Du starrst

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Patrick's POV

"Ihr seid sicher müde", stellt Liv's Mutter fest, als wir ankommen, aber mehr als eine Feststellung ist es auch nicht. "Ja, wir gehen gleich hoch", antwortet Liv steif und zieht mich hinter sich her. "Lass mich doch deine Tasche tragen", bitte ich, doch sie schüttelt stumm den Kopf und läuft vor mir die Treppe nach oben. Wenn sie so drauf ist, kann ich nicht mal die Aussicht von ihrem Hintern vor meinem Gesicht genießen. Als sie mich in ihr Zimmer gezogen hat, schließt sie die Tür, lehnt sich mit dem Rücken dagegen und atmet erleichtert auf. "Ich hätte nicht gedacht, dass es SO ist", gebe ich zu. "Das war noch gar nichts", seufzt sie und fährt sich mit der Hand übers Gesicht. "Lass uns ein bisschen schlafen, wir müssen heute lang wach bleiben", schlage ich vor und schlinge meine Arme um sie. Erleichtert atme ich auf, als ich merke, dass sie sich wie immer in meinen Armen etwas entspannt. "Klingt gut", murmelt sie und schaut zu mir hoch, "Ich bin völlig fertig". Das habe ich auch bemerkt. Ich gehe rückwärts, bis ich die Bettkante in meinen Kniekehlen spüre und lasse mich mit ihr nach hinten fallen. Sie zieht die Decke über uns und kuschelt sich eng an mich. Ich merke genau, wie nach und nach die Anspannung von ihr abfällt. Ich schiebe meine Hand unter ihren Pulli und male kreise auf die weiche Haut an ihrem Rücken. "Ich liebe es wenn du das machst", seufzt sie und ich fange an zu grinsen. Und ich kann die Finger nicht von ihr lassen, das ist alles reiner Eigennutz. "Danke, dass du hier bist. Der Coach hat mir erzählt, wie sehr du betteln musstest um freigestellt zu werden. Ich weiß das zu schätzen", fügt sie hinzu. "Der Coach redet zu viel. Ich bin gerne mit dir hier und bin mir jetzt schon sicher, dass ich es nicht ertragen hätte, dich alleine fliegen zu lassen", erwidere ich und merke, wie sich ihre Atmung langsam beruhigt. Vielleicht schafft sie es ja doch ein bisschen zu schlafen. Ich selbst mache erst die Augen zu, als ich mir sicher bin, dass sie eingeschlafen ist. 

Ich werde von einer abrupten Bewegung geweckt und öffne verwirrt die Augen. Liv streicht sich gerade die Haare von der schweißnassen Stirn und ich setze mich seufzend auf. "Ich habe ganz vergessen, wie beschissen die Albträume sind", murmelt sie und atmet tief durch. "Und ich habe vergessen, wie schlimm es ist dir dabei zuzuschauen", antworte ich und ziehe sie an mich. "Wir müssen eh aufstehen, die Party geht in einer Stunde los", seufzt sie und windet sich aus meinen Augen. Enttäuscht lasse ich sie los und schaue zu, wie sie aus dem Raum verschwindet. Während ich ratlos meine Tasche durchwühle, höre ich die Dusche nebenan laufen. Was zur Hölle zieht man hier zu so einer Party an? "Kannst du dich bitte beeilen? Meine Eltern sind sauer, wenn sie auf uns warten müssen", bittet Liv, als sie in ein Handtuch gewickelt wieder rein kommt. "Geht klar, aber ich weiß wirklich nicht, was ich anziehen soll", seufze ich verzweifelt. "Ich suche dir was raus", bietet sie an und ich verschwinde mit frischer Unterwäsche im Bad. 

Als ich das Zimmer frisch geduscht wieder betrete, bleibt mein Atem stehen und ich erstarre in der Tür. Liv trägt ein schwarzes glitzerndes Kleid, das sich wie eine zweite Haut an sie schmiegt und gerade so das nötigste bedeckt. Gott steh mir bei, wie soll ich diesen Abend überleben? "Du starrst", stellt sie fest und fuchtelt mit dem Lockenstab in der Luft herum. "Du siehst auch absolut umwerfend aus", verteidige ich mich und reiße den Blick von ihren langen Beinen. Fehler, denn jetzt bleibe ich weiter oben hängen. "Komm schon, wir sind spät dran", erinnert sie mich und mein Blick schweift zum Bett, wo sie mir meine schwarze Jeans und ein weißes Hemd bereitgelegt hat. "Ich werde dich keine Sekunde aus den Augen lassen", flüstere ich in ihr Ohr und streife mit meinen Lippen an ihrem Hals entlang. Es macht mich wirklich verrückt, sie in diesem Kleid zu sehen. "Hör auf, wir sind schon zu spät", lacht sie und schiebt mich weg. Flüchtig reibt sie sich über die Arme, die Gänsehaut ist mir aber nicht entgangen. Ich liebe es, dass sie so auf mich reagiert. Mit einem letzten prüfenden Blick checkt sie ihr Make-up und die weichen Locken im Spiegel, ehe sie mich die Treppe hinunter zieht. Unten wirft sie sich einen langen Mantel über, den ich noch nie an ihr gesehen habe. Der muss wohl die ganze Zeit in Deutschland gewesen sein. "Meine Eltern sind schon weg", stellt sie resigniert fest. Wieso haben sie nicht gewartet? Oder wenigstens Bescheid gesagt, dass sie schon gehen? Liv führt mich eilig durch den Ort, der vor langer langer Zeit mal ihr Zuhause gewesen ist. Jetzt scheint es so, als könne sie nicht schnell genug laufen um all dem hier zu entfliehen. Nach einer Weile biegt sie scharf rechts ab und führt mich auf einem schmalen Pfad entlang. Wie kann sie bitte in den Absatzschuhen auf diesem Untergrund laufen? Vor uns geben die Bäume jetzt die Sicht auf eine große Holzhütte frei. Sind wir für so eine Location nicht overdressed? Na ja, sie wird schon wissen, was sie macht. 

Als wir die Hütte betreten, fühle ich mich dann plötzlich doch underdressed. So eine Gesellschaft habe ich hier nicht erwartet, einer schicker als der andere angezogen. "Wir müssen uns zum Essen zu meinen Eltern setzen, später mischt sich dann alles neu und die Leute sortieren sich eher nach Alter", erklärt sie und steuert einen Tisch an, an dem ihre Eltern bereits sitzen. "Schön, dass ihr es auch noch geschafft habt", begrüßt uns ihre Mutter, ohne den Vorwurf in der Stimme zu verstecken. Wir sitzen beide recht steif an dem Tisch und ich werde schon schnell in Gespräche verwickelt. "Und Patrick, wie läuft die Season für die Chiefs?", fragt Liv's Vater. Natürlich geht es um die Arbeit, was auch sonst. "Die Season läuft gut, wir sind schon sicher in den Playoffs und wieder AFC West Sieger. In ein paar Tagen läuft unser letztes Spiel vor den Playoffs, ich werde aber vermutlich auf der Bank sitzen. Der Coach will mich schonen, da wir ja schon sicher weiter sind", antworte ich und bemühe mich, den gelangweilten Unterton zu unterdrücken. All das könnte man auch googeln. "Wirklich beeindruckend, was du da auf dem Feld immer leistest", spricht er mir die Anerkennung aus, die eigentlich seine Tochter hören sollte. "Ach, wir spielen nur Football, aber Liv macht etwas wirklich wichtiges. Sie hat ausgezeichnete Noten und gibt alles für ihr Medizinstudium. Das ist wirklich beeindruckend, sie rettet schließlich Menschenleben", lenke ich ab und hoffe, dass sie ein wenig Aufmerksamkeit bekommt. "Ach, Liv ist noch am Anfang des Studiums, da ist doch alles nur Theorie. Menschenleben rettet sie ganz sicher nicht", widerspricht ihr Vater und ich balle unter dem Tisch die Hände zu Fäusten. Wie kann er nur so sein? Er ist ihr Vater, er sollte mächtig stolz auf sie sein und sie nicht klein reden! Liv ist der beeindruckendste Mensch, den ich je getroffen habe und er kehrt das alles unter den Tisch. Ich spüre, wie Liv ihre Finger zwischen meine schiebt und meine Faust öffnet. Sie schaut mich entschuldigend an und streicht über meinen Handrücken. Sie sollte mich nicht so anschauen, ihr Vater sollte es tun. "Liv hat ja nicht den NC erreicht, sonst hätte sie auch an einer renommierten Uni in Deutschland studieren können", fügt ihre Mutter hinzu und ich muss mich immer mehr zusammenreißen. Das wird ein sehr sehr langer Abend werden...

Quaterback's Number OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt