Brunch

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Wir schafften es gerade so uns in den verbleibenden 25 Minuten anzuziehen. Schuld daran war natürlich Kyle. Mehrmals musste ich ihn erinnern, dass getrenntes Duschen sehr viel schneller vonstattenging als Gemeinsames. Er war davon weniger überzeugt, doch ich ließ mich diesmal nicht auf seine zweideutigen Angebote ein.

Gegen elf verließen wir das Hotel. Albert war wie immer pünktlich. Schweigend chauffierte er uns in das nobelste Restaurant der ganzen Stadt. Natürlich kamen wir als Letztes an. Mama, Papa, Conor und dessen Freundin, deren Namen ich schon wieder vergessen hatte, saßen bereits an einen vollgedeckten Tisch und ließen es sich schmecken.

“Ihr seid spät dran”, stellte mein Bruder fest, nachdem wir Platz genommen hatten.

“Wir haben verschlafen. Es ist gestern ziemlich spät geworden und ich habe vergessen, einen Wecker zu stellen. Außerdem ...”

“Du brauchst dich nicht zu verteidigen”, unterbrach mich Papa. “Conor ist keine fünf Minuten vor dir hier erschienen.”

Sofort warf ich einen wütenden Blick zu Conor, doch dieser grinste nur unschuldig.

“Also hat Olga dich auch angerufen”,vermutete ich.

“Nein, sie hat mir nur eine kurze Nachricht geschrieben. Ich bin in ihren Augen auch nur das kleinere Übel. Die ganze High Society spricht über euch.”

Gepeinigt verdrehte ich die Augen. “So schlimm?”

“Ihr habt euch ein hartes Rennen mit den Mettichs geliefert, aber anscheinend interessieren sich die Leute gerade mehr für Lovestorys anstatt für Familienstreitigkeiten."

“Großartig”, bemerkte ich, nahm mir eines der frischen Brötchen und bestrich es mit Butter und Honig.

“Olga hat schon mehr als ein Dutzend Anfragen für Interviews und private Fotoshootings bekommen”, fuhr Conor kauend fort. Er genoss diesen Moment sehr. Zum allerersten Mal war nicht er derjenige, der einen Skandal verursacht hatte, sonder ich.

Mama fand das alles nicht weiter schlimm. Sie wirkte nicht im Geringsten beunruhigt. Vielmehr war genau das Gegenteil der Fall. Sie freute sich über alle Maßen. “Schön, dass wir auch endlich einmal ganz oben in den Schlagzeilen stehen”, sagte sie und schaute dabei frohgemut in die Runde.

“Ich würde liebend gern darauf verzichten”, erwiderte ich und begann nun auch endlich zu essen.

Mama kannte mich gut genug, um zu begreifen, dass mir die ganze Situation nicht geheuer war. “Das weiß ich doch, Ayden", meinte sie mitfühlend. "Wir werden in einer offiziellen Stellungnahme um Privatsphäre bitten und in ein paar Wochen ist alles vergeben und vergessen.”

“Hoffentlich!”

“Wer hätte gedacht, dass du zu sowas fähig bist, kleiner Bruder.” Grinsend blickte Conor zwischen mir und Kyle hin und her.

“Es war nicht meine Idee”, stellte ich entschieden fest und deutete auf Kyle. Dieser zuckte allerdings nur unschuldig mit den Schultern und widmete sich danach wieder in aller Ruhe dem Brunch. Es schien ihm ausgezeichnet zu schmecken.

“Wann geht euer Zug?”, wechselte Papa dankenswerterweise das Thema.

“Um drei. In spätestens einer Stunde müssen wir zurück zum Hotel fahren. Sonst wird es zeitlich zu knapp.”

“Ich werde in der kommenden Woche sicher einmal bei dir vorbeischauen, Ayden. Es käme mir sehr gelegen, wenn du auch Edgar einladen würdest.”

Fragend blickte ich zu Kyle, welcher daraufhin endlich einmal das Wort ergriff: “Mittwoch ist sein freier Tag.”

“Das lässt sich einrichten.”

“Schatz, das ist wahrlich nicht der richtige Zeitpunkt für Geschäfte. Immer denkst du nur an die Arbeit”, bemerkte Mama vorwurfsvoll.

“Wenn sich eine günstige Gelegenheit ergibt, dann nutze ich sie auch.”

“Aber doch nicht beim Brunch mit der Familie. Wir haben so selten die Möglichkeit, gemeinsam mit den Kindern zu essen.”

Papa brummte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und aß anschließend schweigend weiter.

In regelmäßigen Abständen kamen Kellner herbei, räumten die leeren Teller ab und brachten dafür neue Speisen an den Tisch. Von Brötchen, über Salat, bis hin zu Suppen und Fleischgerichten war alles vorhanden. Ich probierte so viel ich konnte, doch nach einer halben Stunde war ich mehr als nur satt. Ich fühlte mich vollkommen überfüllt. Daran konnte auch der Kräutertee, um welchen ich gebeten hatte nichts ändern. Am Liebsten wäre ich zu Bett gegangen, um ein ausgiebiges Verdauungsschläfchen zu halten. Conor und Kyle schienen da weniger Probleme zu haben. Sie speisten einfach munter weiter. Mittlerweile hatten sie sich ein wenig besser kennengelernt und unterhielten sich nun angeregt über ein Thema, welches sie beide brennend interessierte: Sport!

Rennsport, um genau zu sein. Ich verstand davon nicht das Geringste. Sie sprachen von Automarken, von denen ich noch nie etwas gehört hatte und über Fahrer, die mir gänzlich unbekannt waren. Dabei zuzuschauen, wie ein Auto oder Motorrad über mehrere Stunden hinweg immer die gleiche Strecke fuhr, erschien mir todlangweilig. Da bevorzugte ich eher andere Sportarten wie Leichtathletik oder Eiskunstlauf. Aber selbst diese verfolgte ich nicht intensiv, denn Sport war einfach nicht mein Ding.

Nach einer weiteren halben Stunde war es schließlich an der Zeit, sich zu verabschieden. Papa nahm dies gleichgültig hin, aber Mama wurde ein wenig emotional, als ich aufstand. Sie schenkte mir eine ausgiebige Umarmung, hauchte mir mehrere Küsse auf die Wange und ließ mich erst gehen, nachdem ich ihr versprochen hatte, die letzten zwei Dezemberwochen zu Besuch zu kommen. Vorzugsweise mit Kyle an meiner Seite.

Ich war sichtlich erleichtert, dass mir eine Begegnung mit Olga an diesem Morgen erspart geblieben war. Zwar war aufgeschoben nicht aufgehoben, doch je später sie mir die Leviten lesen würde, desto besser. Mit etwas Glück würde sich Conor bald wieder von seiner Freundin trennen und Olga von mir ablassen, um sich auf ihn zu konzentrieren.

“Du hast Lippenstift auf der Wange”, riss mich Kyle aus meinen Gedanken. Mittlerweile saßen wir wieder im Auto und Albert fuhr uns zum Hotel zurück.

"Fällt es sehr auf?"

"Ist nicht zu übersehen", antwortete mir Kyle. Er holte ein Tuch aus seiner Hosentasche und versuchte mir die rote Farbe abzuwischen.

“Der ist bestimmt wasserfest”, informierte ich ihn. “Ist nicht das erste Mal, dass Mama mich auf die Wange küsst hat. Das macht sie ständig.”

“Passt immerhin ganz gut zu den roten Flecken an deinen Hals”, meinte Kyle, nachdem er seine Reinigungsversuche aufgegeben hatte.

“Die hat zum Glück niemand gesehen.”

“Aber ich wette, sie haben sich gewundert, dass du mitten im Sommer einen Schal trägst.”

“Nach gestern wird sie gar nichts mehr wundern”, entgegnete ich und lehnte mich an Kyle's Schulter.

“Vielleicht. Aber es war dennoch ein schöner Vormittag. Ich finde deinen Bruder ziemlich nett.”

“Er ärgert mich gerne.”

“Ihr seid euch nicht sehr ähnlich. Aber ihr versteht euch gut, oder?”

“Ja, sehr gut. Trotzdem bin ich froh, wenn ich wieder zu Hause bin. Familienzusammenkünfte sind immer so anstrengend. Vor allem, wenn Mama dabei ist. Du hast sie ja gestern erlebt und da hatte sie noch einen verhältnismäßig ruhigen Tag.”

“Wie verhält sie sich an einem unruhigen Tag?”

“Meistens versucht sie, mich zu verkuppeln. Und dabei ist ihr wirklich jedes männliche Wesen, was auch nur annähernd in meinem Alter ist, recht.”

“Dann lasse ich dich in Zukunft besser nicht mehr mit ihr alleine”, erwiderte Kyle und zog mich mich in seine Arme.

Ich ließ mir das nur allzu gerne gefallen, denn es war genau in meinem Sinne. Ich wollte, dass Kyle an meiner Seite blieb. Nicht nur als Freund, sondern als Partner. Natürlich kamen wir aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen, doch im Laufe der Zeit würden wir einander sicher verstehen lernen und uns in gewissen Dingen vielleicht sogar angleichen, denn genau so funktionierte Seelenverwandtschaft doch, oder?

SeelenverwandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt