Takt 22 - Flaschendrehen

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Koda

Freitag, 28.06.2015

22:19 Uhr, Am See

"Alles klar bei euch?"

fragte Sean und nickte in Addys Richtung. Ich zuckte die Schultern.

"Du kennst ihn doch."

Ich machte mir nicht weiter Gedanken darum. Es hatte keinen Sinn zu versuchen, Addys Verhalten zu verstehen. Selbst Tom hatte damit so seine Schwierigkeiten. Sean schwieg. Mein Blick fiel auf die halbleere Flasche in seiner Hand.

"Woher hast du die?"

Die Frage ließ ihn aus irgendeinem Grund lächeln. Spätestens seine Antwort ließ darauf schließen, dass er ursprünglich etwas anderes sagen wollte.

"Woher wohl. Sind aber ausnahmsweise nur Mixgetränke."

Er hielt mir die Flasche hin und ich nahm einen Schluck daraus.

"Die Anderen schmeißen gerade den Grill an. Gehen wir ein Stück?"

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Mittlerweile war das Wetter rau und windig geworden. Dunkle Wolken zogen sich über den Himmel und verdeckten die Schönheit des Nachthimmels. Nur selten lugte der Mond durch eine Lücke des Wolkenvorhangs hervor und wies uns den Weg am Ufer entlang. Lange Zeit war Sean schweigend neben mir her gelaufen. Irgendwo, kurz hinter dem Zeltplatz, hatte er schließlich meine Hand genommen. Ich sagte nichts, sah ihn nicht an. Hätte ich aufhören können zu atmen, ich hätte es getan. Nichts sollte diesen Moment zerstören. Diesen Augenblick einer so innigen Vertrautheit, die über jegliche Freundschaft hinaus ging.

Er sagte mir, er habe viel nachgedacht. Über uns. Über den Abend auf dem Spielplatz. Darüber, wie es weitergehen sollte. Er sagte viel. Doch seine Worte glitten an mir herab wie Regentropfen an einer Fensterscheibe. Es waren seine Stimme, der Geruch seiner Haut, das Gefühl meiner Hand in seiner, welchen an mir haften blieben. Dinge, die ich niemals vergessen würde. Und als ich die Augen schloss, beugte er sich zu mir herunter und gab mir den Kuss, wie er beim ersten Mal hätte sein sollen. Diesmal hatte ich Zeit, darauf einzugehen.

Hätte mich das Licht seiner Taschenlampe nicht geblendet, er hätte ewig dort stehen können, ohne, dass ich ihn bemerkt hätte.

"Lasst euch nicht stören."

Ich fuhr herum. Addy stand nur wenige Meter von uns entfernt. In seinem schwarzen Sweatshirt war er kaum zu sehen, nur die Taschenlampe, welche locker von seinem Handgelenk baumelte und einen Lichtkegel auf den sandigen Untergrund warf, ließ die Umrisse seiner Statur in der Dunkelheit erahnen.

"Zum Teufel, Add. Was machst du hier?"

Durch meine Erschrockenheit klangen die Worte schärfer, als beabsichtigt. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch seiner Stimme nach zu urteilen war er nicht sonderlich begeistert von dem, was er hier vorfand.

"Ich soll euch sagen, dass das Essen fertig ist. Und ihr?"

Ja. Was machten wir hier eigentlich? Ich warf Sean einen hilfesuchenden Blick zu, doch dieser rang selbst damit, die richtigen Worte zu finden.

"Hör mal Kumpel, es gibt Dinge, die passieren einfach. Die muss nicht jeder wissen, okay?"

Der 16-jährige sah nicht gerade überzeugt aus.

"Schön erklärt,Kumpel...für einen siebenjährigen. Aber keine Sorge, ich hab quasi nichts gesehen."

Er machte auf dem Absatz kehrt und war schon bald wieder im Dunkel der Nacht verschwunden. Wir folgten ihm mit etwas Verzögerung. Ich kaute nervös auf meiner Unterlippe, als wir du den Zelten zurückkehrten. Es bereitete mir ein ungutes Gefühl, dass Addy von mir und Sean wusste. Ob er wirklich dicht hielt?

"Na, wer kommt denn da aus dem Busch gekrochen?"

hörte ich Keenan vom Feuer her rufen, wo die Anderen bereits am essen waren. Wir setzten uns still und heimlich dazu. Mir war der Hunger vergangen.

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Ich weiß nicht mehr, wer letztendlich auf die Idee gekommen war. Vielleicht, weil wir alle schon etwas zu viel getrunken hatten oder auch bloß, weil uns nichts besseres einfiel. Jedenfalls saßen wir irgendwann mehr oder weniger im Kreis um eine leere Bierflasche herum. Tom war als Einziger gegen das Spiel gewesen. Er meinte, wir seinen für so etwas doch schon ein bisschen zu alt und es gäbe doch eh nichts mehr, was wir nicht bereits über den Anderen wussten. Dabei war es doch gerade er, der uns kaum Einblicke in sein Privatleben bot. Als dann noch heraus kam, dass Addy überhaupt noch nie Flaschendrehen gespielt hatte, waren wir fest entschlossen, dies zu ändern. Keenan erklärte die Spielregeln.

"Ist ganz einfach. Das müsstest sogar du verstehen. Die Flasche wird im Kreis gedreht. Zeigt sie auf dich, musst du entweder tun, was ich dir sage oder eine Frage beantworten. Klar soweit? Oder soll ich nochmal langsamer?"

"Und was, wenn die Flasche nicht auf mich zeigt?"

Das war so eine typische Addy-Frage. Ich wusste mittlerweile ganz gut, wo seine Schwierigkeiten lagen, und versuchte so gut es geht darauf zu achten, doch fü Keenan waren sie bloß ein gefundenes Fressen.

"Du bist so blöd ey. Unfassbar."

Reeva stieß ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen. Sie hatte in Addy jemanden gefunden, den sie beschützen und um den sie sich kümmern konnte. Ihr Verhältnis ging dabei fast so tief wie zwischen den Brüdern selbst.

Das Spiel verlief zunächst nicht sonderlich spannend. Die wirklich pikanten Sachen wurden ausgelassen. Ich wusste, dass Keenan nur darauf wartete, dass die Flasche auf den 16-jährigen zeigte. Als es soweit war, fiel die Frage schwächer aus als gedacht.

"Hat's dir schon mal jemand besorgt?"

Nichts weltbewegendes. Deshalb wunderte es mich, wie gereizt Tom darauf reagierte.

"Das reicht jetzt!"

Er war aufgesprungen und fasste Add an der Schulter.

"Komm."

Wortlos stand Addy auf und folgte seinem großen Bruder an einen Strandabschnitt nahe des angrenzenden Waldes.

"Was ist denn jetzt kaputt?"

fasste Keen in Worte, was uns allen durch den Kopf ging. Tom hatte beinahe wütend ausgesehen. Aber worauf? Ich entfernte mich ebenfalls von der Gruppe und ging den beiden nach.

Tom saß nahe des Ufers im Sand und sah seinem Bruder dabei zu, wie er Steine über den See flitschen ließ.

"Koda, kannst du bitte wieder gehen."

sagte der Dunkelhaarige, ohne sich zu mir umzudrehen. Es war mir schleierhaft, woher er wissen konnte, dass ich es war. Das überhaupt jemand da war. Lief man ohne Schuhe doch beinahe geräuschlos.

"Tom, was-"

"Geh einfach!"

Unterbrach er mich mit solch einem Nachdruck in der Stimme, dass ich ohne weitere Nachfragen umkehrte. Dieses Ereignis ließ mich die ganze Nacht nicht los. Ich beschloss, noch einmal nachzuhaken, sobald Tom vom Ufer zurückkehrte. Doch er kam nicht. Keiner von beiden kehrte zurück. Und irgendwann fielen auch mir die Augen zu.






















We friends (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt