15 ~ Überraschung

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Das Essen stand tatsächlich auf dem Tisch und Valentin rieb sich die Augen, um auch wirklich sicherzugehen, dass es noch da war.
Auf dem Porzellangeschirr waren Nudeln, Fleisch, Salat, Früchte, Saucen, Gemüse, Cupcakes und Muffins. Als erwarteten sie ein grosses Familientreffen.

Während Valentin ass, schlich Mysteria aus dem Haus. Sie lief in den Garten und zog sich ihre Schuhe aus. Ihre Umhängetasche stellte sie daneben und murmelte noch einen Zauber, damit niemand ihre letzten Habseligkeiten stiehlt.

In ihrer Hand trug sie noch ein kleines Radio, dass sie auf den weissen Gartentisch stellte und einschaltete.
Leise erschallte "Speeding Cars". Sie schloss die Augen und began zu tanzen.
Sie hatte mehrere Jahre Tanzunterricht gehabt und liebte es zu tanzen.
Mysteria war so versunken, dass sie nicht bemerkte, wie Valentin sie durch die Glasscheibe hindurch sah.
Sie bemerkte auch sein Lächeln nicht und auch nicht der sanfte Schmerz in seinem Blick, der jedoch von Bewunderung überstrahlt wurde.
Für sie gab es nur die Musik und die Bewegungen, die den Text und dessen Gefühle ausdrückten.

Mysteria vergass und fand sich selbst, während sie tanzte.

Nachdem sie getanzt hatte, ging sie ins Badezimmer und duschte sich.
Als sie mit feuchten Haare und einem anderen, weissen Sommerkleid aus dem gekachelten Zimmer trat, zog sie vor Schreck scharf die Luft ein, denn Valentin lehnte an der gegenüberliegenden Wand und sah sie stirnrunzelnd an. "Erschreck mich nicht!", sagte sie und atmete wieder aus. Doch er sah sie nur ernst an, was ihr gar nicht gefiehl. Sonst war er immer freundlich. "Ich muss mit dir reden, Ria", sagte er und nickte in Richtung Arbeitszimmer. Unsicher und misstrauisch trat Mysteria in das vollgestopfte Zimmer und liess sich in den schwarzen Ledersessel vor einem Glastisch sinken.
Valentin lehnte am Schreibtisch und zog eine Mappe aus einem Papierstapel hervor. Mysterias ungutes Gefühl verstärkte sich. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie spielte mit ihrer Halskette herum.
"Wieso verschweigst du mir, wie du richtig heisst?", fragte er, während er in der Mappe herumblätterte. Sie musste mehrmals schlucken bevor sie antwortete. Was hatte sie erwartet? Dass sie ihm bis ans Ende ihrer Tage alles verschweigen konnte?
Nein, eigentlich hatte sie das nicht gedacht. Sie war nur überrascht, wie schnell er herausgefunden hatte, wer sie war.
"Was weisst du über mich?", fragte sie, ohne seine Frage zu beantworten und sah ihm in die Augen, ohne den Blick abzuwenden. Wenn sie ihm etwas nicht zeigen würde, dann war es ihre Unsicherheit. "Ich weiss, was ich tue. Ich weiss immer, was ich tue", dachte sie immer und immer wieder, während beide Parteien schwiegen.

Die Chroniken der SchattenwesenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt