30. Kapitel

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"Ist das ein Tattoo?", fragte ich verdutzt.

Ich hatte ihm schamlos dabei zugesehen, wie er sein Hemd ausgezogen hatte und beugte mich nun näher an die kleine Schattierung auf seiner linken Schulter. Es war die Kontur eines Zweigs und eines kleinen Vogels mit kräftigen, schlagenden Flügeln.

"Jap."

"Sieht schön aus", murmelte ich. Mit schön meinte ich: heiß. Es war nur ein kleines Tattoo, fein gestochen, aber es lockte meinen Blick zu seinen breiten Schultern und verlieh ihm direkt etwas unanständiges.

"Ich habe sogar noch eins", meinte Jack, während er sein Hemd zur Seite legte und sich an seiner Hose zu schaffen machte. Uff. Meine Augen folgten unkontrolliert seinen Händen und ich sah dabei zu, wie er die Hose öffnete und über seine Beine strich. Beharrte Beine, die so viel robuster aussahen als meine. Gott, wieso fand ich sogar das an ihm anziehend? Er war verflucht nochmal Mathe-Student. Er hatte kein Recht darauf, so attraktiv zu sein.

Warte. Was hatte er gerade nochmal gesagt? Ich ließ meinen Blick wieder nach oben zu Jacks Gesicht wandern, wo mir schon sein Grinsen entgegensprang. Mist.

"Ähm, ja. Noch eins, sagst du?", erinnerte ich mich schnell. "Wo denn?"

"Ich denke, heute ist nicht der Tag, dir das zu zeigen", schmunzelte Jack.

Mir klappte die Kinnlade nach unten. "Da?", fragte ich tonlos und deutete nach unten. Zu seiner Körpermitte, die nur noch von der engen schwarzen Boxershorts verdeckt wurde. "Das, ähm, war vor zwei Jahren aber noch nicht da?", fragte ich schnell und lenkte mich ab, in dem ich meine Shorts ebenfalls auszog. Vorher schaltete ich aber schnell das Licht meiner Handy-Taschenlampe aus.

"War es auch nicht."

"Und was, äh, bedeuten deine Tattoos? Oder hast du sie einfach nur so gestochen?" Ich war immer noch unkonzentriert, aber es half, Jack nicht anzusehen und mich mit etwas anderem zu beschäftigen. Ich schlüpfte in meine kurze Pyjamahose und machte mich dann an meinem Oberteil zu schaffen.

"Brauchst du Hilfe?", fragte Jack ruhig und ich wandte ihm abrupt den Kopf zu. Hatte er mich beobachtet? In der Dunkelheit war das schwer zu erkennen.

"Ja, du hast das zu fest geschnürt", murmelte ich. Meine Arme verkrampften schon wieder bei dem Versuch, die Knoten an meinem Rücken zu lösen.

Jack rutschte an mich heran und ich zuckte zusammen, als seine Fingerspitzen meinen Rücken berührten. "Sorry", lachte er leise und öffnete koordiniert mein Oberteil.

Als es offen war, drehte ich mich demonstrativ so weg, dass er garantiert nichts sehen konnte und zog mir schnell ein lockeres Schlaf-Shirt über. Ich schlüpfte unter die Decke und drehte mich auf die Seite, sodass ich Jack ansehen konnte. Zu meiner Verwunderung trug er ebenfalls ein frisches T-Shirt. Ob er eine Hose trug, konnte ich nicht erkennen, da seine Beine vollständig unter der Decke lagen.

"Das Tattoo an meiner Schulter habe ich für meine Mutter machen lassen. Ich habe mich oft schlecht gefühlt, wenn ich einfach meinen Alltag gelebt habe, Spaß hatte und dabei viel zu lange vergessen habe, an sie zu denken", erklärte Jack. Er lag nur eine halbe Armeslänge von mir entfernt, wenn ich wollte, könnte ich mit den Finger durch sein Haar streichen. "Ich weiß, das ist Unsinn, aber ich konnte diese Gedanken nicht abstellen. Es ist besser jetzt. Und das Tattoo hilft dabei. Selbst wenn ich länger nicht an sie denke, habe ich so nicht mehr das Gefühl, sie zu vergessen und im Stich zu lassen."

Ich nickte. Ich konnte es natürlich nicht nachempfinden, aber ich konnte es verstehen.

"Und das zweite... ist für diesen unglaublichen Sex, den ich mal mit einer auf der Club-Toilette hatte", sagte Jack aus dem nichts und ich verschluckte mich prompt. "Bitte was?!"

Er lachte. "Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Das musst du wohl selbst rausfinden." Er sah mich unbeirrt an und selbst in der Dunkelheit konnte ich sein charmantes Lächeln ausmachen. Mein Herz klopfte so schnell, dass es beinahe aus meiner Brust heraussprang. Ich wusste überhaupt nicht mehr, was er nun ernst meinte und was ein Scherz war.

"Ich mache nur Spaß. Es ist auf meinem Oberschenkel, ich muss bloß die Boxershorts ein bisschen nach oben schieben, aber man kann nichts Verbotenes sehen, keine Sorge", ruderte Jack schmunzelnd zurück, was es allerdings nur wenig besser machte.

Ich atmete einmal durch, bevor ich wieder sprach, aus Angst, dass meine Stimme versagte. "Okay. Dann zeig's mir." Ich war auf einmal furchtbar nervös. Aber ich wollte seine Herausforderung annehmen. Es war nichts dabei, sagte er. Also war auch nichts dabei. Nur, dass in meinem Unterleib bereits ein erwartungsvolles Ziehen zupfte.

Jack griff nach seinem Handy. Er leuchtete mir damit einmal ins Gesicht und lachte, als ich erschrocken aufjaulte. Idiot.

Er drückte mir das Handy in die Hand. "Hier. Schau nach."

"Ich??", keuchte ich. "Du wolltest doch", meinte er unbeteiligt. Ja, aber doch nicht selbst... Trotzdem schlug ich die Decke zurück und setzte mich auf, um an Jacks Beine zu gelangen. Falls ich mich das vorhin gefragt hatte: er hatte sich keine Hose angezogen. Nur das T-Shirt und seine Boxershorts.

"Ähm, auf welcher Seite denn?", fragte ich angespannt. Alles in mir schrie, ich sollte weg hier, aber ich konnte keinen Rückzieher mehr machen.

Jack grinste kopfschüttelnd, aber erbarmte sich mit mir. Er setzte sich ebenfalls auf und nahm mir das Handy ab, um es mit der Taschenlampe nach oben abzulegen. Er schob seine Boxershorts an seinem rechten Oberschenkel ein kleines Stück nach oben und ich konnte die fein gestochenen Linien erkennen.

"Das sieht mir gewaltig nach etwas mathematischem aus", stellte ich fest. Erleichtert, dass es wohl doch nichts mit diesem unglaublich-guten-Toilettensex zu tun hatte. Ich konnte trotzdem nicht verhindern, dass meine Augen über seine Körpermitte schweiften. Wenn er den Stoff nur ein Stück weiter zur Seite schieben würde, könnte ich alles sehen. Etwas in mir kribbelte und ich bemühte mich, das Atmen nicht zu vergessen.

"Ist es auch. Der Satz des Pythagoras in Teildreiecken", erklärte er und verdeckte das Tattoo wieder. Er schaltete seine Taschenlampe aus und ich legte mich zurück auf mein Kissen. "Du spinnst", teilte ich ihm mit und spürte, wie die Anspannung in mir langsam wieder nachließ.

"Eine verlorene Wette", gestand er. "Ansonsten hätte ich mir wahrscheinlich auch ein schöneres Motiv rausgesucht."

"Was war die Wette?", fragte ich neugierig und sah dabei zu, wie er sich ebenfalls wieder unter die Decke legte. Seltsamerweise war ich kein bisschen mehr müde.

"Ach, eine dämliche Mathe-Studenten Wette. Und ich war mir absolut sicher, dass ich recht habe. Tja. Mein Kumpel hatte noch mehr recht."

"Hmm." Das waren definitiv neue Dinge, die ich hier über Jack lernte.

"Hast du auch Tattoos?", fragte er. "Nee. Nur einen Bauchnabel-Piercing, sonst nichts."

Plötzlich spürte ich, wie Jacks Arme nach mir griffen. Mir entwich ein undefinierbarer Laut, als er mich zu sich zog und ich mich Sekunden später an ihn gepresst wieder fand.

Verdattert sah ich ihn an. "Du schuldest mir noch eine Umarmung", murmelte er. Oh. Das stimmte.

Ich wickelte meine Arme um seinen Oberkörper und legte den Kopf auf seiner Brust ab. Seine Arme waren ebenfalls um mich geschlungen und ich spürte die Körperwärme durch unsere T-Shirts. Meine Augen waren weit aufgerissen, doch nach einer Weile holte mich ein beruhigendes Gefühl ein und ich schloss sie. Ich war Jack so nah, dass sich sein frischer Geruch in meiner Nase festsetzte. Wieso löste das ein Hüpfen in meinem Magen aus? Ich war gleichzeitig nervös und absolut entspannt, konnte alles loslassen, spürte aber wie mein pochendes Herz das Blut durch meine Adern pumpte. Eine absurde Mischung. Aber ein schönes Gefühl.

"Mhh", murmelte ich zufrieden und schmiegte mich enger an Jack. Ich verschlang meine Beine mit seinen und genoss den direkten Hautkontakt.

Er festigte den Griff um meinen Rücken und hielt mich. Dabei wollte doch eigentlich ich ihn halten.

Die mathematische Formel für LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt