Aufbruch

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Die Nacht war herein gebrochen. Venezia erfuhr zum ersten Mal was wahre Dunkelheit bedeutete. Wachen zogen durch die Straßen, klopften an jede Tür, schlugen Kinder und Frauen.
"Sie suchen nach euch.", flüsterte Matteo neben mir auf dem Dach eines besonders großen Hauses. In unserem Hauptquartier waren wir nicht mehr länger sicher.
"Nach mir oder nach der Königin?", fragte ich.
"Seid ihr nicht beides?"
Ich schüttelte den Kopf. "Die Königin war von Anfang an eine Lüge, eine Person, die niemals wirklich existiert hat."
Er lächelte. "Nun, sie suchen wohl eher nach der Königin. Ihr hättet Emilio sehen sollen. Mit euren letzten Worten nahmt ihr ihm all den Triumph, den er kurz zuvor verspürte. Er ist völlig außer sich."
"Warum zelebriert er dann morgen?"
Die Puzzleteile ließen sich nicht verbinden, so sehr man es auch versuchte. Der König sollte wütend sein, doch kündigte trotzdem ein großes Fest an, wie mir Matteo erzählt hatte.
"Ohne euch ist er dumm.", erwiderte er, "Er will uns weißmachen, es gäbe keinerlei Probleme, doch das bezweckt er mit diesem Fest ganz sicher nicht. Alles was er schafft, ist ein perfektes Ziel für einen Anschlag. Ich bitte euch, Aurora, lasst uns morgen zuschlagen."
Ich nickte. An diesem Gedanken hatte ich schon festgehalten als er mir die Neuigkeiten berichtete. Höchst wahrscheinlich rechnete der König damit, aber was scherte es mich? Er würde von nun an ohnehin jeden Tag damit rechnen.
"Sì", antwortete ich, "Wir werden zuschlagen, Matteo. Morgen früh werden wir die Stadt zusammen trommeln und alles vorbereiten."
Er lächelte überglücklich. "Ich bin froh, dass ihr endlich zur Besinnung gekommen seid."
"Das bin ich nicht.", meinte ich, "Bevor das passiert ist war ich bei Besinnung. Jetzt erfüllt mich reiner Hass, doch es ist mir egal. Ich werde dagegen nicht ankämpfen."
Wortlos klopfte er mir auf die Schulter und ging davon. Wahrscheinlich wieder in das Schloss um Emilio zu beruhigen.
Ich zog mir meine Kapuze tiefer ins Gesicht und versuchte einzuschlafen, mich nicht irritieren zu lassen von den Stimmen in den Gassen von Wachen, schreienden Kindern, wütenden Männern und verängstigten Frauen.
Ich musste ein wenig Schlaf finden, damit ich alle Konzentration besaß, die ich hatte. Der morgige Tag würde alles entscheiden. Der morgige Tag war entweder der Beginn eines neuen Zeitalters oder das Begräbnis aller Hoffnung, die wir einst hatten.


"Ist sie schon wach?", flüsterte Mia's Stimme nicht weit von mir entfernt.
Ich streckte mich langsam und öffnete die Augen.
Sie sah mich mitleidig an und half mir auf.
"Die Männer sind bereits bei den Vorbereitungen.", sagte Matteo.
"Wie das?", fragte ich noch etwas verschlafen.
"Sie verteilen Rosen", erklärte Mia, "Und flüstern den Bürgern die Zeit und den Ort zu."
"Gut.", sagte ich und sah hinab auf die Straßen. Ja, unsere Arbeit schien Früchte zu tragen. Ich sah diese Blume wohin ich nur blickte. Frauen trugen sie unauffällig in ihren Haaren, Männer steckten sie sich an ihre Kleider, Kinder sprangen damit umher, verteilten sie auf den Straßen. Ich sah wie die Leute sich zustimmend zunickten.
"Werdet ihr heute da sein?", fragte ein blutjunges Mädchen einen alten Mann auf der Straße so leise sie nur konnte.
Dieser nickte. "Mit der schärfsten Mistgabel, die ich auftreiben kann.", antwortete er.
Es war ein gutes Gefühl. Alles verlief nach Plan, die Bürger standen hinter uns trotz, dass wir ihre angeblich geliebte Königin entführt hatten. Es scherte sie nicht. Zu viel hatte der König verbrochen, als dass sie ihm wegen einer freundlichen Frau verzeihen konnten.
"Ich habe noch etwas für euch.", hauchte Mia, grub in einer alten Tasche herum und holte Stoff hervor. Sie breitete es aus und ich erkannte was es war. Ein neues Gewand, noch viel schöner als das erste. Es war blutroter samtiger Stoff. Er war nur leicht verziert mit einigen wenigen Mustern und Rüschen. So praktisch und doch elegant.
"Ich danke euch.", sagte ich und tauschte meine Kleider. Dann versteckte ich meine Wurfmesser in einer Halterung an meinem rechtem Bein und schnallte mein Schwert um meine Hüfte.
Ich verabschiedete mich von Mia und sprang hinab in die staubigen Straßen mit Matteo an meiner Seite, um meine Männer zu suchen. Sie standen bereits an unseren Treffpunkt, nicht weit entfernt von den Mauern des Schlosses vor dem sich schon bald die Bürger Venezias versammeln würden.
Doch diesmal nicht, wie sie es sonst bei jeder Feierlichkeit taten. Diesmal würden es tausende sein und nicht zwanzig und diesmal würden sie aufgebracht sein und nicht friedlich und diesmal würde sie nicht protestieren, nein, sie würden kämpfen.
"Seid ihr bereit?", rief ich ihnen zu.
Sie nickten, bereitwillig alles zu geben.
"Wie gesagt", erklärte ich ein letztes Mal, "ich führe das Volk durch die Mauern. Lasst es kämpfen. Vor den Mauern sind sie in der Überzahl. Doch begleitet mich nach drinnen in den Ballsaal. Dort werde ich eure Anwesenheit wohl mehr brauchen."
Erneut nickten sie zustimmend.
"Wir werden uns wieder sehen.", brüllte ich, "Morgen, wenn nicht nur ein neuer Tag angebrochen sein wird, sondern auch ein neues Zeitalter."

Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt