Takt 1 - Grandiose Vorstellung

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„Reeva."

Die kleine Rothaarige zog einen Schmollmund.

„Na schön, was hat mich verraten?"

Sie nahm die Hände von meinen Augen und gab mir als Begrüßung einen Kuss auf die Wange, bevor sie mir ein überschwängliches Lächeln schenkte. Ich hatte keine Ahnung, woher ihr unerschütterliche Euphorie stammte, jedes Mal, wenn sie mich sah. Hatte sie doch allen Grund, mich mit Argwohn zu betrachten.

„Zu kleine Hände, Mäuschen. Aber mach dir nichts draus. Wäre es Sean gewesen, hätte ich ihn auch erkannt."

„Aber ja wohl nicht an den Händen."

stichelte Keenan und deutete mir unter die Gürtellinie, wobei ein provokantes Grinsen sein Gesicht einnahm. Ich presste die Lippen aufeinander und warf Reevas Freund einen flüchtigen Blick zu, doch Sean rang die Bemerkung nur ein resigniertes Lächeln ab.

„Wo habt ihr Tom und Addy gelassen?"

wechselte er das Thema, bevor die Gesprächspause unangenehm wurde. Ich sah mich automatisch um. Normalerweise kamen die Beiden mit uns zur Schule, doch heute waren sie nicht im Bus gewesen. Keenan hob ratlos die Schultern.

„Vielleicht hat er ja raus bekommen, dass der Bus 1996 einen Unfall hatte."

Ich lachte auf. Er spielte damit auf den Film Rainman, dessen Hauptcharakter ähnliche Macken aufwies wie Toms jüngerer Bruder.

„Jetzt müssen sie sich aber beeilen."

murmelte ich, als die Klingel uns mit einem schrillen Leuten in den grauen Gebäudekomplex rief. Mit einem letzten Blick in Richtung Straße schulterte ich mir meinen Rucksack auf und verschwand mit den anderen in der Menge.

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Die Stunde drohte schon recht früh, zäh und langatmig zu werden. Mr. Whrigley war ein tatriger alter Mann, der die französische Revolution noch persönlich miterlebt hatte. Ich spielte gelangweilt mit meinem Stift herum und brütete über der Frage, ob Affen wohl auch Fleisch fraßen, als die Tür ohne ein Klopfen aufging und Tom ganz gemütlich in den Raum gelatscht kam. Ihm dicht an den Fersen klebte Addy, dessen Blick konstant auf den Boden gerichtet blieb, selbst als er den alten Kauz ansprach.

"V...Verzeihung...mh...Mr. W...Whrigley..."

stammelte er und trat dabei unruhig von einem Fuß auf den anderen. An Whrigleys Gesicht konnte man sehen, dass die kleine Theatervorstellung sofort Wirkung zeigte. Addy war kein Stotterer, aber ein brillianter Schauspieler. Er hatte es fertig gebracht, sämtliche Lehrer davon zu überzeugen, stark beeinträchtigt zu sein, und Tom kostete den Behindertenbonus seines Bruder in vollen Zügen aus.

"Ja ja. Schon gut, Adrian. Setz dich. Du auch Thomas."

Verwies Whrigley die beiden Zuspätkommer an ihren Platz und fuhr mit den Unterricht vor, als sei nichts gewesen. Ich streckte eine Hand unter dem Tisch aus und Addy klatschte sie im Vorbeigehen ab.

"Wo seid ihr gewesen?"

schrieb ich auf eine abgerissene Ecke meines Collegeblocks und lies den Zettel weiterreichen. Als dieser bei Tom ankam, grinste er mir vielsagend zu, wobei ein Kaugummi zwischen seinen Zähnen zum Vorschein kam. Eine Antwort schickte er mir nicht, sondern lies den Zettel stattdessen in seiner Jackentasche verschwinden.



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