Bonuskapitel 1

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ZWEI JAHRE ZUVOR
~ JACK ~

"Noch 'n Bier?"

Mein Kumpel sah mich misstrauisch an. Als Leon auch nach vier Sekunden noch nichts auf meine Frage geantwortet hatte, zuckte ich die Schultern und lief allein Richtung Bar. Dann eben nur eins für mich.

Oder ich bestellte trotzdem zwei. Eins für gleich und eins für die Hand. Hauptsache ich war nicht mehr diesen mitleidigen, fragenden Blicken meiner Freunde ausgesetzt.

Ich wusste genau, was sie dachten.

Jack, du Armer, es tut uns so leid. Aber meinst du nicht, dass du langsam genug hattest? Du kannst deine Trauer nicht jedes Mal in Alkohol ertränken.

Eben doch. Ich konnte so viel trinken, bis ich besinnungslos an nichts mehr denken und irgendwann einschlafen würde. Genau das war mein Plan.

Denn bei aller Liebe für meine Freunde - sie konnten mir nicht helfen. Sie wollten, das sah ich in ihren Blicken. Aber sie wussten nicht, was sie tun konnten, und da gab es auch nichts. Niemand konnte mir die Last des heutigen Tages abnehmen.

Also musste mehr Alkohol her.

Gott sei Dank hinterfragte der Barkeeper nicht, dass ich schon wieder zwei Bier bestellte.

Aber ganz ehrlich? Ich hatte es mir sowas von verdient.

Da war nicht nur das mit meiner Mutter. Ihr dritter Todestag, nachdem sie nach einem langen Kampf gegen den Krebs gestorben war. Obwohl sie so ein guter Mensch gewesen war. Es war so unfair.

Aber da war auch, dass ich meinen Bachelor trotzdem durchgezogen hatte. Ich war im sechsten, letzten Semester, hatte noch drei Prüfungen und die Bachelorarbeit offen. Voll im Zeitplan also. Und das durfte man ja wohl mit einem kühlen Bier belohnen.

Als ich mich für das Bachelorstudium beworben hatte, hatte meine Mutter noch gelebt.

Fuck. Ich konnte nicht aufhören an sie zu denken. Nicht glauben, dass sie nicht mehr da war. Eine Welle der Trauer und Verzweiflung schwappte über mich.

Normalerweise kam ich im Alltag ganz gut zurecht. Der Krebs war lange Teil des Lebens meiner Mutter gewesen und ich hatte mich mehrfach darauf eingestellt, dass es irgendwann so weit kommen könnte. Natürlich war ich am Ende doch nicht vorbereitet gewesen, aber ich wusste, dass meine Mutter bereit gewesen war zu gehen. Und ich hatte ein stabiles Umfeld, das mich auffing.

Mein Vater, der mit mir litt. Meine kleine neue Halbschwester, die echt ein Sonnenschein war. Meine Stiefmutter, die das allergrößte Verständnis für uns hatte und unser Leben auch nach den ersten Wochen des Todesfalls weiter am Leben erhielt. Meine Freunde, die immer für mich da waren.

Aber heute reichte das alles nicht. Heute musste ich mich betrinken, um den Schmerz zu vertreiben. Obwohl ich langsam merkte, dass ich eigentlich gar keine Lust mehr darauf hatte. Es war so anstrengend.

Bewaffnet mit einem Bier in der linken und einem in der rechten Hand, drängte ich mich zurück zu dem Platz, wo meine Freunde vorhin gewesen waren. Leon, ein Kommilitone von mir. Und Max, mein Mitbewohner. Der teilweise fragwürdige Lebenseinstellungen hatte, aber echt ein Typ war, mit dem man so viel Spaß haben konnte. Der auf den ersten Blick nicht so wirkte, aber der, wenn es darauf ankam, ein riesengroßes Herz hatte. Er würde alles für mich tun.

Tja. Nur leider waren meine Freunde nicht mehr da, wo ich sie zurückgelassen hatte. Oder hatte ich sie ganz woanders zurückgelassen? Ich blinzelte und sah mich um. War ich vorhin hier gewesen? Ich hatte nicht den geringsten Schimmer.

Ich lief weiter durch das Summers, keine Ahnung wo ich hin wollte oder wo ich meine Freunde zurückgelassen hatte.

Meine Augen ließ ich über die Köpfe der Gäste schweben - Gott sei Dank war ich groß genug, wobei ich nur mäßig beherzt suchte. Ich würde meine Freunde irgendwann schon wieder finden. Die Suche war mir jetzt zu anstrengend.

Die mathematische Formel für LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt