»Ist alles okay zwischen Henri und dir?«, höre ich Lous Stimme wie aus einer anderen Galaxie. Ich weiß, sie sitzt direkt neben mir, aber es kommt mir trotzdem so vor, als wäre sie weit weg. Vielleicht bin aber auch ich diejenige, die weit weg ist. Ganz weit weg. In meiner eigenen Galaxie.
Nicht mal Lou interessiert mich mehr. Ich denke nur an Henri und die Worte, die ich ihr vorhin an den Kopf geschmissen habe. Ich hasse mich dafür. Manchmal überrollt mich alles einfach und ich sage Dinge, die ich eigentlich überhaupt nicht so meine. Henri hasst mich. Bestimmt hasst Henri mich! Ihr Blick vorhin war eindeutig. Sie will nichts mehr von mir. Sie wollte wahrscheinlich nie etwas von mir. So wie sie denkt, ich wollte nie etwas von ihr.
Ich wünschte, sie wüsste, wie besonders sie für mich ist. Es ist nicht oft, dass mir ein Mädchen wichtig ist und sympathisch wird, aber Henri hat es irgendwie geschafft. Und ich habe alles ruiniert. Wir hätten Freundinnen werden können. Wir hätten wirklich Freundinnen werden können, auch wenn ich das im ersten Moment, als ich sie gesehen habe, nicht gedacht habe.
Es kommt mir vor, als läge dieser Moment Ewigkeiten zurück, dabei war er erst vor ein wenigen Stunden. Ich kann gar nicht glauben, was seitdem alles passiert ist. Ich hätte die Chance auf so tolle Tage hier gehabt, einfach weil Henri da ist und mich täglich eine längere Zeit von Lou befreit. Wenn ich bei ihr bin, denke ich nicht permanent an sie und wie es mir wegen ihr geht. Ich bin da und fühle mich wieder wie auf dieser Welt. Anders als jetzt.
»Alles super.«, brummele ich nur und auf einmal spüre ich ein Gefühl, das ich so in mir noch nie gespürt habe. Zumindest nicht in Lous Nähe. Es fühlt sich komisch an, aber es ist wahr. Das erste Mal in meinem Leben seit der Begegnung mit Lou im Schlagzeug-Raum unserer Musikschule, fühle ich mich anders. Genervt. Ich habe nicht das Bedürfnis, mit Lou zu sprechen. Ich habe nur das Bedürfnis, weg zu sein. Irgendwo anders, aber nicht hier. Am besten bei Henri.
»Du wirkst aber nicht so.« Lou sieht mich mitleidig an, dann breitet sich ein Grinsen über ihre dünnen hellen Lippen aus. »Du magst Henri, oder?«
Ich starre Lou an, als hätte sie mir gerade eröffnet, die Erde sei ein riesig großes Schokobonbon mit cremiger Füllung, anstatt dieser Worte. Ich weiß, ich könnte diese Aussage einfach mit den Worten Nein, ich mag dich aus dem Raum schaffen, aber so einfach ist es eben nicht.
»Woher willst du das wissen? Du bist hetero!«, erwidere ich. Ich kann diese Worte nicht steuern, sie kommen einfach aus mir heraus. Wie gerade bei Henri. Es ist, als wolle ich mich nochmal absichern, dass Lou auch wirklich nur auf Jungs steht und nicht vielleicht doch bisexuell ist.
»Ja, aber auch als Heterosexuelle sieht man, wer wen gerne hat.« Bum. Ein Schlag in meinen Magen. Es ist, als wäre ich von meiner süßen Erden-Schoko-Bonbon-Welt in die Hölle versetzt worden. Es ist eine Bestätigung, die ich schon viel früher hatte, aber trotzdem ist sie erst jetzt wirklich wahr.
Mir war immer klar, dass Lou nicht auf Mädchen steht, aber das jetzt nochmal so deutlich von ihr zu hören, ändert diese Sache nochmal. Ich wünschte, ich hätte es niemals gefragt. Ich wünschte, ich könnte weiter in meiner Traumwelt leben, in der Lou bisexuell und unsterblich in mich verliebt ist. Aber das ist nur Wunschdenken. Diese Welt wurde zerstört. Spätestens gerade eben.
»Also?«, kommt es von Lou, noch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, was sie da gerade gesagt hat. Sie. Ist. Hetero. Wieso zum Teufel schaffe ich es dann immer noch nicht, das zu akzeptieren? Sie hat mich sofort akzeptiert, als ich mich bei ihr geoutet habe. Sie wäre die letzte gewesen, die etwas gegen mich gehabt hätte. Im Gegenteil, sie war für mich da. Hat mir ihre Hilfe angeboten. Sie war die erste nach meiner Mom, der ich von meiner Sexualität erzählt habe. Und sie haben mich beide unterstützt. So sehr, wie man es sich nur wünschen kann.
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The Summer Of Our Lives - Henri und Charlie
Teen Fiction»Ich fühle mich gut bei ihr. Ich fühle mich richtig. Perfekt so, wie ich bin. Dieses Gefühl hatte ich noch nie bei irgendjemandem« Henri und Charlie sind so verschieden, wie zwei Mädchen nur sein können. Henri liebt es, sich zu stylen und mit ihren...