Takt 11 - Grenzen der Freundschaft

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Mittwoch, 26.06.2015

02:05 Uhr, Zuhause

Es war bereits früh am nächsten Morgen, als ich die Treppen des Mehrfamilienhauses hinauf stieg und mich mit zitternden Fingern am Türschloss zu schaffen machte. Ich hatte den Schlüssel kaum gedreht, da wurde die Tür auch schon aufgerissen und Seth zog mich an der Jacke in die Wohnung.

"Wo zum Teufel hast du gesteckt? Ich habe bestimmt 10 mal versucht, dich zu erreichen."

fuhr er mich an. Als er jedoch in mein verheultes Gesicht blickte, verrauchte der Zorn in seiner Stimme.

"Hey, Teddy. Was ist den passiert?"

Er wollte mich in den Arm nehmen, doch ich wich davor aus, ohne seine Frage zu beantworten. Dann verschwand ich in meinem Zimmer und schloss die Tür von innen ab. Ich wollte jetzt nicht reden. Weder mit Seth, noch mit irgendwem sonst. Ich wollte einfach nur allein sein.

"Koda, mach die Tür auf!"

rief mein Bruder, nachdem er ein paar Mal daran gerüttelt hatte. Ich zog die nassen Sachen aus und rollte mich in meinem Bett zusammen. Hier konnte ich mich ungestört meinen Gefühlen hingeben, und es dauerte lange, bis all meine Tränen versiegt waren. In dieser Nacht bekam ich kaum ein Auge zu. Ich konnte an nichts anderes denken, als an Sean und daran, was er in der Sprachnachricht gesagt hatte. Abstand halten. Das war doch nur eine andere Umschreibung für 'halt dich fern von mir'.  Ich träumte sogar davon, wie er mir diese Worte voller Abscheu entgegen brüllte. 'Halt dich fern von mir, Koda' .

Sean

Mittwoch, 26.06.2015

10:47 Uhr, Schule

Nie war mir etwas schwerer gefallen, als meinem besten Freund auf diese Art und Weise vor den Kopf zu stoßen. Ich fühlte mich einfach furchtbar. Ich muss wohl gestehen, dass sein Geständnis nicht wirklich überraschend kam. Schon lange hatte ich geahnt, dass sich seine Gefühle zu mir verändert hatten. Das sie mittlerweile über bloße Freundschaft hinaus gingen. Nächtelang hatte ich wach gelegen und nach einer Lösung gesucht, die ihm half, sich von mir zu lösen. Denn eines stand fest; ich würde nie dasselbe für ihn empfinden können, wie er für mich. Nicht, so lange Reeva an meiner Seite war. Ich wusste ja, dass sie ihn gern hatte, aber mich mit ihm zu teilen, das konnte und wollte ich nicht von ihr verlangen. Irgendwo hatte jede Freundschaft ihre Grenzen. Sie bei den Beiden auszutesten und damit womöglich aufs Spiel zu setzen, würde mir nie in den Sinn kommen.

Als Koda an diesem Morgen nicht in der Schule erschien, keimten erneut Zweifel in mir auf. Er war bisher nie Zuhause geblieben. Nicht mal, als seine Eltern sich getrennt hatten. Es musste ihm wirklich schlecht gehen.

Die Pause verbrachten wir alle zusammen im Arbeitsraum, um der brütenden Hitze wenigstens für eine Weile zu entkommen. Reeva saß auf meinem Schoß und spielte mit meinen Fingern. Ab und zu warf sie mir ein unbeschwertes Lächeln zu, doch meine Erwiderung darauf kam dem nicht im entferntesten gleich. Keen hatte sich mit einer Zigarette in der Hand am Fenster postiert und starrte mich unentwegt an.

"Was ist dir eigentlich für ne Laus in der Leber ersoffen?"

Natürlich hatten sie gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Und wahrscheinlich hatte jeder von ihnen nur auf einen Moment unter vier Augen gewartet, um mich darauf anzusprechen. Bis auf Keenan und Addy. Der Unterschied war nur, dass Keen genau wusste, in welch unangenehme Situation er mich damit brachte. Ich sagte nichts und keiner hakte nach. In der nächsten Stunde schrieb Tom mir einen Zettel, ob er kurz mit nach draußen kommen sollte. Ich zögerte einen Moment, dann nickte ich ihm unauffällig zu.




"Es ist wegen Koda, hab ich recht? Er hat es dir endlich gesagt."

Ich warf ihm einen betretenen Blick zu.

"Du wusstest davon?"

Tom verschränkte seine Arme vor der Brust, als hätte meine Frage ihn gekränkt.

"Ich bitte dich. Im gesamten Jahrgang waren schon Wetten im Umlauf, wann er dir endlich einen Antrag macht. Und wie ich dich kenne, hast du ihm ganz behutsam klar gemacht, dass du bereits vergeben bist, er aber für immer dein bester Freund bleiben wird."

Ich konnte ihn nicht ansehen. Aus Tom's Mund hörte es sich so einfach an. Er hatte ja keine Ahnung.

"Ich habe ihm gesagt, er soll eine Weile Abstand halten."

Da mein Blick immer noch am blauen Linoleum des Schulflurs haftete, konnte ich seine Reaktion nur hören. Tom klatschte in die Hände, als würde er mir applaudieren.

"Herzlichen Glückwunsch, Mr. Harris. Sollten Sie mit dieser Aussage die Absicht verfolgt haben, ein Leben zu zerstören, haben Sie ihr Ziel erreicht. Komm, ich geb ne Runde Schuldbewusstsein aus. Vielleicht hab ich sogar noch ein bisschen schlechtes Gewissen im Kühlschrank."

"Findest du das nicht ein bisschen...überspitzt? Ich bin mir sicher, mit ein bisschen Zeit wird er --"

"Verzeihung dass ich dich unterbreche aber...hattest du schon einmal Liebeskummer,Sean? Hast du eine Ahnung, wie es ist, wenn deine hübsche kleine Illusion von einem Leben an der Seite eines geliebten Menschen zerplatzt wie eine Seifenblase? Mag sein, dass danach nicht alles zuende ist, aber genau so fühlt es sich an. Koda braucht jetzt keine Zeit. Er braucht Freunde, die für ihn da sind. Bisher hast du diesen Part immer übernommen. Und jetzt?"

Seine Ansage hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Aber auch wenn Tom recht hatte, wenn mein Plan totaler Mist war, nun war es zu spät, eine andere Richtung einzuschlagen. Ich konnte mich nicht einfach bei Koda entschuldigen und weitermachen, als sei nichts gewesen. Das wusste Tom. Deshalb bat er mich auch nicht darum.

"Wo gehst du hin? Tom!"

Er hatte sich von mir abgewandt und steuerte auf die Treppe zum 2. Stock zu.

"Kannst du dir das nicht denken? Ich bringe in Ordnung, was du verbockt hast!"

rief er mir zu, ohne sich umzudrehen.












We friends (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt