Das Ende des goldenen Zeitalters

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Venezia, Italien, Aurora mit 7 Jahren

Fest hielt ich die Hand meiner Mutter als wir über den Markt der Stadt gingen. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen solchen Trubel auf den Straßen Venezia's gesehen. Von überall ertönten die weichen Klänge fröhlicher Musik zu der die Menschen freudig tanzten. Ich roch Gerüche von ausländischen Gewürzen, gebratenen Fleisch und gebackenen Brot. Jeder der Händler warb mit seinen Waren und drückte mir zur Feier des Tages ein kleines Stück in die Hände. Noch bevor wir etwas kaufen konnten, war mein Magen voll von all den Leckereien.
Wir kauften ein wenig Brot, einige Gewürze und ein Huhn. Dann gingen wir zum Schneider bei dem Mutter ein neues Kleid für mich bestellte. Erst jetzt bemerkte ich wie klein mein Altes geworden war.
"Wenn wir jetzt schnell gehen, können wir das Huhn für Papà vorbereiten bevor er mit der Arbeit fertig ist. Er wird sich sicher über die Überraschung freuen, was meinst du?", fragte meine Mutter und fuhr mir liebevoll durchs Haar.
Ich nickte aufgeregt und nahm übereifrig ihre Hand um sie mitzuziehen. Sie lachte und folgte mir.
Unser Bauerndorf lag etwa eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt von der Stadt. Diesmal jedoch brauchten wir nur die Hälfte. Einen Teil des Weges war ich vor Aufregung beinahe gerannt. Ich wusste nicht warum ich mich so wohl fühlte an jenem Tag. War es das Wissen in Vaters glückliche Augen zu sehen, welche ich seit langer Zeit nur tränennass und verzweifelt gesehen hatte? Oder war es die Glückseligkeit dieser Menschen in der Stadt, die mich ansteckte? Oder war es doch nur die Ruhe vor dem Sturm?
Geschwind hielt ich die Tür für meine Mutter auf. Sie legte das Huhn auf einem hölzernen Tisch und begann es zu rupfen.
"Hol doch einen Eimer Wasser, Angelino.", sagte sie woraufhin ich flott nach einem Eimer griff und zum Dorfbrunnen lief.
Mir fiel ein Trupp Wachen auf, die an die Tür eines naheliegenden Hauses klopften. Ich beachtete sie nicht sondern konzentrierte mich wieder auf das Wasser in meinem Eimer, dass beinahe überzulaufen drohte. Ich schleppte ihn wieder zurück zum Haus und stellte enttäuscht fest, dass Papà bereits am Tisch saß. Ich hatte gehofft ihn überraschen zu können. Ich wollte Mutter Vorwürfe machen, weil sie ihn einfach reingelassen hatte, doch sie unterhielten sich gerade. Es wäre unhöflich gewesen hineinzureden. Also setzte ich mich einfach neben ihn und schnitt ein wenig Gemüse, dass mir Mutter bereits hingelegt hatte.
"Sie sind so glücklich, du hättest es sehen sollen.", sagte Mutter, "Die ganze Stadt feiert den neuen König."
Vater nickte. "Natürlich tun sie das. Sie haben ihm geholfen an die Macht zu kommen, nachdem er jeden einzelnen von ihnen manipuliert hat. Ich bin gespannt, wie lange er noch seine Maske tragen wird."
Meine Mutter sah vom Huhn auf. Ich mochte es nicht, wenn sie solch eine ernste Miene aufsetzte. "Er ist noch so jung wie ein Bursche, doch so hinterlistig und klug wie ein alter Mann. Es wird nicht lange dauern bis er sich nimmt, nach was er giert."
"Das glaube ich auch. Nicht lange dann werden die ersten Soldaten kommen und Gold oder Menschen mitnehmen. Er wird Krieg führen. Erst gegen seine Gegner in Italien, dann gegen alle anderen auf dieser Welt."
"Soldaten?", fragte ich und schämte mich dafür im selben Moment in dem ich es ausgesprochen hatte. Meine Eltern mochten es nicht, wenn ich sie bei politischen Gesprächen unterbrach. Sie hatten ja Recht, ich verstand nichts davon, doch ab und zu wollte ich Dinge hinterfragen, die für mich keinen Sinn ergaben.
Doch diesmal sah mein Vater mich nicht so an wie sonst. Er wirke liebevoll und freundlich. "Mit Soldaten meine ich Wachen.", erklärte er, "Die Menschen mit den Rüstungen und Waffen."
Ich verschränkte die Arme. Natürlich wusste ich, was Soldaten und Wachen waren.
"Das weiß ich.", erwiderte ich, "Ich wollte nur sagen, dass ich welche gesehen habe als ich Wasser holen war."
Im gleichen Moment sahen sich Mutter und Vater an, auf eine Art und Weise, die mir gar nicht gefiel. War es Angst in ihren Augen? Überraschung? unheilvolle Vermutungen?
"Bist du dir sicher?", fragte Vater eindringlich.
Ich nickte schnell, nicht sicher, ob ich etwas falsch gemacht hatte.
Meine Mutter rannte zum Fenster und beobachtete die Gegend. "Es ist zu früh.", sagte sie schnell, "du musst dich irren!", meinte sie an mich gewandt.
Ich schüttelte schnell den Kopf. "Ich weiß, was ich gesehen habe. Es waren Wachen. Die, die wir immer in Venezia sehen. Sie haben an das Haus des Alten Imkers geklopft."
Ich sah wie sich der Körper meiner Mutter anspannte. "Aurora hat Recht.", flüsterte sie geschockt, "Sie kommen in unsere Richtung."
Alarmiert stand Vater auf und hob mich hoch zum Fenster auf der anderen Seite des Hauses.
"Klettere raus!", befahl er mir in einem strengen Ton. Ich tat, was er sagte, ohne wirklich den Grund zu verstehen. Ich reichte ihm meine Hand, um auch ihm hinaus zu helfen, doch er machte keine Anstalten sie zu nehmen.
"Renn, Aurora. Renn so schnell du kannst, so weit du kannst. Weißt du noch von Leopold? Dem Schuster in der Stadt. Geh zu ihm und warte dort."
"Aber-"
"Kein Aber! Tu was ich dir sage!"
Er schloss das Fenster und begann nach Sachen zu kramen. Meine Mutter tat es ihm nach. Alles was sie fanden warfen sie ins Feuer. Ich erkannte Bilder von mir, Symbole, meine alten Spielzeuge.
Ich konnte mich nicht vom Fleck bewegen. Ich war nicht fähig auch nur einen meiner Muskeln zu steuern.
Ich hörte das laute Klopfen an der Tür.
Was war nur los? Was wollten sie von meinen Eltern?
Mit einem lauten Knall flog die Tür auf. Die Wachen traten ein. Ich duckte mich, damit sie mich nicht sehen konnten.
Ich war zu jung um zu begreifen. Es ging viel zu schnell.
Als die Wachen sahen wie Mamma und Papà weiterhin Dinge verbrannten packten sie sie. Die Männer schmissen sie zu Boden und hielten sie fest. Ein anderer zog eine riesige Axt hervor.
Ich hörte die Schreie meiner Eltern, hörte wie sie litten.
Der Mann holte aus und schlug ihnen die Köpfe ab. Ich sah das Blut, sah die Leblosigkeit in ihren Augen. Mein Magen rebellierte, ich erbrach mich so leise ich nur konnte.
Ich nahm nichts mehr wahr. Es war als wäre alles nur ein böser Traum, aus dem ich schon bald aufwecken würde.
Ich bemerkte wie er erneut mit der Axt ausholte, schnell drehte ich mich weg, stand auf und rannte davon. So schnell wie mich meine Füße tragen konnten.
Ich achtete nicht auf die Schreie von Bauern an dessen Tieren ich vorbei lief und dabei erschreckte. Ich achtete nicht auf die Stadtbewohner, die ich mit Schlamm bespritzte als ich mir unachtsam meinen Weg ins Innere der Stadt bahnte.
Ich brauchte nicht lange bis ich den Schuster fand, von dem mein Vater mir erzählt hatte.



Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt