg entlang und komme schon bald zum Haupthaus. Puh, geschafft! 

Ich biege in den kleinen Weg zum Haupthaus ein und strecke meine Hand zum Klopfen aus. Soll ich das wirklich machen? Ich ziehe den Arm zurück. Was soll ich denn überhaupt sagen? Ich kann nicht schlafen, weil ich an Lou denken musste, weil ich sie so liebe? Oh Gott, bloß nicht. Auch wenn es die Wahrheit wäre. Ich musste an Lou denken. Ich muss immer an Lou denken.

The Summer Of Our Lives - Henri und CharlieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt