4 ~ Seltsame Träume

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Mysteria verbracht endlos viele Stunden mit dem grauen Buch.
Die Geschehnisse im Wald waren ein Ritual nachdem jedes aussergewöhnliche Mädchen zu einer Hexe wurde. Dazu beschwor man - wenn auch eher unbewusst - die Elemente herbei. Licht und Dunkelheit sah sie als ein einziges Element. Dazu noch Wasser, Erde, Feuer, Luft und der Geist, ohne den man nichts manifestieren konnte.
Den Anhänger, den Mysteria aus allen Element erschaffen hatte (und die Zwillinge 173'827'482'847'272'946'510'484'562'815.1234567890 nachgefragt hatte, ob sie selbst das wirklich alleine geschaffen hatte), baumelte an einer dünnen, silbernen Kette. Das Licht der Sonne, dessen Strahlen durch das grosse, rechteckige Fenster herein schienen, liessen den amethyst- und lavendelfarbenen Kristall-Anhänger glitzern.

Der Anhänger sah aus wie ein alter Schlüssel, an deren Ende ein verschnörkeltes Muster war. Mysteria hatte schon oft bemerkt, dass der seltsame Anhänger in der Wärme kühl wurde und in der Kälte angenehm warm war.

Sie lag nun schlafend im Bett. Das Buch war ihr aus der Hand gerutscht und lag aufgeschlagen auf dem Holzfussboden. Den Kopf in ihren Arm vergraben, hatte sie sich auf dem grossen Bett zusammengerollt. Einzelne nussbraune Haarsträhnen fielen dem friedlich schlafendem Mädchen ins Gesicht. Auf dem schwarzen Pullover hatte sich ein dunkler Tomatenfleck vom Mittagessen breit gemacht und ihre Jeans sahen zerknittert aus.

Mysteria schlief tief und fest. So tief und fest, dass sie nicht bemerkte, wie der Zauber des Buches auf sie und ihre Umgebung wirkte.

Mysteria stand vor einem grossen Spiegel. Der schwere Goldrahmen hatte schmucke Blüten und Vögel, die sich bewegten, als wären sie lebendig. Ihr Blick glitt vom Rahmen zu ihrer Reflexion. War das Mädchen wirklich sie? Die Reflexion hatte diesselben Augen und der derselbe Mund. Sogar die Nase war noch die gleiche. Doch die neonblauen Augen strahlten nicht mehr die kindliche Begeisterung, sondern eine fremde Kälte und Entschlossenheit aus. Das Haar war nicht mehr lang und braun, sondern kurz und rabenschwarz. Die dunkle, ledrige Kleidung ähnelten sehr an die, ihrer Cousinen, Lithium und Onyxia. «Sie kann bestimmt nicht älter als 20 sein", dachte sie. Obwohl Mysteria es nicht tat, lächelte ihr Spiegelbild sie an. Ein schiefes, fast schon herausfordendes Lächeln. Dann verblasste die junge Frau und die ganze Szenerie veränderte sich.

In ein blaues, schweres Kleid gesteckt worden, lief Mysteria mit aufgerafften Rock durch endlose Gängen und Treppen. Sie suchte nach etwas, doch konnte sie nicht sagen, was es war. Sie spürte nur denn verzweifelten Wunsch rechtzeitig da zu sein. Nur rechtzeitig wofür?
Ein Schatten huschte an ihrer linken Seite vorbei. Starke Hände griffen nach ihren schlanken Handgelenken, schleuderten sie zur Wand und hielten sie an den kalten Steinen fest.
Vor Überraschung und Schmerz entfuhr ihr ein Schrei.
Eine weit entfernte Stimme rief ihren Namen, auf eine fremde und zugleich vertraute Weise.
Das Letzte, das sie sah, war das Aufblitzen grüner Augen und eine verschwommene Gestalt, die auf sie zurannte, bevor ihre Sicht sich mit Dunkelheit füllte

und Mysteria mit dem Gefühl von Angst, in ihrem Bett wieder aufwachte.

Die Chroniken der SchattenwesenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt