Takt 9

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Sean erhob den Blick wieder von seinen Schuhen und sah mich nun direkt an. In seinen Augen lag etwas unsagbar Tiefgründiges. Etwas, dass mich ganz und gar darin versinken ließ. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. Es hätte wohl keine weiteren gebraucht, um zu erläutern, was gerade in meinem Kopf vorging. Der Wunsch, Sean könnte in gleicher Weise für mich empfinden, wie ich für ihn, wurde in diesem Augenblick zu einer Hoffnung, und aus der Hoffnung eine Erwartung.

"Du bist mein bester Freund, Koda. Du bist mir so nah, wie kaum ein anderer Mensch in meinem Leben. Warum ich dir das sage; ich war mir in letzter Zeit nicht mehr sicher, ob..."

Wieder stockte er. Ich wartete noch eine Weile, doch er nahm den Satz nicht wieder auf. Stattdessen sprach er an anderer Stelle weiter.

"Unsere Freundschaft ist mir wirklich wichtig. Es wird sich zwischen uns doch nichts ändern, oder?"

Er sprach so vorsichtig und leise, dass ich kaum sicher sein konnte, ob die Frage überhaupt an mich gerichtet war. Natürlich war ich enttäuscht. Wer wäre es nicht. Doch gleichzeitig lösten seine Worte eine so unglaubliche Freude in mir aus. Ich könnte es nicht beschreiben. Einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben zu sein, es aus seinem Mund zu hören, dass war schon mehr, als ich es mir erhofft hatte. Und zum ersten Mal kam es mir beinahe egoistisch vor, noch mehr von ihm, von unserer Freundschaft zu verlangen. Doch es reichte mir einfach nicht. Wie lange hatte ich schon versucht, meine Gefühle einfach zu ignorieren und dabei gehofft, sie würden irgendwann einfach absterben. Ich hatte mich dafür sogar auf Keenan eingelassen, dieses verdammte Arschloch.

"Koda?"

Ich sah überrascht auf. Meine Gedanken hatte mich wieder einmal so eingenommen, dass ich darüber die Zeit vergaß. Die ersten Tropfen fielen auf meine Jacke hinab und hinterließen dunkle Flecken. Ich schaute zu Himmel hinauf. Es hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr geregnet.

"Vielleicht sollten wir uns irgendwo unterstellen."

entgegnete ich ausweichend.

"Ja. Vielleicht willst du mir aber auch endlich erzählen, was los ist."

Sein Ausdruck hatte etwas Stechendes bekommen. Ich rutschte unruhig auf der Bank hin und her. All mein Mut war einer wachsenden Unsicherheit gewichen. Hatte er mir nicht bereits heute morgen unbewusst eine Antwort auf meine Frage geliefert? Hatte er es nicht sogar ganz deutlich gesagt? Für Sean war ich nicht mehr als ein Freund. Sein Bester, ja, aber eben nur ein Freund. Also was erhoffte ich mir überhaupt von diesem Gespräch?

"Ich...mh...ich glaube..."

"Mh...also...äh. Damit kann ich nichts anfangen, Koda. Sie mich an; was ist los?"

Und dann habe ich es einfach gesagt.

"Sean, du bist für mich mehr, als nur ein Freund."

Stille. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass er überhaupt nichts sagen würde. Der Regen war stärker geworden. Kalt lief er mir den Nacken hinunter und ließ mich schaudern. Sean sah mich immer noch völlig reglos an. Man könnte förmlich sehen, wie es in seinem Kopf arbeitete.

"Du...was?"

Das war nicht gerade die Reaktion, die ich mir erhofft hatte. Schon jetzt bereute ich, den Mund aufgemacht zu haben und hätte es am liebsten zurück genommen. Die Erleichterung, von der immer die Rede war, blieb bei mir gänzlich aus.

Sean fuhr sich mit der Hand durch die nassen Haare. Er schaute zu den Schaukeln, die im Wind triefend über das Sandloch schwangen. Zu der kleinen Rutsche, welche, befreit vom Staub der Straße, metallisch glänzte. Er schaute überall hin, nur nicht zu mir. Dann stand er auf.

"Sean?"

Ich sah ihn fragend an. Er blickte ausdruckslos zurück.

"Ich...ich muss darüber nachdenken. Ich melde mich später bei dir, okay?"

Er wandt sich von mir ab, ohne eine Antwort zu erwarten, und machte ein paar Schritte in Richtung Straße. Doch dann blieb er aprupt stehen und kam zu mir zurück. Ich hätte aus seinem Gesicht nicht ablesen können, was nun folgte. Ohne ein Wort zu verlieren, legte er seine Lippen auf meine. Ich war im ersten Moment zu überrascht, als dass ich den Kuss hätte erwidern können, da hatte sich Sean auch schon wieder von mir gelöst und setzte seinen Weg fort. Ich blickte ihm lange nach. Wohl wissend, dass dies der einzige und letzte Kuss war, den ich je von ihm bekommen würde.










We friends (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt