47. Kapitel

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"Alles klar. Dann sehen wir uns, wenn ich am Sonntag wieder komme", verabschiedete sich Ellie, bepackt mit einem kleinen Rucksack und zog mich in eine feste Umarmung. In eine, die ich schon so lange vermisst hatte.

"Ich hab dich lieb, Vio", murmelte sie an mich. "Ich dich auch, Ellie", murmelte ich zurück und ließ sie gehen.

Dann war ich allein.

Ich sammelte die Briefe auf, die Theo achtlos auf den Boden fallen lassen hatte. Das Ganze kam mir so unreal vor. Mein Hirn hatte die Geschehnisse noch nicht so richtig verarbeitet. Es war zu viel auf einmal passiert. Die ganzen letzten Monate standen auf einmal Kopf und ich war heillos überfordert, alles war wieder anders.

Ich würde Theo nie wieder sehen müssen. Gut, vielleicht einmal, wenn er seine Sachen hier abholte, die er immer überall verteilte. Aber dabei würde ich mit Genugtuung zusehen. Er würde endlich aus meinem Leben verschwinden, die Sorgen über die Briefe würden verschwinden, die angespannte Stimmung zwischen Ellie und mir würde verschwinden.

Trotzdem konnte ich mich noch nicht so richtig darüber freuen. Ich war einfach ausgelaugt, der Streit mit Theo lag mir noch schwer im Magen, die Last der letzten Wochen fiel nur langsam von meinen Schultern ab.

Also kroch ich aufs Sofa, unter die Decke und war froh, dass heute ein wolkiger Tag war und ich mich nicht ganz so schlecht fühlen musste, einfach nur auf der Couch zu gammeln.

Meine Laune war nicht schlecht, aber ich fühlte mich kraftlos. Zu gerne wäre ich auch zu meiner Mutter gefahren und hätte mich von ihr einfach nur trösten lassen, aber das war eine Wunschvorstellung. Also gab es eigentlich nur eins, was ich tun wollte...

Ich kramte mein Handy zwischen meiner linken Arschbacke und dem Sofa hervor und öffnete den gewünschten WhatsApp Chat. Mit Mr. Besserwisser.

» Hast du zufällig heute Zeit? «, tippte ich zögerlich und drückte auf Senden, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

Während ich nervös auf eine Antwort wartete, änderte ich den eingespeicherten Namen von Mr. Besserwisser zu Jack. Das war schon lange überfällig. Er war nicht mehr nur mein gesichtsloser nerviger Nachhilfelehrer, sondern so viel mehr.

Und vor allem liebte er es scheinbar zu telefonieren.

Denn kaum eine Viertelstunde später klingelte mein Handy in meinen Händen und sein Name ploppte als Anrufer groß über dem Bildschirm auf. Jack.

Ich tippte auf den grünen Hörer und meldete mich, ein bisschen nervös: "Ja?"

"Hi, Violet. Zufällig habe ich heute tatsächlich Zeit", sagte er durchs Telefon und ich fummelte an der Decke auf meinem Schoss rum. "Magst du mir auch sagen für was?"

Ich knabberte auf meiner Lippe herum. "Gut. Ähm.. Du meintest doch mal, dass du Profi darin bist, den ganzen Tag traurige Filme zu schauen und deinen Gefühlen freien Lauf zu lassen?"

"Das bin ich", erwiderte er und ich hörte seine Stimme so dicht an meinem Ohr, dass meine Haut darunter kribbelte. "Brauchst du Filmempfehlungen? Oder Gesellschaft?"

Die nervöse Anspannung fiel von mir ab. "Beides", murmelte ich. Das beides und als drittes wollte ich, dass er mich in den Arm nahm und ich mein Gesicht so lange an seiner Brust vergraben konnte, bis ich mich wieder wie ich selbst fühlte. Aktuell war ich nur eine Hülle meiner selbst, vollkommen mental ausgelaugt. Mein Kopf schmerzte schon vom ganzen Nachdenken.

"Alles klar", sagte er am anderen Ende locker. Als müsste er gerade überhaupt nicht mehr wissen, außer dass ich seine Gesellschaft wollte. "Jetzt sofort?"

"Wenn jetzt sofort geht, dann jetzt sofort", antwortete ich kehlig. Gott war ich froh, dass er keine Fragen stellte. Genau so wie ich es wollte.

"Okay. Ich kann in circa einer halben Stunde bei dir sein. Genügt dir das?"

Die mathematische Formel für LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt