Es tat weh. Mir tat alles weh. Ich traute mich gar nicht, in den Spiegel zu sehen. Aber ich musste. Und was ich da sah, gefiel mir absolut nicht. Mein Auge war blau, meine Nase sah furchtbar aus, meine Wange war auch nicht besser. Und wir sprachen hier nur von meinem Gesicht. Mein ganzer Körper sah furchtbar aus. Ich konnte mich die nächsten Tage wohl nicht an den Strand legen und mich von der Sonne küssen lassen. Am nächsten Morgen quälte ich mich aus dem Bett und machte mich fertig für den Tag. Dabei zuckte ich immer wieder zusammen, wenn mein geschändeter Körper zu stark berührt wurde. Die anderen drei saßen bereits in der Küche, als ich mich zu ihnen setzte. Ich spürte Ryders Blick auf mir und konnte mir schon denken, wie er mich ansah. Stolz auf sein Werk, zufrieden, dass ich so deformiert aussah. Ich musste nicht einmal aufsehen, was ich auch nicht tat. Wobei das eher dazu diente, dass weder Dad noch Luna das sehen würden.
Ich wollte mir nicht einmal ausmalen, was passieren würde, wenn sie es rausfinden würden. Ryder und seine Freunde meinten immerhin, dass in diesem Fall das hier nur der Anfang sei. "Wir konnten uns gestern nicht unterhalten, Max. Wie war denn dein erster Schultag?" Dad schaute mich nicht an, er blätterte in seiner Zeitung und Luna stellte mir das Frühstück und eine Tasse Kaffee vor die Nase. Ich bedankte mich und aß ein Stück, ehe ich Dad antwortete. "Es war gut.", murmelte ich und Dad war mit der Antwort zufrieden. Ja, so war er schon immer. Er hatte nie großes Interesse an meinem Leben, sonst wäre er nicht einfach abgehauen. Daher wunderte es mich nicht, dass er sich mit so einer Standard-Antwort zufrieden gab.
"Was ist denn mit deiner Nase passiert?", fragte Luna und ich zuckte zusammen. "Nichts.. ich bin sehr tollpatschig, weißt du? Ich bin gestern die Treppe runtergefallen.", log ich sie schnell an und stopfte mir noch mehr Essen in den Mund. "Oh Gott. Geht es dir gut?", fragte sie besorgt und ich nickte. "Ja.. Ryder war ja da.", lächelte ich sie breit an und wandte mich schnell ab. "Gott sei Dank.", hörte ich sie murmeln und Ryder lachte leise. "Du hättet ihn sehen müssen, Mum. Er hatte wirklich Glück, dass ich zu Hause war."
Wir beendeten das Frühstück, Luna und Dad verschwanden auf die Arbeit und ich machte mich für die Schule fertig. Für die Erwachsenen stand fest, dass Ryder mich wieder mitnehmen würde. Aber als ich unten ankam war dieser bereits verschwunden. "Also laufen.", murmelte ich und sah Tritos an, welcher mich anmauzte, als wolle er mir sagen, dass alles besser werden würde. Aber daran glaubte ich nicht. Besser wäre es, in Seattle zu sein, mit Mum. Sie hätte meine Ausreden nicht akzeptiert und meine Wunden versorgt. Sie wäre zum Rektor gegangen und hätte den Verantwortlichen mit ran gezogen. Aber das würde sie nie wieder tun. Ich holte tief Luft, blinzelte die Tränen weg und ging zur Schule. Natürlich wieder mit Google Maps, denn ohne dieses Ding wäre ich sonst wo raus gekommen. Und da ich, genau wie Luna und Dad, damit gerechnet hatte, dass Ryder mich wieder mitnehmen würde, würde ich auch viel zu spät in der Schule ankommen.
Ein anderer Grund, dass das definitiv passieren würde, war, dass ich plötzlich zu Boden gerissen und abgeschleckt wurde. Wo kam plötzlich diese Zunge her? "Sparkle!" Der Hund sprang wieder von mir runter und rannte zu seinem Besitzer. Und ich? Ich lag erst einmal auf dem Boden, alle Viere von mir gestreckt wie ein Seestern, den Blick auf den Himmel fixiert. Was war gerade passiert? "Hey, geht es dir gut?", fragte ein Mann, dessen Gesicht sich gerade zwischen Himmel und mir schob. Fast hätte ich mich beschwert, dass man mir die Sicht raubte, aber wow. Die Sicht war noch besser. "Heilige Scheiße, wer hat dich denn so zugerichtet?", fragte der Mann und reichte mir die Hand, ehe er mich auf die Beine zog. Kaum stand ich, wischte ich mir erst einmal den Sabber aus dem Gesicht und sah zu dem Fellkneul, welches mich eben überfallen hatte. Ein Husky? Oh mein Gott, ich liebte Huskys! Und dieser hier schien Heterochromie zu haben. Moment, hatte sein Besitzer nicht ähnliche Augen?
Ich sah wieder zu dem Mann, welcher mich noch immer besorgt musterte, und tatsächlich. Sowohl Hund als auch Besitzer hatten ein rechtes braunes und ein linkes blaues Auge. Und die Augen gefielen mir wirklich gut. So wie der Rest auch. Durchgewuscheltes, braunes Haar, einen Bartschatten und Gott, dieser Körper. "Hey, hast du dir den Kopf angeschlagen?", fragte mich der Unbekannte und wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht. "Eh.. nein ich..", stammelte ich. Herzlich willkommen, soziale Phobie. "Tut mir leid, dass Sparkle dich angesprungen hat. Ich hoffe, ich kann das wieder gut machen?" Dieses Lächeln.. Oh Gott Grübchen! Achso, er hatte mich was gefragt. Schnell nickte ich und er lachte.
"Du bist also etwas schüchtern. Darf ich dich vielleicht auf einen Kaffee einladen? Als Entschädigung?" Am liebsten hätte ich ja gesagt. Aber ich konnte nicht. Ich musste noch immer in die Schule. "Tut mir leid.. Ich.. muss in die Schule..", murmelte ich und meine Hand krallte sich instinktiv in meinen Rucksackträger. Nun lag sein Blick auf meiner Hand und er nickte. "Verstehe. Aber bist du nicht etwas spät dran?", fragte er amüsiert, nachdem er auf sein Handy geschaut hat. "Ja. Meine Mitfahrgelegenheit hat mich im Stich gelassen.", erklärte ich ihm etwas kleinlaut und wieder nickte er verständnisvoll. "Verstehe. Okay pass auf, ich lass dir meine Nummer da und du meldest dich, wenn du Zeit hast?"
Ich nickte und hielt ihm mein Handy hin. Dank des Navis hatte ich es die ganze Zeit in der Hand und es war ein kleines Wunder, dass es noch heil war. Der braunhaarige Wuschelkopf nahm es und tippte schnell alles ein, ehe er es mir wieder gab und ich seinen Namen las. "Luis.", las ich leise vor und sah ihn wieder an. "Luis Stillcarto, schön dich kennenzulernen.", grinste er mit seinen Grübchen und er reichte mir seine Hand. Ich nahm sie entgegen und erwiderte sein Grinsen mit einem schüchternen Lächeln. "Max Walton.", stellte ich mich vor. "Freut mich, deine Bekanntschaft zu machen. Aber ich denke, du musst jetzt wirklich langsam los. Und spätestens wenn wir uns wieder sehen will ich wissen, wer dein hübsches Gesicht zerstört hat.", verlangte er und ich wurde rot. Hübsches Gesicht? Hatte er gerade.. geflirtet?! "Eh.. okay", antwortete ich. Gott, ich betete dafür, dass er meine Schüchternheit nicht fehldeutete. Denn wenn er wirklich mit mir flirtete, dann oh my god. Yes, please?!
Wir verabschiedeten uns und ich startete wieder Google Maps. Am liebsten wäre ich mit Luis gegangen, aber ich konnte doch nicht schon am zweiten Tag schwänzen. Erst recht nicht nach der Demütigung gestern. Sie würden denken, dass ich so leicht unterzukriegen wäre. Aber das stimmte nicht. Ich konnte die Worte und Schmerzen ertragen. Gestern hab ich mich wirklich zusammengerissen, nur für Ryder. Mein ganzer Körper schmerzte und Abends vermisste ich Mum besonders stark. Aber ich hatte nicht geweint. Ich habe die Tränen zurückgehalten. Nur für dieses Arschloch. Vielleicht sollte ich unter der Dusche weinen, da würde es zumindest niemand bemerken.
Der Schultag verlief ähnlich wie gestern. Niemand sprach wirklich mit mir. Naja, fast niemand. Ich hatte Luis' Nummer. Und das nutzte ich eventuell ein bisschen aus, indem ich ihn den ganzen Tag zutextete. Wir schrieben über verschiedenste Dinge, so fand ich zum Beispiel schnell heraus, dass er im Walmart arbeitete und mit seiner Schwester zusammen lebte. Auf meine Frage, wieso er nicht bei seinen Eltern lebte, meinte er nur, er würde es auf unserem Date erklären. Und ob er das Wort 'Date' nur im Scherz nutzte oder ernst meinte, das würde sich mir wohl noch zeigen. Natürlich hoffte ich auf ein richtiges Date. Luis war ein netter Typ. Der Netteste, der mir bisher begegnet war. Was mir die anderen Schüler im übrigen über den Tag erneut bewiesen. Sie lachten über meine Wunden, fingen an, mir Streiche zu spielen und ich hatte bereits einen Zettel im Spind, der nur aus Beleidigungen bestand. Verdammt, das war doch gerade einmal mein Zweiter Tag! Teenager konnten grausam sein..
Nach der Schule fuhr Ryder wieder ohne mich heim. Natürlich. Also lief ich den Weg zurück, das würde wohl irgendwann zur Gewohnheit werden. Morgen würde ich extra früher aufstehen, damit ich nicht wieder zu spät war. Den ersten Kurs hatte ich heute komplett verpasst. Natürlich kam ich nicht ungeschoren davon. Dem Lehrer war vollkommen egal, was für 'Ausreden' ich hatte. Am liebsten würde ich die Schule hinschmeißen und es einfach sein lassen. Aber das konnte ich Mum nicht antun. Sie hatte mir immer gepredigt, wie wichtig die Bildung und ein guter Abschluss war. Sie hatte zwar verstanden, warum ich es nicht mehr lange aushalten würde, aber dennoch bat sie mich, durchzuhalten.
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My Stepbrother I Boy x Boy I - wird überarbeitet -
Teen FictionVor kurzem hatte er seine Mutter verloren. Nun musste er zu seinem Vater ziehen. Und dieser hatte mittlerweile eine neue Familie. Eine Freundin und ihren Sohn. Einen Sohn, der nicht gerade begeistert vom neuen Familienzuwachs war. Und während Ryder...