Takt 28 - Verdacht

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Addy

Dienstag, 01.07.2015

07:24 Uhr, Jhb

"Steh auf! Deine Mutter hat Geburtstag." Ich lugte unter der Bettdecke hervor und blickte auf die schwere, metallisch glänzende Gürtelschnalle, welche an den Rändern schon schon erste Spuren der Abnutzung aufwies. Er packte mich an den Handgelenken und zerrte mich aus dem Bett. Dabei bohrten sich seine viel zu langen Fingernägel in meine Haut und hinterließen rote, sichelförmige Abdrücke. Ich verzog das Gesicht vor Schmerz, gab jedoch keinen Laut von mir. Die Treppe führte in eine schummrige Dunkelheit hinab, welche mir schon in jungen Jahren jedes Mal einen Schauder der Furcht bereitete. Ein langer Gang führte vom unteren Absatz entlang zu einer Tür. Sie stand einen Spalt breit offen, so dass ein schmaler Lichtstrahl sich auf dem blassgrauen Teppichboden abzeichnete und lange Schatten warf. Ich mochte das Zimmer nicht betreten. Ich weinte und schrie, doch er verstärkte bloß seinen Griff und zwang mich in meiner kindlichen Schwächlichkeit, mich seinem Willen zu fügen. Sie saß am Rande des Bettes. Ein viel zu große Kleid fiel ihr über die Schultern. Dunkle Ringe zeichneten sich unter ihren Augen ab und ihre Haut war fahl und eingefallen. Während ich vor ihr kniete,hing ihr Blick starr am Fenster. "Hast du mich lieb, Adrian? Hast du deine Mami lieb?"  Ich war gänzlich verstummt. Eine einzelne Träne rann mir die Wange hinab und hinterließ einen kleinen, dunklen Fleck auf dem Fußboden.

"Add!"

Ich fuhr hoch. Koda lehnte an der Leiter des Stockbettes und starrte mich durch die Querstreben hinweg an. Ich starrte zurück. Die Eindrücke des nächtlichen Traums waren auch nach dem Erwachen so present, als könnte ich noch immer seine Fingernägel in meiner Haut spüren. Es brannte furchtbar.

Koda

Sein unruhiger Schlaf ließ mich nur wenige Minuten vor meinem Wecker erwachen. Ich dachte mir nichts dabei, denn auch ich konnte in ungewohnter Umgebung nur schlechte Ruhe finden. Doch als ich die kleine Lampe an meinem Kopfende anknipste, war ich regelrecht bestürzt über das Bild, welches sich mir bot. Schnell schlug ich die Decke zurück und holte den Unruhigen aus seiner Traumwelt an die Oberfläche. Er blickte mich genau so erschrocken an, wie ich ihn. Keenan murmelte hinter mir etwas Unverständliches in sein Kissen. Er war anscheinend ebenfalls aufgewacht. Das waren mir zwei Ohren zu viel.

"Add, wir haben gleich Tischdienst."

sagte ich deshalb. Ein fragender Blick brachte mich wohl kaum weiter. Addy würde die Botschaft dahinter schlichtweg nicht erkennen und um ehrlich zu sein war es mir auch lieber, zunächst Tom darauf anzusprechen.

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Während des Tischdeckens hatte ich verstärkt ein Auge auf den 16-jährigen, doch nichts in seinem Verhalten ließ darauf schließen, dass etwas nicht stimmte. Ich versuchte krampfhaft, nicht permanent auf seine Ärmel zu starren und erkundigte mich stattdessen nach Reeva.

"Ich glaube, sie ist traurig. Und sie sagt, dass Keenan ein Arschloch ist. Vielleicht mag sie ihn nicht. Aber frag sie lieber selbst, ich bin mir nicht sicher."

antwortete er mit einem Schulterzucken und verteilte weiter Teller auf den Tischen. Das umfasste so ziemlich alles, was ich auch so schon gewusst hatte, doch ich konnte ihm keinen Vorwurf machen. Addy war für so etwas einfach nicht der richtige Ansprechpartner.

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"Wo ist Sean?"

fragte ich während des Essens. Ich hatte ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen, doch Tom konnte mich beschwichtigen.

"Er hat bei Steve und Emmett geschlafen. Es geht ihm wohl den Umständen entsprechend. Lass ihm einfach ein bisschen Zeit. Der fängt sich schon von ganz allein."

Mir entging die versteckte Anspielung nicht, doch ich ging nicht näher darauf ein. Keenan ebenso wenig. Er hatte sich bisher noch gar nicht zu der ganzen Sache geäußert. Dabei machte er doch sonst den Mund immer so weit auf. Was war diesmal anders?

Nach dem Essen bat ich Tom um ein kurzes Gespräch. Er gab vor, dafür keine Zeit zu haben, doch ich wusste, wie ich ihn dazu anzuhalten vermochte.

"Es ist wegen Addy. Ich glaube, es geht ihm nicht so gut."

Tom sah mich abschätzend an. Ich beobachtete, wie er einen Fuß nach hinten setzte, bereit, einen Schritt zurück zu weichen.

"Er kommt schon zurrecht. Ich muss jetzt hoch."

Ich packte ihn an der Schulter.

"Add hat sich im Schlaf die Handgelenke blutig gekratzt, Tom. Und ich bin mir sicher, das tut er nicht zum ersten Mal. Läuft er desswegen immer im Pullover rum?"

versuchte ich, meine Bedenken so deutlich wie möglich werden zu lassen, doch Tom war, gerade wenn es um seinen Bruder ging, aalglatt und ließ absolut nichts durchscheinen.

"Du weißt genau, dass Addy krank ist. Es ist ja nett, dass du dir Sorgen machst, aber das ist nicht nötig. Ich sage ihm im übrigen nicht, was er anziehen soll."

Seine Worte klangen wie abgelesen. Es machte mich zornig, mit welch unermüdlicher Gelassenheit er hier vor mir stand und mir dreist ins Gesicht log. Ich glaubte nicht, dass Addys Krankheit dabei tatsächlich eine Rolle spielte, doch Tom brachte mich damit auf einen anderen Gedanken.

"Das hast du ja toll auswendig gelernt. Dein Vater ist sicher stolz auf dich."

Ein Zucken durchlief seinen Körper und ich konnte sehen, wie seine Hände zitterten, bevor er sie hinter dem Rücken verschwinden ließ. Niemals zuvor hatte ich Tom wütend erlebt, doch nun verlor er für den Bruchteil einer Sekunde sein Gesicht.

"Ich habe keine Ahnung, was du dir da in deinem Kopf zusammenspinnst, aber gib meinem Vater nicht die Schuld dafür. Und wenn du Addy wirklich einen Gefallen tun willst, dann hältst du dich aus der Sache raus."

Der Augenblick war so schnell vorüber, man hätte kaum ein Foto davon schießen können, da hatte er sich schon wieder gefasst.

"Ich muss jetzt los. Wir sehen uns später."



















We friends (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt