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„So meine kleinen Nachwuchs Robin Hoods", begann Felix mit seiner Ansprache, als ruhe einkehrte und jedes Kind seinen Platz im Speisesaal gefunden hatte. „Das Camp soll euch natürlich Spaß und Freude bereiten, doch leider gibt es ein paar Regeln an die ihr euch hier halten müsst."

Ein geknicktes Oooh, war von den kleinen Rackern zu hören. Grinsend schaute ich durch die Menge, denn die Camper waren mir jetzt schon ans Herz gewachsen.

„Aber Sekunde, ich habe die Regeln gerade vergessen!", stieß er theatralisch aus und schlug sich leicht gegen die Stirn. „Möchte mir jemand von den älteren Campern die Regeln erklären?"

Alle die schon einmal im Camp Arrow da waren schüttelten stark und breit grinsend ihre Köpfe.

„Das darf doch nicht wahr sein?! Was machen wir denn hier ohne Regeln? Gut, dann stelle ich eine neue Regel auf: Alle Süßigkeiten werden einkassiert, sollte keiner die Regeln aufsagen können."

Empört stieß Emma aus, dass Felix so etwas doch nicht tun dürfte, schließlich waren sie hier nicht bei The Biggest Looser. Auch die anderen Kinder murmelten leise miteinander und waren zutiefst erschrocken. Acht Wochen ohne Süßigkeiten, dass wäre wie ein kalter Entzug.

„Ich kenn eine Regel", meldete sich ein etwas fülliger rothaariger Junge zu Wort.

„Dann schieß mal los."

„Um 21 Uhr ist Bettruhe und wir dürfen nach der Bettruhe unsere Bungalows nicht mehr verlassen, außer es wurde erlaubt", sagte der Junge schüchtern.

„Jetzt erinnere ich mich wieder an diese Regel! Danke, Julian. Dank dir bekommen du und zwei weitere Mitcamper wieder Süßigkeiten. Wer kennt die nächste wichtige Regel?", lobte er Julian. Der kleine Kerl könnte mit der Sonne um die Wette strahlen, so stolz war er auf sich.

Diesmal meldete sich Emma. „Um acht Uhr morgens werden wir von dieser blöden schrillen Glocke geweckt. Ernsthaft, die ist scheiße Felix. Ne halbe Stunde später werden wir zur Sicherheit nochmal von der verhassten Glocke geweckt und um neun Uhr gibt es Frühstück."

Die kleine hatte es echt faustdick hinter den Ohren, nur wenige trauten es sich ihre Meinung kundzutun, gerade in dem Alter war es nochmal besonders.

„Wow Emma, du hast eine der goldenen Regeln ohne Probleme aufsagen können, sehr gut. Dafür wurde das Süßigkeitenverbot für erste widerrufen", lachte Felix.

„JAAA!", riefen die kleinen im Chor aus.

Ich bewunderte Felix, dass er es geschafft hatte, den Kindern eine Möglichkeit zu bieten, dass jeder davon profitieren konnte. Die neuen Bewohner wussten dadurch auch, dass sie sich an die alten Hasen bei fragen wenden konnten, schließlich widmete man sich doch zuerst den Mitmenschen im gleichen Alter.

„Das waren erstmal die wichtigsten Regel, die anderen bekommt ihr morgen gesagt, schließlich sehe ich doch, dass meine Robins hungrig sind. Also, geht jetzt was essen", zwinkerte er den Kids zu und deutete zur Essensausgabe.

Einige waren wohl so hungrig, dass sie schnellen Schrittes auf die Theke zuliefen, oder weil sie die ersten sein wollten. Zwei Jungs rangelten leicht miteinander und Felix ermahnte diese: „Kyle, das hab ich genau gesehen. Willst du dich hinten anstellen?"

Natürlich schüttelte Kyle den Kopf und benahm sich richtig, er ließ sogar ein Mädchen mit braunem Haar vor. Kleiner Charmeur.

Nachdem auch wir Betreuer unser Essen hatten, schaute ich mich nach einem freien Platz um. Ohne langes Suchen winkte Emma mir zu und deutete auf einen freien Platz neben sich. Ich lächelte ihr zu, und ließ mich dann neben ihr sinken. Felix war es wichtig, dass Betreuer und Kinder nicht getrennt voneinander saßen. Auch ich fand seine Idee gut, denn wir Betreuer standen zwar in gewissen Hinsicht über den Kindern, doch sollte das Camp nicht wie Schule sein, indem die Lehrer das meiste über den Kindern ihren Köpfen entschieden. 

Zu meinem Pech saß Derek direkt gegenüber von mir. Hoffentlich schmatzte er nicht, denn ich konnte so etwas nicht ausstehen, genauso wenig wollte ich Zeugin davon werden, wie sein Essen zu Brei verarbeitet wurde. 

„Wie alt bist du eigentlich, Indiana?", fragte mich Emma neugierig. 

„Ich bin 23. Wieso fragst du?"

„Naja, Derek ist nur zwei Jahre älter als du, also könnt ihr euch doch ineinander verlieben." 

Als ich das hörte verschluckte ich mich an meinem Schluck Wasser und hatte Glück, mich nicht einzusauen. Emma klopfte mir liebevoll auf den Rücken und ich bedankte mich bei ihr, als ich wieder klar denken konnte. 

Derek und ich? In einander verlieben? Ich konnte mir nicht einmal vorstellen ihn sympathisch zu finden, wie sollte ich mich denn dann in ihn verlieben? Undenkbar! 

Interessiert schaute ich zu Derek, denn ich wollte seine Reaktion auf Emmas Vorschlag sehen. Doch dieser blickte nur desinteressiert auf seinen Teller voller Erbsen und schaufelte sich eine nach der anderen in seinen Mund. Nicht ein einziges Mal hob er seinen Kopf. 

Emmas Einwand ließ ich unbeantwortet und widmete mich meinem Essen zu. Immer wieder geisterte mir der Satz der Kleinen im Kopf herum. Ich wollte mir keine ‚Beziehung', oder Zweisamkeit ausmalen. Nein, am liebsten hätte ich die letzten fünf Minuten gelöscht. 

Sobald jeder fertig mit dem Essen war und sein Tablett zurückgebracht hatte, wünschte Felix jedem nochmal eine schöne Zeit hier. Die Kinder hatten nun noch etwas Zeit das Campgelände zu erkunden, oder einfach in ihren Holzhütten zu bleiben. Denn es warteten acht Wochen strammes Programm auf sie.

Ich setzte mich wieder auf meinen, selbsterkorenen, Stammplatz am See unter der Laterne. Immer mal wieder kamen Kinder auf mich zu, unterhielten sich mit mir und wir stellten uns gegenseitig ganz viele Fragen. Es war spannend zu erfahren, dass die meisten Kinder gar nicht aus dem Umkreis kamen. Einer kam aus Miami, eine andere aus einer Kleinstadt in Nevada. Felix sollte es überdenken, sich ein paar Leute mehr an Bord zu holen und das Camp zu erweitern. Doch konnte ich ihn verstehen. Er mochte es lieber im kleinen, familiären Kreis, sodass sich jeder wohl fühlte und niemand das Gefühl von Einsamkeit hatte.

Nach einiger Zeit klingelte es wieder laut. Es war das Zeichen für die Bettruhe. Ich wünschte den Kindern die bei mir saßen eine Gute Nacht, doch ich blieb noch sitzen. Die Bettruhe galt schließlich nicht für uns Betreuer und ich wollte sehen, wie die Sonne langsam im See unterging. 

Irgendwann setzte sich rechts von mir jemand neben mich. Innerlich stöhnte ich auf, denn ich wollte wenigstens diesen Abend mal alleine sein. Laut stöhnte ich auf, als ich sah das Derek neben mir Platz genommen hatte. 

„Was willst du?", fragte ich. 

„Das weißt du."

„Nein, sorry. Ich kann keine Gedanken lesen."

„Ach, Indi. Manchmal solltest du nicht so mürrisch sein. Genies doch einfach die neuen Eindrücke", gab der schwarzhaarige mir ‚Tipps'. 

„Nenn mich nie wieder Indi!", ermahnte ich ihn und schenkte ihm einen vernichtenden Blick. 

„Okay, Indi", lachte er mich aus. 

„Gott, du bist noch bescheuerter als ich dachte", stieß ich wütend aus und sprang auf. Er tat es mir nach und hielt mich an meinem Handgelenk fest, bevor ich weit genug von ihm entfernt war. Derek zog mich zu sich und beugte sich zu mir runter, sodass ich seinen Atem an meinem Ohr spürte. 

Er roch gut. Er roch einfach nach Derek. Nach keinem Parfüm, sondern Derek

„Indi", begann er. 

Ich hielt den Atem an, denn ich wollte keine einzige Sekunde verpassen, wollte jedes Wort aufsaugen. Fast dachte ich, er wolle seinen Satz nicht mehr beenden, durch die lange Pause. Doch dann sprach er weiter.

Indiana in OhioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt