Kapitel 19 - Charlie

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Ich halte mein Handy in der Hand und scrolle mich durch TikTok. Meine For-You-Page besteht zu mindestens 90% aus heißen Mädchen. Gerade tanzt ein knapp bekleidetes Mädchen mit langen blonden Haaren einen aktuellen TikTok-Trend. Ich scrolle weiter. Zu knapp bekleidet. Es erscheint ein anderes Mädchen mit schulterlangen schwarzen Locken, die ihr leicht ins Gesicht fällen. Sie trägt ein Oversized-Shirt mit der Aufschrift einer Rockband, die ich ebenfalls liebe. Ich klicke zweimal, um ein Herz zu hinterlassen. 

»Hey«, höre ich da Henris Stimme hinter mir. Ich schalte sofort den Bildschirm aus und drehe mich zu ihr um. Sie sieht erschöpft aus, also deute ich auf den freien Platz neben mir. Sie lässt sich ins Gras fallen, schlüpft aus den Schuhen und streckt ihre Füße ins Wasser. Dabei berührt sie leicht mein Bein, was sofort wieder ein Kribbeln in meinem Körper auslöst. 

»Hi« Ich sehe sie an. Sie wirkt ziemlich fertig. Ob das nur an der Wanderung liegt? »Alles gut?«

»Ja, na ja... Nein...« Sie lässt ihren Kopf in den Nacken fallen und rauf ihre Haare. Sie muss echt verzweifelt sein... worum es geht, ich werde für sie da sein. 

»Was ist denn?«, frage ich leise, während ich darüber nachdenke, Henri zu umarmen oder zumindest einen Arm um sie zu legen. Sie sieht aus, als könnte sie das gerade wirklich gebrauchen. Ich schenke ihr erstmal nur ein aufmunterndes Lächeln und höre ihr zu. 

»Na ja, ich habe mich bei meinen Freundinnen geoutet und mit Adrian telefoniert... Ist einfach echt viel passiert...«, erzählt sie. Ich schnaufe. Ich habe mich nur bei wenigen Personen geoutet, weil ich einfach nicht so viele Freunde habe. Für Jo war das alles gar kein Problem und so konnte ich mit ihm und den anderen Jungs genauso über Mädchen sprechen wie sie. Auch meine Mom hatte ja gar kein Problem damit, wofür ich auch echt dankbar bin. Ich habe schon von anderen lesbischen Mädchen gehört, die nach ihrem Outing rausgeflogen sind. Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, wieso. 

»Und? Wie haben sie reagiert? Und wie lief es mit Adrian?« Ich habe etwas Angst, dass das mit Adrian echt nur ein Missverständnis war und er sie doch mag und Henri ihn auch. Vielleicht merkt sie so, dass sie mich doch nicht mag, sondern Adrian. Aber ich will, dass sie glücklich wird. Egal, ob sie das mit mir oder mit jemand anderem ist. 

»Zwei meiner Freundinnen haben total gut reagiert und die eine hat sich dann sogar auch geoutet. Aber die andere hat echt scheiße reagiert... Wir waren alle drei der Meinung, dass wir nichts mehr mit ihr zu tun haben wollen. Ihre Homophobie war nicht der einzige Grund dafür. Sie redet in letzter Zeit nur noch über ihren Freund und ist schon länger immer mal wieder gemein zu uns.«, erzählt sie mir. 

»Oh... Vielleicht war das ja dann ganz gut, dass ihr die Freundschaft beendet habt.« Mir tut Henri echt leid. Ich bin schon bei meinen engsten Freunden und Familienmitgliedern geoutet, sie hat das alles noch vor sich... 

»Ja, glaube ich auch... Ich habe danach mit Adrian telefoniert, weil er mir geschrieben hat. Ich habe die Sache mit seiner Freundin angesprochen.«

»Und?«

Henri schnauft und lässt sich nach hinten auf den Rasen fallen, sodass nur ihre Füße noch im Wasser schwimmen. Ich mache es ihr nach und drehe mein Kopf in ihre Richtung. Ich bin ihr nah. Es fühlt sich richtig an. Am liebsten würde ich sie küssen. Es ist zu verlockend, ihr wunderschönes Gesicht direkt vor mir zu haben. Ich kann jede Sommersprosse auf ihrer Nase zählen und ihre blau-braunen Augen bewundern. Sie ist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. 

»Es war kein Missverständnis. Er hat wirklich eine Freundin.«, flüstert sie. Es reicht mir. Ich verstehe sie gut. Sie ist so nah bei mir, dass sie gar nicht lauter reden müsste. 

The Summer Of Our Lives - Henri und CharlieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt