Kapitel 8 - Henri

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»Ich... es...«, setzt Charlie an. Ich sehe ihr an, wie schwer es für sie ist, darüber zu reden. Sich zu öffnen. Ich kenne das Gefühl. Mir geht es doch genauso. Ich öffne mich nicht. Ich bin die, der sich andere öffnen. Ich rede nicht über Adrian. Nicht mit meinen Eltern, nicht mit meinen Freundinnen. Mit niemandem. Ich mag es, für andere da zu sein. Ich mag es, mir ihre Probleme anzuhören, um einmal nicht an meine eigenen denken zu müssen. 

Ich sage nichts, weil ich weiß, dass Charlie nur von sich aus davon erzählen wird und würde ich jetzt etwas sagen, würde es vermutlich alles ruinieren. 

»Es ist kompliziert.«, kommt es nur von ihr. 

»Liebe ist immer kompliziert.«, erwidere ich und muss wieder an Adrian denken. Es stimmt. Liebe ist kompliziert. Denn Jungs sind kompliziert. Und daran kann man auch nichts ändern. Jungs finden uns wahrscheinlich genauso kompliziert. »Jungs sind kompliziert.«, füge ich also nochmal hinzu. 

»Wenn es doch nur um einen Jungen gehen würde...«, kommt es von ihr. Sie sieht mich nicht mehr an, sondern tut, als wäre der Wald viel spannender als dieses Gespräch, obwohl ich genau weiß, dass sie keine Lust auf den Wald hat. 

»Wie meinst du das?« Ich sehe Charlie an, aber sie macht keine Anstalten aufzusehen. 

»Ich bin...«, setzt sie an, aber Nina unterbricht uns. 

»Ach, da seid ihr ja!« Sie kommt neben uns gerannt und grinst uns beide mit diesem Lächeln an, das sich wahrscheinlich jeden Tag in jeder Sekunde auf ihrem Gesicht befindet. Ich habe keine Ahnung, wie sie es schafft, immer so fröhlich zu sein. Ich könnte das nicht. Ich habe ja so schon viel damit zu tun, meine Trauer wegen Adrian zu überspielen. Sogar das fällt mir ja schon schwer. 

»Ja, da sind wir.«, gebe ich etwas genervt zurück. Ich war so kurz davor, endlich zu erfahren, was Charlie beschäftigt. Was los ist. Aber daraus wird wohl nichts. 

»Das Essen ist fertig. Kommt ihr mit?« Wir nicken und Nina führt uns zurück zum Haupthaus. Dieses Mal nicht zu dem uralten mit der schönen Küche, sondern zu der Hütte von Nina und Wolfgang. Sie führt uns hinter dem Haus entlang, wo sich ein großer freier Platz, umgeben von vielen Bäumen befindet. 

Überall stehen Tische mit Bänken, die schon gefüllt mit all den anderen sind. Haufenweise Jungs und Mädchen stürmen zu mir, starren meine in Verband eingewickelte Hand an und fragen, ob alles gut sei. Eine Frage, die mich schon immer nervt, obwohl sie eigentlich freundlich gemeint ist. Wenn ich weine oder mich verletzt habe, ist natürlich nicht alles gut. Diese Frage kann man sich wirklich sparen. 

Trotzdem finde ich es aber natürlich nett, dass sich so viele um mich kümmern. Das hat was von Teamgeist und ich liebe es, ein Team um mich herum zu haben. Ich liebe es, wöchentlich Hockey mit meinen Freundinnen zu spielen. Ich mag dieses Gefühl, wenn man zusammen gewinnt. Oder manchmal eben auch gemeinsam verliert. Egal, was passiert, man tut es immer zusammen und das liebe ich so an diesem Sport. 

Auf den Tischen sind Töpfe mit Kartoffeln und Gemüse verteilt und überall stehen Teller und Besteck. Lou winkt uns – oder wahrscheinlich eher Charlie – von Weitem zu und deutet auf die freien Plätze neben ihr. 

Ich werfe Charlie einen Blick zu. Ich habe inzwischen gemerkt, dass ihr Verhalten irgendwie mit Lou zusammenhängt, aber ich habe keine Ahnung, wie. Was meinte sie noch eben? Wenn es doch nur um einen Jungen gehen würde. Ich sehe Lou an, dann wieder Charlie und ich sehe etwas in ihrem Gesicht, was mir bekannt vorkommt. Das mir das nicht schon früher eingefallen ist! 

Charlie steht auf Lou! Darum geht es! Ich kenne ihren Gesichtsausdruck. Ich kenne diesen Schmerz, der sich darin widerspiegelt, aber ich kenne auch die Freude darin. Es ergibt alles Sinn. Bei Lou ist sie verkrampft. Und sie hat zugegeben, Liebeskummer zu haben. Dass ich nicht schon viel früher darauf gekommen bin! Ich habe einfach nicht darüber nachgedacht, dass nicht jeder heterosexuell ist. Natürlich weiß ich das und habe auch nichts gegen Homosexualität, aber irgendwie habe ich in dem Moment einfach nicht die Einstellung in meinem Kopf gehabt. Sie steht nicht auf Jungs. Sie steht auf Mädchen. Sie steht auf Lou. 

The Summer Of Our Lives - Henri und CharlieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt