35 - Scherbenmeer

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Taylors Lippen war warm und weich. Sie spürte seine Wärme an ihrem Körper. Ein sanftes Klopfen von Regentropfen an einem Fenster drang in ihre Ohren. Ihr war leicht schwindelig und sich krallte sich an Taylor, der sie ganz fest hielt. Sie spürte, wie seine Mundwinkel sich gleichzeitig mit ihren eigenen hoben, als sie sich vorsichtig lösten.
Das sanfte Klopfen wurde immer lauter, bis Ria den begeisternden Applaus um die beiden bemerkte. Einige pfiffen und andere Witzbolde machten eindeutig zweideutige Bemerkungen, aber Taylor ignorierte die Menge und strich sanft über Rias Wangen, darauf bedacht die sorgfältig aufgetragene Farbe nicht zu verschmieren.
"Du bist gruselig", flüsterte sie, was einem 'Ich liebe dich' für ihre Verhältnisse am nächsten kam. Taylors Lächeln wurde noch breiter, als er sich erinnerte, dass diese Worte schon einmal gesagt worden waren.
"Gruselig ist nur ein Nebeneffekt", murmelte er. "Ich bin einfach nur Taylor." Dann fügte er halb ernst, halb gespielt hinzu: "Der sich aber gerade hoffnungslos in einen Todesschwan der Finsternis verliebt hat. Ich hoffe doch schwer, Mylady, dass ihr meinem Herz Acht geben werdet. Ansonsten holen mich die Fänge der Melancholie." Er konnte förmlich sehen, wie sie an seinen Lippen hing und die Worte in sich einsog, wie ein Staubsauger. Wie sich ihr Lächeln zu einem Strahlen verwandelte. Wie ihre Augen vor Glück funkelten. Und wie sie für ihn fiel. Für Taylors Verhältnis kamen ihm diese Wort einem Liebesgeständnis schon sehr nahe.
"Mylord, bitte fühlt Euch versichert", sagte Ria, genauso dramatisch wie Taylor. "Euer zerbrechlichstes Stück ist bei mir gut aufgehoben. Auch um die Melancholie verschwendet keinen Gedanken. Hört Ihr nicht das tote Herz in meiner Brust? Es hat begonnen zu leben!" Sie beugte sich vor und hauchte in sein Ohr: "Es ist ganz Euers, denn es flehet nach Eurer Liebesgunst."
Ein schiefes Grinsen erschien auf Taylors Gesicht, das so gar nicht zu seiner Rolle passte. "Wann sind wir so kitschig geworden?", fragte er.
"Keine Ahnung", gab Ria zu und musste ebenfalls grinsen. "Aber verrückt sind wir allemal!"
"Verrückt wird heutzutage total überbewertet!" Taylor zog sie grinsend näher an sich, falls das möglich war und küsste sie erneut.

"Ich bin mir sicher, unser Gastgeber könnte euch eines der Gästezimmer leihen. Was hältst du davon, Taylor?"
Esqulio und Meliorna tauchten auf und Taylor versetzte ihm nur knurrend einen Schlag auf den Oberarm. Ria musste lachen, weshalb sie den Kuss unterbrach und Meliorna schmunzelte ebenfalls.
"Na, vielen Dank auch, Bruderherz", schimpfte Taylor, aber man sah ihm an, dass er es nicht ernst meinte und schlang die Arme ein wenig fester um Ria.
"Jederzeit, jederzeit", erwiderte Esqulio heiter. "Aber-"
Weiter kam er nicht, denn ein ohrenbetäubendes Kreischen unterbrach ihn.

Der Alarm heulte unbarmherzig laut und das Hallen von den Wänden minderte das Geräusch keineswegs. Das Licht begann zu flackern und verloschen schliesslich, als die Feen, die die Kronleuchter beleuchtet hatten, die wiederum dem Saal Licht spendeten, hektisch vor Aufregung in alle Richtungen davonschossen.
Alle Anwesenden pressten sich die Hände auf den Ohren und sahen sich ängstlich nach der Ursache um. Die entspannte Atmosphäre löste sich schlagartig in Panik auf.
Zwischen dem hohen Heulen ertönten mehrere Schüsse, von Gewehren und Schreie.
Die Gäste suchten Zuflucht hinter umgekippten Stühle und Tischen, hinter hohen Säulen und marmornen Statuen. Die Fenstergläser zersplitterten und die Ringel, mit denen die Diamanten an die Kronleuchter befestigt waren, wurden durchgeschossen. Glasscherben und Diamanten fielen wie weisser Regen und prasselten auf Boden, Möbel und Gäste, knirschten unter ihren Schuhsohlen. Taylor drückte Ria an sich, genauso wie Esqulio Meliorna vor den Scherben schützte. Die Scherben bohrten sich in ihre Haut. Im Halbdunkeln konnte sie die dunklen Tropfen erkennen, die langsam aus den Wunden hervorquollen.
Von draussen stürmten mehrere Silhouetten in das Gebäude. Wie in einem Agenten-Film liessen sie sich an Seilen vor dem Fenster herunter und landeten auf dem scherbenübersäten Panzerglas. Valentin und Recklessia bewegten sich wie lautlose Schatten zu Ria und Taylor.
"Jemand muss die Sacretti informieren. Das sind die Frottelas!", wisperte Recklessia.
"Taylor, kannst du die Sacretti holen?", flüsterte Ria. Taylor nickte ernst.
"Gut. Hier befinden sich insgesamt 30 Sacretti. Wir könnten sie zwar hinhalten, aber ohne Verstärkung haben wir keine Chance. Darum ist es wichtig, dass die Sacretti informiert werden müssen!", flüsterte Recklessia und Taylor nickte wieder.
"Was wollen sie eigentlich hier?", flüsterte er.
"Ich kann mir denken, wen sie wollen", meldete sich nun Valentin zu Wort. Er blickte finster drein.
Sie aber spähte hinter dem umgekippten Tisch, hinter dem sie sich versteckten, hervor. Unwillkürlich stiess sie einen leisen Fluch aus. Jetzt, da ihre Augen sich an das Halbdunkle gewöhnt hatten, erkannte sie einer der Gestalten wieder. Etwa zwei Dutzend der Schatten hatten schwarze Schwingen. Die Linien der Flügelumrisse vermischten sich mit der Umgebung, dass nicht ganz klar war, wo die Schatten aufhörte und die erste Feder begann. Caelios, gefallene Engel. Der Caelio, der ihr am nächsten stand, hatte blondes Haar, heller als Taylors Haarfärbung, so hell, dass sie beinahe silbern schimmerten. Aquarinfarbene Augen blitzten aus seiner Gesichtsverdeckung hervor. Trotzdem erkannte sie ihn wieder.
"Wen sie wollen?", hakte Recklessia mit schmalen Augen nach. "Also den Hausheer, Sir Cantrieso, bestimmt nicht. Jeder weiss, dass er zwar sein Haus zur Verfügung stellt, aber nie anwesend ist. Wen könnten sie wollen?"

"Mich", sagte Ria tonlos.


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Hellooo

Ich weiss, meine Updates sind meeehr als unregelmässig. Tut mir leid deswegen, aber ich habe ziemlich viel um die Ohren...

Hoffe, ihr seid alle okay!

BB<3


Die Chroniken der SchattenwesenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt