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Am nächsten Morgen trafen wir uns alle im Speisesaal zum Frühstück. Felix hatte frische Brötchen geholt, da die Köche erst im Laufe des Tages ankommen würden. Gemeinsam aßen wir still unser Frühstück und warteten auf die Pädagogin. Kurze Zeit später trudelte sie gut gelaunt ein. Öko-Tante und Mitte vierzig. Mehr konnte ich gar nicht zu ihr sagen. Sie trug Ökolatschen und sah aus, als hätte sie vor auf einen Safaritrip durch die Wüste Tansanias zu gehen. Sogar der Safarihut durfte nicht fehlen. Wenigsten hatte sie auf den Moskitoschutz verzichtet, sonst wüsste ich nicht, wie ich sie den ganzen Tag ernst nehmen sollte. Vielleicht dachte sie, dass es in einem Wald in Ohio Löwen gab. Oder aber, wir sind die Löwen und sie die Touristenführerin.
„Hallöchen, ich bin Judith und werde einige Stunden mit euch Süßen verbringen", stellte sie sich mit einem fetten Grinsen vor. Freundlich gab sie jedem die Hand und bat uns nach draußen, denn sie wollte die tolle CO2 freie Luft genießen. Als wir an einer großen grünen Fläche ankamen, die sie als passend befand, sollten wir uns Namensschilder schreiben. Judith konnte sich keine Namen merken, super für den Beruf, dachte ich mir im Stillen.
Nachdem jeder sein Schildchen auf der Brust trug, stellten wir uns alle in einen großen Kreis. Zuerst wollte Judith uns besser kennenlernen, zudem sollte das uns Betreuer noch ‚näher' bringen. So stellte sich einer nach dem anderen mit gespielter Euphorie vor. Keiner schien großartig motiviert zu sein, außer Felix und Judith. Die Beiden schienen richtig aufzugehen bei dem Ganzen.
Bevor es zu den Gruppenspielen kam, erklärte sie uns einige rechtliche Grundlagen. Was wir tun dürfen, wenn sich ein Kind verletzt und wie das mit der Aufsichtspflicht aussah. Einiges war mir schon länger bekannt, aber ich wusste zum Beispiel nicht, dass ich einem Kind kein Pflaster aufkleben dürfte, nicht einmal die Wunde säubern. Das müsste alles das Kind tun, es könnte schließlich auf das Desinfektionsmittel oder Pflaster allergisch reagieren und wenn ich Pech hatte, hätte ich eine Anzeige wegen Körperverletzung an der Backe.
Anschließend fanden die Gruppenspiele statt. Wir vier Betreuer und Felix sollten uns auf eine kleine Decke stellen und diese umdrehen, ohne mit unseren Füßen den unbedeckten Boden zu berühren. Das stellte sich kniffliger raus, als ich im ersten Moment dachte.
„Aua! Sam, lass meinen Arm los", stieß Mia schmerzhaft aus.
„Was soll ich sonst machen? Bevor ich falle und wir von vorne anfangen müssen", verteidigte sich Sam für sein Handeln.
Er hatte Recht, auch mir war diese Nähe zu den anderen nicht ganz Recht. Gerade, dass Derek direkt hinter mir stand, ließ meine Gedanken rasen. Warum ich so auf ihn reagierte, war mir gar nicht bewusst. Vielleicht überspitzte ich das Ganze auch einfach, schließlich mochte ich ihn nicht, musste ihm jedoch so nahe sein, wer würde da nicht komisch reagieren? Sicher lag es daran.
„Wie wäre es, wenn Sam und ich die Mädels auf die Schultern nehmen, dann haben wir mehr Platz um die Decke umzudrehen. Das kannst du ja übernehmen Felix. Mit den Mädels können wir uns schlecht bücken", sprach Derek in die Runde.
Alle stimmten ihm zu, auch Judith, die sich das Spektakel aus der Entfernung ansah, hielt Dereks Plan für eine gute Idee.
Ich sah mich nach Sam um, denn ich wollte nicht auf Dereks Schultern, dafür vertraute ich ihm zu wenig. Sam vertraute ich zwar auch nicht wirklich, aber ich wollte einfach nicht zu Derek. Mein Pech nur, dass Mia schon auf Sams Schultern stieg, also blieb mir nichts anders übrig, als Derek zu wählen. Leise betete ich, in der Hoffnung, nicht mit einem gebrochenen Bein das Camp frühzeitig verlassen zu müssen.
„Du kannst mir vertrauen", meinte Derek zu mir und beugte sich nach vorne, damit ich besser aufsteigen konnte.
Okay Indiana, du schaffst das, war mein Mantra dieser Minuten. Ein Bein nach dem anderen fand seinen Weg auf seine Schultern.
„Geht es dir da oben gut?", fragte er nach, nachdem er ganz vorsichtig aufgestanden war. Er hielt mich an meinen langen Beinen fest, sodass ich vielleicht doch nicht fiel.
„Alles super."
Hoffentlich war diese Übung schnell vorbei, denn ich hatte keine Lust mehr darauf. Mit Bedacht wählten die Jungs ihre Schritte und Felix versuchte sich zu beeilen die Decke umzudrehen. Kurze Zeit später hatten wir es geschafft. Die Decke war auf die andere Seite gedreht worden und ich hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Es wurde sich abgeklatscht und Judith applaudierte.
Nach dem Spiel war es dann auch schon vorbei mit ihrem Besuch. Sie verabschiedete sich von uns mit einer festen Umarmung, und wünschte uns eine schöne Zeit im Camp.

Im Laufe des Tages lernte ich noch die Küchenhilfen und Köche kennen, sie würden auch die Zeit hier im Camp verweilen und dafür sorgen, dass wir nicht vom Fleisch fielen. Es machten alle einen sehr netten Eindruck und eine Probe ihres ersten Essen erhielten wir auch schon. Wenn die acht Wochen vorbei waren, würde ich mit Sicherheit aus dem Camp rollen. Da war ich mir ziemlich sicher.

Der nächste Morgen war mit viel Trubel verbunden, denn die Kinder trafen alle nacheinander ein. Zirka 20 Kinder waren es in der Summe. Felix zeigte ihnen ihre Bungalows und ich stand einfach nur da und begrüßte alle freundlich. Die meisten Kinder waren nicht schüchtern und wollten sofort wissen wer ich bin und was ich hier machen würde. Sie waren freundlich und neugierig, nicht enttäuscht darüber, dass die andere Betreuerin nicht mehr da war. Sollten sie diese gekannt haben, denn es war nicht jeder zum wiederholten Male im Camp.
Eine von ihnen klebte förmlich an mir, nachdem sie ihren Koffer in ihrem Bungalow abgesetzt hatte. Sie hieß Emma und war 13 Jahre alt. Ich verstand mich sofort richtig gut mit ihr. Zudem war die kleine Blondine schon das zweite Mal im Camp und erzählte mir, dass sie während dem Camp Geburtstag hätte und es immer leckeren Kuchen gab. Emma war echt niedlich und als sie Derek sah, war ich plötzlich vergessen und sie rannte geradewegs in seine Arme. Beide kamen auf mich zu und Derek fragte mich lachend, ob Emma mir auf die Nerven ging.
„Oh ja, sie ist ganz schlimm. Ich bin kurz davor das Camp wieder zu verlassen", zwinkerte ich ihr zu.
„Das denke ich mir auch ständig. Irgendwann wird der Tag kommen, ich sehe ihn schon vor meinem inneren Auge."
„Hey, ihr seid fies! Dann bekommt eben Sam meine Skittles und nicht du", sagte Emma und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
„Das kannst du mir nicht antun!", geschockt sah er Emma an.
„Klar kann ich das. Schließlich entscheide ich, wer was von meinen Skittles abbekommt und nicht du."
Die Kleine gefiel mir immer mehr, so wie sie Derek in der Hand hatte.
Plötzlich klingelte es laut, das war das Zeichen, dass wir uns in den Speisesaal begeben sollten.

Indiana in OhioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt