Du darfst

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 Mit etwas Verspätung eilen wir in den Kinosaal, was auch nicht schlecht ist, wir haben nämlich die Hälfte der Werbung verpasst und es ist schon dunkel. Niemand schenkt uns Beachtung und sollten wir gehen bevor die Lichter angehen, könnten wir es unbemerkt schaffen. "Sagst du mir jetzt endlich welchen Film wir schauen?", bettle ich Patrick an, doch er schüttelt lachend den Kopf. "Das ist eine Überraschung", wiederholt er zum zehnten Mal heute Abend. 

"Frozen III?", quietsche ich, als die ersten Sekunden des Films laufen. Die Leinwand ist noch schwarz, doch allein an der Musik habe ich es erkannt. Den ganzen Rest des Films erlange ich meine Fassung nicht zurück. Ich liebe diese Filme einfach! "Das war perfekt", flüstere ich Patrick zu, als wir uns während des Abspanns raus schleichen. "Ich wusste, dass es dir gefallen wird", antwortet er lächelnd und greift nach meiner Hand. Wir gehen gemeinsam ein Stück die Straße hinunter und stehen vor einem riesigen Restaurant. "Nicht so unglaublich schnieke", äffe ich ihn nach und bestaune den Laden. Es sieht verdammt schnieke aus! "Komm schon, du wirst es lieben", verspricht er und zieht mich an der Hand mit ins Innere. Wir werden sofort empfangen und an unseren Tisch gebracht. Er liegt ganz hinten versteckt in einer Ecke, geschützt vor jeglichen Blicken. "Das ist perfekt", murmle ich, als wir uns gegenüber sitzen und ich die schöne Dekoration bestaune. "Freut mich, dass es dir gefällt", sagt Patrick lächelnd und nimmt dem Ober die Karten ab. Ich bin wirklich überfordert mit der Auswahl und traue mich gar nicht auf die Preise zu schauen. "Du weißt, dass ich auch mit KFC zufrieden gewesen wäre?", frage ich nur zur Sicherheit. Patrick schaut mich an und nickt. "Ich weiß, mach dir keine Gedanken. Genieß es einfach", erwidert er. Es fühlt sich trotzdem an als würde ich ihm auf der Tasche liegen. Ich könnte mir solch ein Restaurant niemals leisten und er weiß das. Trotzdem gibt er mir ein gutes Gefühl bei der Sache. Ich entscheide mich für den Lachs, während Patrick Ente isst und verdammt, das ist das beste Essen meines Lebens. "Das ist so gut", stöhne ich genüsslich, als wir mittlerweile beim Dessert angekommen sind. Auch der Wein macht sich ein bisschen bemerkbar. Patrick grinst mich einfach nur an und nickt. "Ich liebe es hier. Und man kann ungestört essen", bemerkt er. Stimmt, bisher ist uns niemand zu nahe gekommen und andere Gäste bemerken uns vermutlich gar nicht. "Wollen wir nach Hause gehen?", fragt Patrick und lächelt mich glücklich an. Ich nicke und erhebe mich ein bisschen wackelig von meinem Stuhl. Okay, vielleicht doch ein Glas zu viel. "Ich bin definitiv aus der Übung was Alkohol betrifft", kichere ich und Patrick schlingt einen Arm um meine Hüfte. "Manchmal muss man selbst. trinken und nicht nur anderen ausschenken", lacht er und verlässt mit mir das Restaurant. Draußen ist schon alles weihnachtlich geschmückt und ich lasse meinen Blick über die ganzen Lichterketten schweifen. "Liv?", fragt Patrick und bleibt unter einen Laterne stehen. Er deutet nach oben auf den Mistelzweig, der über uns hängt. Auf meinem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus und ich drehe mich zu ihm um. Er schiebt eine Hand in meinen Nacken und beugt sich zu mir hinunter. "Weißt du, wie du mich zum glücklichsten Mann der Welt machen würdest?", nuschelt er gegen meine Lippen, "Indem ich dich meine Freundin nennen dürfte". Ich lege meine Hand an seine Wange und schaue ihn an. "Du darfst", hauche ich und finde mich einen Augenblick später in seiner festen Umarmung wieder. "Danke", nuschelt er in meine Haare. Und eigentlich bin ich doch die dankbare, er ist so toll und so geduldig. Seufzend löse ich mich von ihm und greife wieder nach seiner Hand. "Ich bin todmüde", sage ich mit einem unterdrückten Gähnen. "Möchtest du bei mir schlafen?", fragt er mit einem Seitenblick zu mir hinunter. Ich nicke und laufe dicht an ihn geschmiegt zu seinem Haus. Wir drehen das ganze Spiel um, denn heute reicht er mir eine verpackte Zahnbürste und wir machen uns Seite an Seite bettfertig. Kurze Zeit später liege ich in einem Shirt von ihm in seinem Bett und warte darauf, dass er nach kommt. Als er in Jogginghose und ohne Oberteil aus dem Bad tritt, halte ich die Luft an. Er ist so perfekt, einfach perfekt. Und er ist mein Freund. Es fühlt sich noch seltsam an und doch bin ich mir sicher, dass es so richtig ist. Er und ich, wir gehören zusammen. "Ich wollte dir noch was erzählen, oder eigentlich eher zeigen", sage ich, als er zu mir ins Bett kommt. Ich atme einmal tief durch, drehe ihm den Rücken zu und ziehe das Shirt nach oben. Als der Stoff den Blick auf die große Narbe an meinem unteren Rücken freigibt, höre ich, wie er scharf die Luft einzieht. "Was ist passiert?", flüstert und streckt die Hand aus, zieht sie aber augenblicklich wieder zurück. "Sebastian ist oft wütend geworden und hat mich geschlagen. Das ist an dem Abend passiert, an dem ich endlich da raus gekommen bin. Er war wieder sauer, weil ihm das Essen nicht geschmeckt hat. Er hat mich geschlagen und dann....", ich stocke und versuche den dicken Klos im Hals hinunter zu schlucken, "Hat er den heißen Schürhaken vom Kamin genommen und mich verbrannt". Ich lasse den Stoff fallen und ziehe die Decke von der Seite meines Oberschenkels, damit er auch die andere Narbe sehen kann. Ich trage viele davon an meinem Körper, aber das sind die größten. Er sitzt noch immer stumm da und starrt auf meine entstellte Haut. "Ich kann das gar nicht glauben", flüstert er und ich erkenne Tränen in seinen Augen. "Und ich kann damit leben", versuche ich ihn zu beruhigen und streiche eine Träne aus seinem Gesicht, "Es wird jeden Tag ein bisschen weniger schlimm". Er schaut mich unsicher an, ich sehe die Fragen in seinem Blick brennen. Ich nicke ihm aufmunternd zu und er holt tief Luft. "Was ist die schlimmste Narbe?", fragt er schließlich. Ich war auf die Frage vorbereitet und doch trifft sie mich. Ich lehne mich ein Stück zurück und ziehe das Shirt jetzt auf der Vorderseite nach oben. Der Blick auf die große Narbe quer über meinen Unterleib wird frei. "Nachdem er mich verbrannt hat, wollte er es zu Ende bringen. Er hat ein Messer genommen... Ich bin froh, dass mein Bruder vorbeigekommen ist um nach mir zu sehen, weil ich nicht auf seine Nachrichten geantwortet habe. Sebastian war schon weg und ich fast verblutet. Er ist genau im richtigen Moment aufgetaucht", erzähle ich stockend. Dieses Mal überlegt er es sich nicht anders und berührt meine Haut zögerlich. Ich zucke zusammen, er nimmt sofort seine Hand weg und wir schauen uns einfach beide mit Tränen in den Augen an. Mit einem tiefen Atemzug nehme ich seine Hand und lege sie zurück auf die Narbe. "Ich fühle mich besser, jetzt wo du es weißt", flüstere ich und höre dabei selbst das Erstaunen in meiner Stimme. "Ich bin froh, dass du es mir erzählt hast", antwortet er leise und zieht mein Shirt wieder runter, "Kleine Schritte, ja? Ich möchte nicht, dass es dir zu viel wird". Ich lache kurz auf und wische mir die Tränen vom Gesicht. "Weißt du, ich glaube du könntest mir nie zu viel werden", schniefe ich wahrheitsgetreu, mache das Licht aus und kuschle mich an seine Seite. Er schlingt seine Arme um mich und ich atme seinen Geruch ein. Niemals hätte ich es für möglich gehalten mich so schnell entspannen zu können, gerade nach diesem Gespräch. "Danke. Danke, dass du bist wie du bist", nuschle ich müde und schließe die Augen. "Für dich bin ich was immer du willst. Gute Nacht", flüstert er zurück und gibt mir einen Kuss auf den Scheitel, den ich kaum noch wahrnehme, weil ich schon halb im Land der Träume bin. 

Quaterback's Number OneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt