Die mathematische Formel für Liebe

13. Kapitel

Heute war der beschissenste Freitag seit langem.

Ich war nach Hause gekommen und hatte mich aufs Wochenende gefreut. Ellie hatte die Post herein geholt und meine Briefe wie üblich auf dem Küchentisch liegen lassen. Ich war mit meinen Briefen ins Zimmer gegangen und hatte sie nacheinander geöffnet.

Das meiste war Werbung und für den Müll. Ein Brief von unserem Energieversorger, dass die Preise angepasst wurden. Nichts Spannendes.

Bis auf diesen einen Brief.

Er hatte keinen Absender. Auch keine Briefmarke in der rechten Ecke, aber einen von diesen Codes, mit denen man mittlerweile Briefe verschicken konnte. Das äußere Erscheinungsbild war mir schon komisch vorgekommen. Die Schrift war krakelig. Und wer schickte mir überhaupt Briefe, die er handschriftlich adressierte? Kein normales Unternehmen jedenfalls, von denen ich sonst fast ausschließlich Post erhielt.

Die zahlreichen Briefe, die ich sonst von meiner Krankenversicherung erhielt, regten mich normalerweise auf, aber in diesem Moment wäre mir sogar eine Mahnung inklusive Säumniszuschlag lieber gewesen. Ich würde sogar meinen Versicherungsstatus teuer aufstocken - das wäre gar nicht schlecht, denn als ich den Brief las, erlitt ich einen kurzen Herzstillstand:

Du bist eine egoistische Schlampe, Violet. Nicht mal deine Mutter liebt dich, und dein namenloser Vater ist sowieso bei der erstbesten Möglichkeit abgehauen. Also tu uns allen einen Gefallen und nehm dir ein paar der Tabletten, mit denen du sonst die Senioren stilllegst. X

Ich las den Brief wieder und wieder, bis ich es vor aufkommenden Tränen in den Augen nicht mehr konnte. Mein Körper zitterte und ich ließ den Brief kraftlos fallen, bevor ich mich geschockt zum Bett hievte. Wer zum Teufel schickte mir sowas? Die Person musste mich kennen, das waren gleich mehrere private Infos über mich, die derjenige wusste.

Mir fiel keiner ein, der mir so etwas schreiben würde. Mit welchem Zweck denn auch? Das musste aus tiefstem Hass heraus geschehen sein.

Ich ging im Kopf die Menschen meines Lebens durch.

Angefangen bei meiner Mutter selbst. Aber nein. Sie hatte ihre Fehler, aber sie liebte mich auf ihre Weise und niemals käme sie auf die Idee, mir absichtlich zu schaden. Auch wenn der Verfasser des Briefs etwas anderes behauptete.

Könnte Ryan mir so etwas schreiben? Aber das waren Informationen, die er gar nicht wusste. Er wusste vielleicht, dass ich mal im Altenheim gearbeitet hatte, aber er kannte nicht meine Adresse. Und über meine Familiensituation hatte ich ihm auch nichts berichtet.

Jack? Aber auch er konnte diese Dinge über mich eigentlich gar nicht wissen. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich derart verabscheute. Eine kleine Abneigung führte nicht zu solchen Briefen. Ich würde ja auch im Leben nicht auf die Idee kommen, Jack so etwas in den Briefkasten zu werfen, nur weil ich ihn nervig fand. Andererseits würde ich sowieso bei keinem Mensch der Welt ein solches Bedürfnis verspüren.

Dass mir meine Freundinnen so etwas nicht schickten, war wohl klar. Dazu zählte ich auch Ellie.

Jemand aus meiner Vergangenheit? Hatte ich mal unabsichtlich jemanden verärgert? Aber wieso sollten dann gerade jetzt, nach unbestimmbarer Zeit, solche Briefe auftauchen? Das erschien mir auch nicht logisch.

Der Einzige, der mir noch in den Sinn kam, war Theo. Er hasste mich definitiv. Aber ob er mir solche Briefe schreiben würde, nur weil ich mit seiner Freundin befreundet war und mich zu billig präsentierte? Das erschien mir zweifelhaft. Trotzdem musste ich Ellie fragen, ob sie ihm private Dinge über mich erzählt hatte. Er kannte zwar meine Adresse. Aber dass ich Altenpflegerin gewesen war oder meinen Vater nicht kannte, hatte ich ihm sicherlich nie erzählt. Redete er mit sowas über Ellie? Fragen über Fragen. Aber nicht die Offenbarung, die ich suchte.