Takt 14 - Mit offenen Karten

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Seth

Donnerstag, 27.06.2015

16:42 Uhr, Straße

Meine Hände umklammerten das Lenkrad so fest, dass meine Fingernägel Abdrücke im schwarzen Leder hinterließen. Selbst mit heruntergelassenen Fenstern war es noch unglaublich warm im Auto und die kleine Brise der Klimaanlage verschaffte nur wenig Abhilfe. Ich schob meine Sonnenbrille zurrecht und warf erneut einen Blick auf meine Handfläche, auf welche mir dieser Keenan mit einer überraschend guten Handschrift meine Zieladresse geschrieben hatte.

Die Caverdale Street lag im Osten der Stadt und gehörte zu den Vierteln, welche einen eher alternativen Lebensstil verkörperten. Flaggen in Vorgärten und private Kunstateliere prägten das Straßenbild. Hier herrschte der absolute Mittelstand. Ich parkte hinter ein paar Altglascontainern und knallte die Tür meines blauen VW Polos so laut zu, dass ein paar Tauben aufgeschreckt vom Gehweg auseinanderstoben und sich in sicherer Entfernung wieder niederließen. Das Haus war in zwei Wohnhälften unterteilt, zu denen jeweils eine kleine Veranda gehörte. Ich stapfte die wenigen Stufen der linken Hausseite hinauf und klopfte energisch gegen die mit einem Fliegengitter versehene Tür. Ich spürte, wie meine Finger vor Wut zu kribbeln begannen und hatte das Gefühl, sie nicht länger unter der Oberfläche halten zu können. Niemand durfte so mit meinem Brüderchen umspringen. Niemand.

Eine junge Frau erschien an der Tür und blickte mir verwirrt, aber freundlich entgegen. Sie mochte ungefähr in Koda's Alter sein und hatte lange, rot gefärbte Haare.

"Hi. Wollen Sie zu mir?"

fragte sie lächelnd. Ich nahm meine Sonnenbrille ab und musste sofort die Augen etwas zusammenkneifen, damit die Sonne mich nicht blendete.

"Ist Sean Zuhause?"

Es war mehr ein Knurren als eine Frage. Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht und wurde von einer leichten Unsicherheit abgelöst. Sie nickte.

"Sean! Ist für dich."

rief sie ins Innere des Hauses hinein. Ich ballte die Hände hinter meinem Rücken zu Fäusten. Als er dann die Treppe nach unten gelaufen kam, konnte ich mich nicht mehr zurück halten.

"Hey Seth! Was--"

Meine Faust traf sein Gesicht, sobald seine Füße den Boden berührt hatten. Sean stolperte zurück auf die Treppe und griff nach dem Geländer, um seinen Fall abzubremsen. Das Mädchen stieß einen erschrockenen Laut aus.

"Du verdammter Mistkerl! Weißt du eigentlich, was du Koda mit deinen Spielchen antust?"

brüllte ich ihn an. Sean wischte sich mit seinem Handrücken das Blut von der Nase. Der Schlag hatte gesessen. Die Genugtuung darüber reichte aus, um nicht noch einmal auszuholen.

"Ich verstehe, dass du wütend bist, aber lass mich eins sagen..."

Er keuchte. Ich hielt inne und funkelte ihn zornig an.

"...ich wollte Koda nicht verletzen. Das wollte ich wirklich nicht."

Ob er die Wahrheit sagte? Ich konnte mir jedenfalls vorstellen, dass Sean ein ziemlich guter Lügner war. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, mischte sich die Rothaarige in das Gespräch mit ein.

"Sean, was meint er damit? Geht es Koda gut?"

Wieder stieg eine Welle des Zorns in mir auf. Ich schluckte sie runter.

"Nein, es geht ihm nicht gut. Es geht ihm überhaupt nicht gut, und weißt du auch warum?"

zischte ich ihr entgegen. Sie warf Sean einen fragenden Blick zu. Der hob eine Hand in meine Richtung.

"Seth, warte!"

Ich achtete nicht auf ihn.

"Wusstest du, dass mein Bruder etwas mehr für deinen Freund hier empfindet, als er sollte? Und Sean weiß das ganz genau. Aber anstatt von Anfang an zu sagen, dass daraus nichts wird, hat er ihn sich so lange warm gehalten, bis Koda den Mund aufgemacht hat. Tja, da wurde es plötzlich brenzlig. Was liegt da näher, als sich einfach hübsch und fein aus allem heraus zu ziehen?"

Während ich sprach, zogen sich ihre Mundwinkel immer weiter nach unten. Sie presste die Lippen aufeinander und sah erneut zu dem auf der Treppe Sitzenden.

"Ist das wahr? Sean, sag mir sofort, ob das wahr ist!"

Er fuhr sich befangen durch die Haare.

"Ja ich habe geahnt, dass Koda mehr als nur freundschaftliche Gefühle für mich hegt. Aber...ich weiß auch nicht. Es hat gut funktioniert, so wie es war. Ich habe mir nicht weiter Gedanken darüber gemacht. Als er es dann angesprochen hat...was hätte ich denn tun sollen? Ich habe eine Freundin. Koda wäre in jedem Fall verletzt gewesen. Ich dachte, es wäre langfristig das Beste für ihn, wenn er anfängt, sich nach Alternativen umzusehen."

Wieder spürte ich das Kribbeln in meinen Fingern. Ich riss den Blutenden von der Treppe hoch und drückte ihn gegen die Wand.

"Jetzt pass mal auf; egal was du dachtest, es hat nicht funktioniert. Also steh nun gefälligst auch dafür gerade. Du wirst mit ihm reden. Du wirst ihn anrufen und mit ihm reden. Jetzt!"




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