27 ~ Das Spiel

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Valentin grinste. Sie war feurig, wie seine Cathy. Und Cathy war eine temperantmentvolle Frau gewesen, doch leider auch kaputt und etwas verrückt. Er hatte sie schon oft aufgabeln müssen, weil sie auf der Suche nach etwas war, dass nicht existierte. Aber Ria schien genau zu wissen was sie tat.
Sie verwandelte Angst in Stärke.
Die Umwandlung gelang ihr scheinbar mühelos, nur das leichte Flackern in ihren Augen verriet ihre Unsicherheit.

Die Nacht war hereingebrochen und Valentin und Ria standen vor dem Haus. Beide waren komplett schwarz gekleidet. Aus der Jackentasche holte Valentin die Iros-Münze hervor und warf das schimmernde Objekt vor ihre Füsse.
"Recklessia hat sich versteckt und zwar in der Stadt Evidencia. Deine Aufgabe ist es nun sie zu finden, bevor ich es tue", sagte er während die Münze sich ausbreitete und sie auf die Fläche stiegen. Die Augen funkelten, wie Katzenaugen und genauso katzenhaft waren ihre geschmeidigen, anmutigen Bewegungen. Die unsichtbare Kuppel legte sich wieder um sie. "Und wo ist der Haken?", fragte Ria. Sie konnte nicht glauben, dass das so einfach werden konnte. Irgendetwas führte Valentin doch im Schilde. "Bei der Suche darfst du keinen Aufspürzauber benutzen. Ausserdem gibt es noch einige Schattenwesen, die dich angreifen könnten. Aber zuerst müssen wir dich noch tarnen." Die Kuppel öffnete sich wieder und die beiden standen auf dem Dach eines riesigen Hochhauses. Ria verschlug es die Sprache. Die Aussicht zeigte viele hohe Gebäude in denen Lichter brannten. Autoähnliche Fortbewegungsmittel, die blinkten und hin und wieder die Farbe wechselten. Ihre Ohren nahmen lauten Stadtgeräusche auf, die sich als plappernden Menschen, Hupen, usw. herauskristallisierten. Die milde Nachtluft wurde von einem kalten Wind begleitet, der durch ihre Haare fuhr und Ria die Arme etwas fester um sich schlingen liess. Das Mondlicht liess die dunklen Wellen aufglitzern und das am Rande der Stadt liegende Meer zum Leben erwecken.
Man könnte das Bild vor sich kaum beschreiben, allerdings würde man es mit einer Mischung aus Miami und New York vergleichen.
Die Stadt atmete, dehnte sich aus und vervielfältigte sich. Sie lebte.
Evidencia wurde nicht umsonst 'die Schönheit' genannt.

Ein Mann wartete schon auf und begrüsste beide.
"Sie müssen Ria sein", sagte er.
"Kleine, dass ist Danyl. Ich habe mit ihm meinen Abschluss gemacht", kam Valentin ihrer Antwort zuvor.
"Freut mich, Sir" sagte Ria lächelnd und knickste automatisch.
"Du hast nicht zu viel versprochen!", sagte Danyl belustigt. "Dieses Mädchen benimmt sich, wie eine Dame aus hohem Hause!"
Valentin grinste und machte mit dem Kopf eine Bewegung, den man als 'Habe-ich-doch-gesagt' deuten konnte. Ria sagte nichts, sondern lächelte nur. Der Mann rieb sich in die Hände. "Bereit?", fragte er enthusiastisch. "Bereit wofür?", fragte Ria verwirrt und sah Valentin fragend an. "Deine Tarnung", erklärte er. "Danyl wird dich so verändern, dass die Sacretti dich nicht erkennen wird."
"Verstehe", murmelte sie, obwohl Ria ihm am liebsten einen Klaps gegeben hätte, weil er ihr diese Information - dass die Sacretti nach ihr suchten - nicht einmal erwähnt hatte. Aber andererseits hätte sie es sich ja denken können. Sie wurde schliesslich bestimmt als Zeugin gesucht, oder Ähnliches.

Als Danyl nach rekordverdächtigen zehn Minuten fertig war, hielt Ria drei Messerklingen aneinander, um diese wie einen Spiegel zu benutzen.
Das Mädchen war ihr vollkommen fremd geworden. Das rabenschwarze Haar glänzte im hellen Mondschein und die neonblauen Augen schimmerten in einem eisigen, hellen Grauton. Das Gesucht war mit weisser Farbe überdeckt worden und anschliessend, wie eine Mischung aus Skull und Flowerpower-Girl bemalt. Wie Süssigkeiten in Mexiko an 'Allerseelen', diese essbaren Totenköpfe.
"In Evidencia ist der 'Tag des Frühlings'. Deshalb wirst du mit dieser Schminke nicht auffallen", erklärte Danyl und betrachtete versonnen sein Werk.
"Der 'Persephone-Tag'", murmelte Ria leise und berührte vorsichtig die Blüten um ihr Auge. "Persephone ist in der griechischen Mythologie die Götten der Blumen und die Königin der Unterwelt. Sie verbringt den Herbst und den Winter auch dort, allerdings darf sie in den anderen Jahreszeiten zu ihrer Mutter Demeter, die die Göttin der Pflanzen ist", ergänzte Danyl, stolz jemanden gefunden zu haben, der sich scheinbar ebenfalls für dieses Thema interessiert, da Ria Persephone kannte. "Danke. Es ist wirklich wunderschön" flüsterte Ria, die immer noch das Gemälde auf ihrem Gesicht betrachtete, ein ehrliches Lächeln auf den pflaumenvioletten Lippen.
"Keine Ursache."
"Hmm", machte Valentin. "Du siehst aus, wie eine Einheimische."
"Ich bin auch eine Einheimische."
"Aber nicht von dieser Stadt."
"Nein. Aber immer noch eine Einheimische."
Valentin lachte leise auf. "Du wirst schon verstehen, was ich meine."

Danyl hielt zwei Glaskugeln in den Händen und sah beide nun ernst an. Er zog eine weisse Folie aus seiner Jackentasche hervor, die mit dunkelblauem Punkten versehen war. Er nahm einen Punkt und klebte ihn an Valentins Schlüsselbein. Dieser spannte seine Kiefermuskulatur an, während der blaue Punkt verblasste und schliesslich vollkommen aufgelöst war.
Danyl nahm einen weiteren Punkt und klebte ihn an Rias Schlüsselbein. Die Teenagerin zog scharf die Luft ein, als der Punkt immer wärmer wurde und sich einen Weg in ihre Haut brannte. Der Punkt verblasste nicht, sondern versiegte tatsächlich in ihre Haut, wie ein Wassertropfen in der Hitze verdunstete. Das Einzige, das der Punkt hinterliess, war der feurige Schmerz. Noch nicht einmal ein Abdruck war zu sehen. Nichts ausser dem Gefühl wies darauf hin, dass das runde Objekt jemals Ria berührt hatte.

"Mylady, Gentleman." Ein vorfreudiges Grinsen zog Danyls Mundwinkel nach oben. Die Konturen seiner Körpers begannen zu verblassen bis man nur noch seine Augen und sein Grinsen sah, woraufhin jeder, der aus meiner Welt (also der Erde) stammt, an die Grinsekatze aus 'Alice im Wunderland' denken muss, weil es genauso aussah.
"Lasst das Spiel beginnen!"

Die Chroniken der SchattenwesenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt