-27-

524 36 10
                                    

Nachdem ich Derek vier Tage lang erfolgreich ignoriert hatte, bekam ich einem Brief von ihm.

Liebste Indi,
bitte lies diese Zeilen, bevor du den Brief zerreißt, denn das wirst du kleiner Sturkopf sicherlich tun.
Dein Entschluss steht wahrscheinlich schon lange fest, aber ich will nicht, dass es so zwischen uns endet. Jede Beschimpfung und jede Backpfeife verdiene ich, das will ich nicht abstreiten. Aber ich will, dass du mich verstehst, und deswegen schreibe ich dir.
Es tut mir leid, dass ich dir nicht von Claire erzählt habe. Ich kann mir denken wie das auf dich gewirkt haben muss, besonders nach unserem Kuss. Du erzählst mir alles über dich und ich verheimliche dir meine anhängliche Ex-Freundin. Es war dumm von mir zu denken, dass Claire es verstanden hätte, dass es mit uns endgültig vorbei war, denn für sie war es das nicht. Trotzdem hätte ich dir davon erzählen sollen und auch von dem Telefonat.
Ich hielt das alles für unwichtig und wollte dir keine Sorgen bereiten. Durch mein Schweigen habe ich es dennoch geschafft, die Situation zu verschlimmern. Dann ist auch noch Claire aufgetaucht und du fühlst dich verständlicherweise wie mein kleiner Zeitvertreib, aber das warst und bist du nicht. Seit dem ersten Tag war ich an dir interessiert und wollte wissen wer sich hinter dem Namen Indiana Jones verbirgt. Du hast es mir nicht leicht gemacht in der kurzen Zeit, doch genau das fand ich toll, du lässt dich von niemandem beeinflussen und bist so wie du bist.
Bitte gib uns nicht so leicht auf. Ich habe Fehler gemacht die ich nicht hätte tun dürfen und ich bereue sie zutiefst.
Du bedeutest mir viel, sehr viel. In den letzten Tagen, bevor Claire auftauchte, wurde mir bewusst, dass ich mehr Zeit mit dir verbringen möchte. Ich will mit dir ins Kino gehen, picknicken, kochen und deine Hand halten, wenn wir gemeinsam durch den Wald wandern.
Ich will DICH.
Vielleicht kannst du mir verzeihen und gibst uns beiden noch eine Chance, denn wenn ich dir egal wäre, wärst du nicht gar so enttäuscht von mir.

Derek

Wütend zerriss ich den Brief in viele kleine Teile. Er hatte Recht, meine Entscheidung stand fest. Solch einen großen Verrat konnte ich nicht verzeihen. Ein Brief, oder hunderte Entschuldigungen würden nichts daran ändern. Hätte er mir von Claire erzählt und hätte er sie nicht vor meinen Augen geküsst, wären wir nun nicht in dieser prekären Situation. Derek und ich würden nun weiterhin eine geheime Beziehung innerhalb des Camps führen und nach den acht Wochen hätten wir es mit richtigen Dates versucht. Aber es war anders gekommen und wenn es so für uns bestimmt war, dann war es so.
Mit einigen wenigen Sätzen hätte er mir von Claire erzählen können, nun war es zu spät und das Resultat daraus waren gebrochene Herzen.
Damit Derek eine eindeutige Antwort erhielt, schnappte ich mir die Fetzen seiner Mitteilung und eilte zu seinem Bungalow. Laut klopfte ich, jedoch öffnete mir nicht Derek die Tür, sondern ein verwirrt dreinschauender Sam.
„Ist Derek hier?", wollte ich ohne Umschweife wissen.
Sam deutete mit seinem Arm in das Zimmer und zeigte mir, dass niemand außer ihm hier war. Also ging ich zu Dereks Bett und schmiss die Papierstücke auf die Matratze.
„Richte ihm freundliche Grüße von mir aus", sagte ich gespielt zuckersüß.
„Könnt ihr euch nicht wie erwachsene Menschen aussprechen?", fragte Sam genervt. Eingeschnappt verschränkte ich die Arme vor meiner Brust und sah ihn direkt an. Meine Worte sprach ich ganz langsam aus, damit er es besser verstand: „Es gibt nichts zu klären. Warum ist das so schwer zu verstehen? Er wird mit Claire glücklich in einem Haus am Strand leben, sie bekommen viele hübsche Kinder und ich werde nie wieder von ihm hören. Ist alles geklärt."
Plötzlich tauchte Derek in der Holzhütte auf und fragte was hier los sei. Verwirrt sah er abwechselnd von mir zu seinem Zimmerkameraden und wartete auf eine Antwort.
„Ich glaube Felix hat mich gerufen, ich sollte mal nachsehen." Schon huschte er aus dem Bungalow und ließ mich mit Derek alleine.
Toller Freund, dachte ich genervt. Auch ich wollte gehen, aber er verschloss schnell die Tür hinter sich, sodass ich nicht entkommen konnte. Seine Spielchen gingen mir gehörig auf die Nerven. Ich war schon vor Sams Verschwinden gereizt gewesen. So schwer von Begriff konnte wirklich nur Derek sein. Nein, bedeutete ‚nein' und nicht ‚vielleicht' oder ‚ja'.
„Hast du meinen Brief gelesen?"
„Ja, habe ich. Er liegt verteilt auf deinem Bett."
Fassungslos sah er mich an, ich jedoch meinte, dass er nicht überrascht sein sollte, da er das in seinem Brief ja sogar vorhergesagt hatte. Ich wollte mit meiner Wut und der Enttäuschung bloß in Ruhe gelassen werden und nicht mit jedem darüber sprechen. Besonders nicht mit Derek. Warum brachte er mich so zur Verzweiflung? Es gab nichts mehr zu retten, denn auch er hatte seinen Entschluss gefasst. Er hatte Claire gewollt und nicht mich. Das musste ich genauso akzeptieren, wie er meine Entscheidung.
„Hör mir bitte zu, Indi", flehte er mich erneut an, doch ich schüttelte meinen Kopf. Auch, um den Gedanken zu vertreiben, dass ich es mochte, wenn er mich bei seinem Spitznamen nannte. Seit dem ersten Tag wollte ich, dass er mich nur noch so nannte. 
„Mach es uns nicht schwerer als es schon ist." Wieder sammelten sich Tränen in meinen Augen. Ich konnte einfach nicht mehr. Es war zu viel für mich. Laut begann ich zu schluchzen, zurückhalten konnte ich mich nicht mehr. Ich ließ meinen Gefühlen freien Lauf. Blind vor Wut kam ich ihm einige Schritte näher, bis uns nur noch wenige Zentimeter trennten. Ein Schlag nach dem anderen bekam seine starke Brust ab, doch er zuckte nicht einen Millimeter zurück. Er hielt mich nicht auf.
„Ich kann einfach nicht mehr. Du hast mich so sehr verletzt. Warum, Derek, warum?" Erschöpft sackte ich an seiner Brust zusammen. Fest schlang er seine Arme um meinen schlanken Körper, als wüsste er, dass es das letzte Mal sein würde. Als ich ihn unter Tränen ansah, konnte ich erkennen, dass auch ihn das Ganze mitnahm.
Meine Gefühle spielten verrückt. Ich wollte ihn küssen, schlagen und wie einen kleinen Jungen ausschimpfen. Alles zur selben Zeit. Doch um klare Gedanken zu fassen, musste ich weg von hier. Weg von Derek, fort aus dem Camp und den ganzen Menschen die mir etwas bedeuteten.

Mein Vorhaben stand fest, morgen würde ich das Camp frühzeitig verlassen.

Indiana in OhioWo Geschichten leben. Entdecke jetzt