-31-

175 5 0
                                    

Bis heute frage ich mich wie ich das alles geschafft hatte. Aber eins wusste ich. Ich hatte riesen Glück gehabt. Alleine schon die Tatsache, dass mich niemand nach meinem Ticket im Zug befragt hatte. Dies war mir in der ganzen Aufregung kaum aufgefallen.  Ich hatte vor Angst erstarrt die ganze Zeit auf meinem Platz gesessen und hatte kaum was wahr genommen. Mein Kopf hatte so vor Gedanken gesprüht und mein Herz hatte so laut gepocht, dass alles um mich herum verschwamm. Ich erwachte erst aus meiner Trance, als die Computer Stimme das Endziel bekannt gab und alle übrig gebliebenden Gäste aufstanden. Auch ich war aufgestanden und wie ein Roboter bin auch ich zum Ausgang gelaufen. Als ich ausgestiegen war traf der eisige Wind mich mitten ins Gesicht und ich bekam eine Gänsehaut in diesem dünnen Kleid. Ich sah mich um. Es war alles so fremd.  Aber trotzdem kannte ich diese Stadt. Ich lief zu den anderen Gleisen und irgendwann erblickte ich einen Ortsnamen. Dort wohnte meine Tante. Dort musste ich hinkommen. Ich schaute auf die Uhrzeit und tatsächlich würde ein Zug gleich eintreffen. Es dauerte auch nicht lange und er traf ein. Auch dort stieg ich ein und setzte mich in die hinterste Ecke.  Der Zug war nicht voll. Ein paar Menschen saßen drin doch sie schienen mich nicht bemerkt zu haben.  Ich rutschte in meinem Sitz auch etwas weiter nach unten, sodass ich nicht zu sehen war. So schaffte ich es auch dieses Mal ohne Ticket durchzukommen. Ich war zwar schon müde aber trotzdem tauchte ab und an wieder das Adrenalin der Angst auf, dass mich wieder erwachen ließ.  Als der Zug in besagter Stadt ankam, stand ich auf und stieg aus. Auch hier war es kalt und schon ziemlich dunkel. Doch ich musste hier sein und nicht nach Hause kommen, denn das wäre der erste Punkt, wo er mich suchen würde. Ich ging raus aus dem Bahnhof und lief die besagte Strecke. Die Strecke war ich schon oft gelaufen. Zusammen mit meinen Eltern.  Wir fuhren oft zu meiner Tante und erst letztens waren sie hier gewesen. Wo ich mit Tanja am Zelten war. So lange kam es mir plötzlich vor. Wie lange war ich überhaupt weg gewesen? Als ich das kleine Haus sah stiegen mir die Tränen in die Augen. Es brannte Licht. Ich näherte mich der Tür und klingelte.  Mir war so kalt, dass ich meine Hände nicht mehr spürte. Die Tür ging auf und meine Tante starrte mich an. "Ja bitte?" "Tante Ursel? Ich bin es. Amalia." "Ach herrje liebes. Was machst du denn hier? Komm doch erstmal rein es ist ja viel zu kalt!" Ich ging rein und sie schloss die Tür.  Wohlige Wärme umgab mich. Tante Ursel dirigierte mich sofort ins Badezimmer und gab mir Sachen zum wechseln. Ich duschte mich ab und zog mich um. Dann ging ich zu ihr ins Wohnzimmer. Sie hatte Tee gekocht und Kekse hingestellt.  Einladend winkte sie mich zu sich. "Erzähl mal mein Kind.  Warum bist du hier? Hast du Streit mit deinen Eltern? Sie haben mir vor Monaten erzählt dass du verschwunden bist und jetzt tauchst du hier auf. Und warum hattest du so ein teures Kleid an? Was ist dir passiert?" Ich konnte erstmal nicht sprechen. Die Vertrautheit und ihre liebevolle Art überfluteten mich so sehr, dass alles aus mir raus brach und ich erstmal anfing zu weinen. Ich weinte so lange bis nichts mehr raus kam. Und dann fing ich an zu erzählen.  Ich erzählte ihr alles. Meine Tante unterbrach mich während meiner Erzählungen nicht. Als ich fertig war sah sie mich mit traurigen Augen an. Sie stand auf und umarmte mich. So standen wir eine ganze Zeit, bis sie sich von mir löste und mich ansah.  "Ich rufe deine Eltern an."  Ich nickte. Und das tat sie dann auch. Als ich die Stimme meiner Eltern hörte weinte ich schon wieder.  Meine Mutter schrie auf und auch mein Vater.  Sie hatte mich monatelang gesucht und auch Tanja war mit den Nerven am Ende. Ich telefonierte auch mit ihnen und wir besprachen den weiteren Verlauf.  Natürlich wussten sie, dass ich nicht nach Hause konnte und auch dass sie sich in Sicherheit begeben mussten, denn ich wusste nicht ob er nicht doch meinen Eltern etwas antun würde. Auch Tanja wurde eingeweiht. Wir trafen uns alle bei meiner Tante und es war eine herzensreiche Wiedervereinigung.

Die Tage und Wochen darauf passierte einiges. Meine Eltern zogen um. Und auch ich fand eine Wohnung in einer anderen Stadt. Tanja blieb erstmal in ihrer alten Wohnung aber sie hatte sich auch fest vorgenommen nach zu kommen. In dieser ganzen Zeit vergaß ich beinahe was mir passiert war.
Ich versuchte mein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen.  Ging wieder arbeiten in einer neuen Stadt und lebte mein Leben.  Ich schaffte es nach einigen Monaten endlich auch alleine rauszugehen. Fand einge neue Bekanntschaften. Meine Eltern besuchten mich und ich besuchte sie. Und auch mit Tanja telefonierte ich ständig.  Wir hatten unsere festen Uhrzeiten. Immer Mittwochs um 19 Uhr. Ich hatte um 18 Uhr immer Feierabend, so auch heute. Ich kaufte etwas ein und brachte es dann nach Hause. Bevor ich meine Haustür aufschloss überprüfte ich immer den Briefkasten.  Heute waren einige Briefe und ein kleines Kuvert drinne. Ich holte alles in die Wohnung und stellte den Einkauf weg. Duschte mich und kochte mir gerade etwas zu essen, als das Telefon klingelte. Ich schaute auf die Uhr. Es war 19 Uhr. Tanja rief an! Ich schnappte das Telefon und rief freudestrahlend: "Hey Tanja! Pünktlich wie auf die Minute!" An der anderen Leitung war es still. Keine lachende Tanja. Ich stutzte. "Hallo?" Ich hörte ein Atmen. "Wer ist denn da?" Und dann sagte eine Stimme etwas. "Öffne das Kuvert." Ich kannte diese Stimme nicht. Sie war irgendwie verzerrt aber trotzdem bekam ich Herzklopfen. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit. Ich legte das Telefon beiseite und öffnete das Kuvert. Eine CD kam zum Vorschein. Mehr war da nicht drin. Ich nahm den Hörer wieder ans Ohr.  "Was ist das für eine CD? Und wer sind Sie?" Ich hatte Angst. "Schau sie dir an." sagte die Stimme und dann legte sie auf. Ich war wie erstarrt.  Fassungslos starrte ich den Hörer an. Was war das? Doch dann kam ich ins Handeln. Ich legte das Telefon auf die Station und nahm die CD in meine Hand. Ich suchte meinen Laptop und legte sie dort hinein. Nervös wartete ich. Es tauchte aufeinmal ein schwarzer Bildschirm auf. Und dann sah ich etwas was mich aufschreien ließ.  Tanja! Sie war auf einem Stuhl gefesselt und geknebelt. Hinter ihr standen eine Werkbank und lauter Werkzeuge.  Ich bekam eine Gänsehaut.  Plötzlich tauchte eine Gestalt neben ihr auf und Tanja's Augen weiteten sich vor Entsetzen. Die Person drehte sich zur Kamera und starrte mich an. Mir wich alle Farbe aus dem Gesicht. Ich fing an zu schreien. Nein! Nein nein nein! "Hallo Schätzchen, na hast du mich vermisst? Nein?! Schade.  Ich dich dafür umso mehr. Fühlst du dich jetzt sicher? Hast du dir ein neues Leben aufgebaut? Sag mir hast du Still und heimlich gelacht, weil du es geschafft hast zu fliehen? Eine reife Leistung das muss ich gestehen. Du bist wirklich eine kluge Frau. Aber du weiß dass ich das nicht akzeptieren kann. Erinnerst du dich? Du gehörst mir. Und ich habe dir nicht erlaubt zu gehen. Geschweige habe ich dich freigelassen? Nein! Und du hast dich schon wieder mir widersetzt. Was habe ich dir denn gesagt, als wir im Auto saßen? Na? Kommt es dir in den Sinn? "  Ich starrte wie gebannt auf den Bildschirm. Er holte plötzlich etwas aus seiner Jackentasche und hielt es vor die Kamera. "Weißt du was das ist Anastasia? Ja du siehst richtig. Ein Skalpell. Und was macht man damit? Man schneidet etwas auf. Richtig Kleines. Und ich habe dir gesagt, dass wenn du nicht artig bist ich dich häuten werde bei lebendigem Leib. Aber da du nicht hier bist werde ich es deiner kleinen Freundin antun." "Nein lass sie gehen du Idiot!!!!" Ich schrie ihn an! Meine Finger krallten sich an den Laptop und ich wollte am liebsten durch ihn durchgehen. "Ach Schätzchen Schrei doch nicht so. Das kannst du tun wenn ich dich in die Hände kriege.  Du wolltest doch mit mir spielen aber jetzt spiele ich mit dir. Spielen wir ein Spiel. Wer verliert dem blüht etwas. Wenn du deine Freundin retten willst, musst du sie finden. Hinweise dazu werde ich dir selbstverständlich schicken. Aber dafür müsstest du dich für sie opfern.  Was ich mit die mache oder ob ich dich dann Häute weiß ich noch nicht.  Ich möchte doch meine Freundin nicht wieder verlieren." Er lächelte auf einmal ganz liebevoll und meine Nackenhaare sträubten sich. " Aber eine Strafe wirst du auf jeden Fall bekommen. Oder aber du  entscheidest dich gegen deine Freundin und lebst dein Leben weiter und deine kleine Freundin wird sterben. Ganz langsam und qualvoll. Und dann wirst du trotzdem nicht in Sicherheit sein. Denn denke daran ich weiß wo du bist. Ich gebe dir einen Monat Zeit. Und das nur weil ich dich liebe, dass weißt du hoffentlich noch. Also Anastasia,  wie entscheidest du dich?" Er ging plötzlich hinter Tanja und legte das Skalpell an ihr Gesicht.  Tanja atmete hektisch und ich sah ihre Angst in ihren Augen.  Mein Herz zerbrach in tausend Teile. "Opferst du deine Freundin und versteckst dich wieder wie ein feiges Huhn? Oder opferst du dich und deine Freundin wird friedlich nach Hause gehen können ohne ernsthafte Verletzungen? Wie entscheidest du dich?" Er wandte sich an Tanja. "Was denkst du Tanja? Wie wird sie sich entscheiden? Ist sie eine wahre Freundin oder waren dass nur Lügen? Man sagt doch immer dass man für seine Freunde sterben würde oder?" Er fing plötzlich an das Skalpell in Tanjas Haut zu vergraben. Trotz des Knebels hörte ich ihre erstickten Schreie. Meine Hände verkrampften sich und ich konnte nichts anderes tun als zu weinen. Er stoppte und ich sah wie Blut herunter tropfte.  Er hatte ihr einen Schnitt versetzt. Nun wandte er sich wieder an mich. "Also Schätzchen. Ich werde dir in den folgenden Tagen Hinweise zu kommen lassen und dann werden wir ja sehen, wie du dich entscheidest. Wenn du die Hinweise hast wird die Zeit gezählt. Dann hast du einen Monat Zeit deine kleine Freundin zu finden.  Wenn du es nicht schaffst stirbt sie und dann werde ich dir einen Besuch abstatten oder aber du findest sie und kannst somit wenigstens ein Leben retten. Ich freue mich darauf dich wieder zu sehen . Und denk daran ich weiß was du tust. Keine falschen Spielchen. Die Polizei wird dir auch nicht weiter helfen können. Fliehen ist genauso  zwecklos. Du alleine machst dich auf den Weg, sonst verliert sie bald ihre zarte weiche Haut. Also.." Er zog eine Uhr heraus und hielt sie vor die Kamera. Ich hörte das Ticken. Tick tack. Tick tack. Tick tack. Und dann wurde der Bildschirm schwarz.

ENDE

In your PosessionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt