8 ~ Halluzinationen

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Mysteria hatte ihm einen so heftigen Kinnhaken gegeben, dass er überrascht wegtaumelte.

Das Mädchen nahm ihre Beine in die Hand und rannte wieder los, als wäre ein ganzes Heer von Serienkillern hinter ihr her.
Die neonblauen Augen flackerten vor Angst und das dunkle Haar peitschte hin und her.

"Was meinte er mit dem Caelio?", dachte sie und sah auf ihren Arm. "Ach du heilige Scheisse...", dachte sie. "Dieses Arschloch!"
Der dunkelblaue Stoff war zerfetzt und dunkel verfärbt. Aus der Bisswunde quoll immer noch Blut hervor.

Mysteria erinnerte sich an eine ihrer Lektionen über Caelios, die sie mit Onyxia hatte:
"Wenn ein Caelio dich erwischt, bekommst du Halluzinationen. Hast du viel Gift im Kreislauf ist es möglich, dass du für immer Hallus haben wirst. Um die zu töten, musst du eine Waffe aus Licht haben."

Vor ihrem geistigen Auge sah sie die Zähne des Sacretti-Vampirs.
Waren sie wirklich länger geworden, oder bildete sie sich das nur ein? Ihr Tempo verlangsamte sich und sie spürte den Seitenstecher, der bei jedem Atemzug schmerzte.
Inzwischen war es dunkel geworden und viele kleine, gelbe Punkte tauchten auf. "Glühwürmchen", dachte sie.

Mysteria dachte schon eine Weile über alles Mögliche nach, nur nicht über den Brand, die Zwillinge, ihre Freundin, die Frottela und die Sacretti.
Doch die kleinen Punkten bewegten sich nicht und immer, wenn sie die Hand danach ausstreckte, verschwanden sie und tauchten an einer anderen Stelle wieder auf. Sie blinzelte ein paar Mal. Es waren keine Glühwürmchen, die in der warmen Luft herumtanzten.

Es waren Irrlichter.

Kaum hatte sie es bemerkt, realisierte sie, dass sie sich verlaufen hatte. Ohne es richtig zu begreifen, war sie den Irrlichtern gefolgt. Immer wieder glaubte sie, knochige Hände zu sehen, die nach ihr griffen, blutende und zerfetzte Vögel, die nach ihrem Gesicht pickten und gelegentlich stolperte sie über eine Baumwurzel, doch in ihrem Wahn glaubte sie, es handelte sich um einen Sarg, in Kindergrösse.

Die Schreie hallten durch die Bäume des Waldes, dass die - echten - Vögel erschrocken aufflatterten und die Rehe verscheuchte.
Als sie den Waldrand erreichte, sah sie in der Ferne ein Haus. Die Lichter brannten und eine leichte Rauchsäule schwebte zum Himmel empor.
Mysteria kletterte eine Efeuranke hinauf und öffnete das Fenster durch einen Zauber.

Es war schwierig den Zauber auszusprechen, ihren Halluzinationen nach, schwankte das Haus, wie ein Schiff auf besonders stürmischer See. So schnell es ging kroch sie rein und verriegelte das Fenster, wobei sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten.

Das Fensterglas beschlug sich und eine Hand klatschte von aussen auf die Scheibe. Mysteria presste ihre Hände auf den Mund, dass ihre panischen Schreie erstickt wurden. Schnell kauerte sie sich auf den Boden zusammen und schloss die Augen.
"Es ist nur eine Halluzination", flüsterte sie vor sich hin. "Es ist nicht real. Alles spielt sich nur in meinem Kopf ab."
Die hektisch geflüsterten Worte wurden langsamer und schläfriger, bis Mysteria in den sicheren Schlaf geleitet wurde. Zusammengerollt, wie eine Katze auf dem kalten, staubigen Dachboden des kleinen Hauses.

Hätte sie gewusst, das es nicht das gesuchte Haus war und wer da wirklich wohnte, hätte sie lieber die Nacht auf einem Baum verbracht.

Die Chroniken der SchattenwesenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt