19. Kapitel

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"Okay, Deal", stimmte ich zu und sah ihn herausfordernd an. "Aber erst ab nächster Woche, okay?" Ein Drittel der Zeit war sowieso fast wieder um. Und meine Jeans waren definitiv nicht die richtige Kleidung für Sport. Sollte ich dann nächste Woche mit Sportklamotten kommen? Das fand ich irgendwie übertrieben, aber ich wollte auch nicht meine anderen Klamotten vollschwitzen.

"Cool", lächelte Jack. "Dann lass uns mal mit Mathe starten, oder?"

"Ja, dann quäl mich mal los", grinste ich krampfig.

Und das tat er.

Mein Erfolgsergebnis, die gute Note, hatte mir ein bisschen Motivation verschafft, aber da wir nun ein anderes Thema durchkauten, fühlte ich mich genauso unwissend wie sonst. Es war wirklich eine Qual. Ob das echt besser werden würde, wenn ich nächste Woche zusätzlich noch Sport machen müsste? Höchst zweifelhaft. Ich bewegte mich gerne, aber mir sportliche Anweisungen von Jack geben zu lassen, während er mich mit mathematischen Formeln an den Rande der Verzweiflung bringen würde, klang nicht gerade verlockend.

Am Ende der Stunde war ich erneut kurz vor dem Zusammenbruch, aber aus anderen Gründen als bei meiner Ankunft. Mathe kostete mich wirklich jedes Fünkchen Energie. Aber es hatte mich erfolgreich von dem unerwünschten Brief abgelenkt, der zuhause mit dem anderen in meiner Schublade steckte.

Und in diesem Moment überkam mich ein überwältigendes Gefühl der Dankbarkeit.

Ich war hier angekommen, kurz vor einem Heulanfall und jetzt fühlte ich mich zwar erschöpft, aber gleichzeitig voll neuem Mut. Es gab andere, wichtigere Dinge im Leben. Menschen, die einen auf andere Gedanken bringen konnten. Und, so unvorstellbar ich das selbst fand - Menschen, die für einen da waren.

Jack hatte Muffins mitgebracht. Er hatte sie zwar nicht direkt für mich gebacken, aber jeder, der mir etwas Selbstgebackenes schenkte, hatte einen Platz in meinem Herzen verdient. Er hatte sich hingesetzt und Gedanken darüber gemacht, welche Methoden mir beim Lernen helfen können. Obwohl ich ihm ins Gesicht gesagt hatte, dass er nur die zweite Wahl war, war ich zu Marys und seiner Tanzparty eingeladen gewesen. Er nahm sich Zeit für mich, am Wochenende und in seiner Freizeit. Einfach nur, um mir zu helfen. Das war so viel mehr, als ich es gewohnt war und so viel mehr als ich es von ihm erwartet hätte.

Bei der Erkenntnis könnte ich direkt wieder losweinen. In dieser letzten Woche war ich eindeutig zu emotional.

"Jack?" Ich hatte meine Sachen bereits zusammengepackt und stand unschlüssig vor der Tür.

Er sah mich fragend an und lehnte sich locker gegen die Tischkante. "Hmm?"

"Ähm. Danke", meinte ich aufrichtig und lächelte zaghaft. "Du bist mir echt eine große Hilfe. Auch wenn ich Mathe hasse und das eventuell ein bisschen zu sehr auf dich projiziere. Aber ich schätze deine Hilfe echt sehr. Und die Zeit, die du dir für mich nimmst." Oh Gott, war das unangenehm. Aber ich musste das gerade irgendwie loswerden. "Und die Muffins", schob ich hinterher, um nicht zu sentimental zu klingen.

Jack nickte annehmend. "Kein Problem. Es freut mich, wenn ich dir helfen kann. Aber es ist auch ganz schön, mal ein Danke zu hören." Seine Augen funkelten erfreut. Es war ein schöner Anblick, vielleicht sollte ich mich öfter bedanken... einfach nur so, um diesen Ausdruck zu sehen.

Nervös schulterte ich meine Tasche neu. "Wenn du mal über dein Leben reden willst, gib Bescheid."

Er zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe. Seine Augen hatten jedoch immer noch diesen zufriedenen Ausdruck. "Über mein Leben?"

Ich zuckte die Achseln. "Ja. Ich weiß eigentlich nicht viel über dich." Außer seiner familiären Situation und dem Mathestudium wusste ich im Grunde nichts. "Und da du dir vorher meine Sorgen angehört hast, dachte ich, es ist nur fair, wenn ich dir das auch anbiete."

"Okay. Danke. Ich merk's mir", lächelte er.

Damit war alles gesagt.

Ich wandte mich schon wieder zum Gehen, überlegte es mir aber doch nochmal anders.

Scheiß drauf.

"Jack?", fragte ich erneut und er begann amüsiert zu grinsen. "Ja, Violet?"

"Willst du mit mir zu dem Festival gehen?"

Nun sah er ehrlich überrascht aus. Ich wahrscheinlich auch. Es war einfach eine spontane Idee und wahrscheinlich war sie blöd. Aber tatsächlich konnte ich mir in dem Moment gut vorstellen, dass man eine Menge Spaß mit Jack haben könnte. Er schien eigentlich gar nicht so übel zu sein, wie ich vor zwei Wochen noch gedacht hatte. Und er war eine sicherere Wahl als Warrior. Erst recht, nachdem nun ein zweiter Brief aufgetaucht war.

"Zu dem dir deine Freundin abgesagt hat? Die wievielte Wahl bin ich?", wollte er lachend wissen.

"Mhh, geheim", grinste ich. Mindestens die fünfte. Ellie, Zoe, Giana, Ryan... Aber, ganz ehrlich, mit Ryan konnte Jack definitiv mithalten. Also vielleicht nur die vierte.

Er schien es nicht persönlich zu nehmen. "Wann ist das denn?"

"Das Electronic Summer Festival. Nächste Woche schon, Pfingstsonntag auf -montag." Immerhin wusste ich, dass er elektronische Musik mochte. Jedenfalls ging ich nicht davon aus, dass Mary diese auf deren Tanzparty ausgesucht hatte.

Jack überlegte kurz und ich beobachtete ihn neugierig. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich wollte, dass er ja sagte oder nicht. Irgendwie war ich auch nervös, wie seine Antwort ausfallen würde. Aber als er sagte: "Ich müsste Zeit haben", kribbelte etwas in mir.

"Also ja?", fragte ich möglichst neutral nach.

Er zögerte einen Moment. "Ich schätze ja. Wenn du mir in der Zeit nicht den Kopf einschlägst."

Ich verkniff es mir, mit den Augen zu rollen und verzog meine Lippen stattdessen nur zu einem Lächeln. "Ich gebe mein Bestes. Wenn du mich nicht auf die Palme bringst."

"Würde ich nie", verteidigte er sich.

"Absichtlich vielleicht nicht", bemerkte ich. Wobei ich mir nicht mal da so sicher war. "Gut, also dann... du kannst ja nochmal nachschauen, ob das klappt und mir dann schreiben. Ich würde mich auf jeden Fall freuen." Denke ich.

Er nickte bestätigend. "Ja passt, ich melde mich. Hast du dann noch ein Anliegen? Oder bist du bereit zu gehen?", scherzte er.

Ich war geneigt ihm die Zunge rauszustrecken. Von wegen er würde mich nicht absichtlich provozieren. "Ich bin bereit zu gehen", lächelte ich zuckersüß und winkte ihm zum Abschied. "Einen schönen Tag noch, Jack, wir hören uns."

Ich war mir nicht ganz sicher, was ich von ihm halten sollte. Fakt war, dass er sehr hilfsbereit und eigentlich auch ganz witzig war. Was ihn irgendwie auch sexy machte. Fakt war aber auch, dass er es definitiv genoss mich zu nerven und dass er nicht davor zurückschreckte, sich über mich lustig zu machen oder mich zu korrigieren und kritisieren.

Noch auf dem Heimweg kamen die Gedanken an den Drohbrief zurück. Ich überlegte, ob und was ich Warrior schreiben sollte. Ich wollte so sehr glauben, dass er nichts damit zu tun hatte.

Zuhause angekommen, ging ich nochmal die Chats durch und wurde mir immer sicherer, dass der Verfasser der Briefe Zugang dazu gehabt haben musste. Anders konnte ich mir das nicht erklären. Das bedeutete aber, dass Warrior irgendwie in die Sache verwickelt sein musste. Trotzdem hieß das noch nicht, dass er der Schuldige war. Und ich wollte nicht zulassen, dass irgendein Arschloch, der meinte, fiese Briefe an mich schicken zu müssen, die Beziehung, die ich zu Warrior aufgebaut hatte, zerstörte.

Schließlich entschied ich mich dazu, ihm ein knappes: » Ein zweiter Brief ist da «, zu schreiben.

Die mathematische Formel für LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt