Part 1

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Wir schreiben das Jahr 1690

Bristol. Eine bedeutende Hafenstadt im Südwesten Englands.
Der Hafen war ein wichtiger Knotenpunkt im Handel und des Sklavenhandels.
Inmitten dieser Stadt, stand ein Haus aus einfachem Mauerwerk.
Es war nicht sehr groß und wirkte unscheinbar.
In diesem Haus lebte Myra Brown mit ihrem Vater. Sie kümmerte sich um den Haushalt. Während ihr Vater seine Arbeit als Fischer nach ging.
Sein Beruf brachte nicht sehr viel Geld nach Hause. Es reichte gerade so für Essen. Für neue Kleider reichte es nie. Ihre Kleider waren zerschlissen.
Mit Fetzen und Stoffresten stopfte Myra die Löcher.
Myras Kleider waren aus Baumwolle. Der Saum des Kleides war abgenutzt.  Darunter trug sie ein Mieder.
Über ihrem Kleid trug sie eine Schürze wenn sie der Hausarbeit nach ging. Auch ihre Schuhe wiesen die ersten Löcher im Leder auf.
Sie war gerade mit der Hausarbeit fertig und setzte sich an das offene Fenster. Ihr Blick wanderte hinunter zum Hafen. Gerade legte ein Handelsschiff an.
Ein dutzend Leute strömten mit Proviant und Kisten von dem Schiff.
Myra hielt sich vom Hafen fern.
Sie hatte Angst.
Angst vor manch zwielichtiger Gestalt aber noch mehr Angst hatte sie vor dem Wasser.
Als kleines Kind wäre sie dort unten fast ertrunken.
Sie stand damals, vor 13 Jahren, mit ihrer Familie am Hafen. Verwandte mütterlicher Seits kamen an diesem stürmischen Tag an.
Es war ein Gedränge. Leider achtete niemand auf die kleine Myra.
Sie wurde immer weiter Richtung Schiff gedrängt. Myra war so klein und zart, das sie zwischen Dock und Schiff ins Wasser fiel.
Sie schrie und paddelte wie wild mit ihren zarten Armen.
Henry, ihr Bruder,  eilte seiner kleinen Schwester zur Hilfe.
Myra wurde durch die Wellen gegen die Steinmauer des Docks getrieben. Immer wieder schlug sie mit ihrem Kopf an.
Ihr Kopf tauchte unter Wasser, sie schluckte viel davon.
Sie wurde schwächer und konnte sich nur noch schwer über dem Wasser halten.
Henry konnte sie rechtzeitig an sich ziehen. Er war fünf Jahre älter und war geübt im Schwimmen. Die Besatzung des Schiffs beobachtete das Geschehen. Sie warteten nicht lange und halfen den Kindern sofort.
Henry und Myra wurden aus dem Wasser geholt. Der Arzt des Schiffs kümmerte sich um das bewusstlos Mädchen.
Myra kam zwar zügig wieder zu sich, doch dieses schreckliche Ereignis brannte sich wie ein Brandmal ein.
Nun war sie 19 Jahre alt. Noch immer hatte sie Angst.

Ein Jahr nach diesem Ereignis starb ihre Mutter. Sie hatte eine schwere Form von Typhus. Ausgelöst durch verschmutztes Trinkwasser.

Auch ihr Bruder war nicht mehr da.
Vor vier Jahren verschwand er einfach. Henry wurde das letzte Mal abends in der naheliegenden Schenke gesehen. Auch konnte man Myra sagen, dass er sich mit einem fremden Mann unterhielt aber dann verlor sich seine Spur.

Myra gab die Hoffnung nie auf.
Sie wusste, irgendwann würde sie Henry wieder treffen. Diese Hoffnung hielt sie am Leben.
Ihr Vater war kein netter Mann. Nach dem Tod seiner geliebten Frau verfiel er dem Alkohol. Oft maßregelte er seine Kinder mit Schlägen. Entweder mit der Hand oder mit einem Gürtel.
Henry warf sich oft vor seine Schwester und nahm die Schläge in Kauf.

Doch seit ihr Bruder nicht mehr hier war, musste Myra alleine darunter leiden.
Henry hatte ihr auf den Wiesen und in den Wäldern das Kämpfen beigebracht. Zum einen mit einem Säbel und zum anderen mit Pfeil und Bogen.
Die Säbel hatte er vom Sohn des Schmieds, welcher genau so alt wie Henry war.

Ihr Vater wollte sie schon des öfteren verheiraten. Es waren Männer, welche ihre vierziger schon überschritten hatten. Myras Glück war, daß keiner dieser Männer Interesse an ihr zeigte.
Myra war keine gewöhnliche Frau in dieser Zeit. Sie stand für ihre Meinung ein und ließ sich nicht den Mund verbieten. Sie diskutierte mit ihrem gegenüber und nahm deren Meinungen und Forderungen nicht einfach so hin.

Dies war der Hauptgrund, warum die Männer sie nicht wollten.
Sie wollte keine arrangierte Ehe.
Myra behielt den Traum tief in ihrem Herzen, einen Mann aus Liebe zu heiraten.

Myra war eine sehr ansehnliche junge Frau. Sie hatte hellbraune Haare, welche ihr in Wellen bis weit über die Schulter reichten. Ihre glasklaren, grünen Augen zogen viele in ihren Bann. Sie hatte eine sehr anziehende Figur, welche sie aber unter ihren Kleidern versteckte.

Sie schreckte von ihrem Fensterplatz auf, als ihr Vater die Hütte betrat. Sie begrüßten sich nur sperrlich. Er würdigte ihr kaum eines Blickes.
Myra hatte sich daran gewöhnt.
Vater hasste es, dass Myra ihn Tag für Tag an seine verstorbene Frau erinnerte.

Nun zog er deshalb einen Schlussstrich.  Er erklärte, dass er eine Überraschung für sie habe. Dafür müsse Myra nur mit ihm in die Nähe der Docks. Auf der einen Seite freute sie sich, auf der anderen wurde ihr ganz flau im Magen. Doch sie gab sich einen Ruck und folgte ihrem Vater. Sie wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sie nie wieder in die Hütte zurückkehren würde.

Myra folgte ihrem Vater stumm. Vor ihnen ragte nicht nur der Fluss Avon auf, sondern auch ein Schiff. Es lag etwas abseits. Myra ließ den Blick nur beiläufig über das Schiff gleiten. Doch ihre Schritte verlangsamten sich, als ihr etwas ins Auge fiel. Das Schiff fuhr unter einer schwarzen Flagge. Piraten.
Ihr Vater meinte, sie solle sich beeilen. Angst keimte in Myra auf. Sie kamen an einem kleinen Anleger an.
Ein Paddelboot war am Pfeiler festgeknotet. Auf dem Steg stand ein zwielichtiger Mann.

Vater ging zu ihm, sie unterhielten sich. Myra fragte sich, wo denn die Überraschung wäre. Ihr wurde mulmig zumute. Ihre Gedanken kreisten. Dadurch bekam sie nicht mit, wie sich hinter ihr zwei weitere Männer näherten. Erst als sie grob an den Armen gepackt wurde, schaute sie auf. Zwei muskelbepackte Männer schliffen sie zum Steg.

Der fremde Mann übergab ihrem Vater ein Säckchen voller Geld.
Myra verstand langsam was hier vor sich ging. Ihr Vater hatte sie für Geld verkauft. An Piraten.
Sie schrie ihren Vater an, verfluchte ihn. Doch er drehte sich nur um und ging. Tränen der Trauer und Enttäuschung liefen über ihr Gesicht.
Den Männern war es anscheinend genug, sie bekam einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf.
Myra sackte bewusstlos in den Armen der Piraten zusammen.

Nun begann ihr Schicksal...

The Pirates Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt