Rollende Köpfe

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Ich sah neben mich. Emilio schlief tief und fest. Sein Bauch hob und senkte sich gleichmäßig während er leise Luft holte. Die Venezianische Sonne erhellte die eine Hälfte seines Gesichtes. Ein treffendes Bild, wie ich fand. Emilio besaß tatsächlich zwei verschiedene Gesichter. Das eine, verborgen im Schatten, das andere, so hell wie der Tagesanbruch. Es war als trüge er zwei Masken.  Die eine überlappte die andere, so dass man nie wirklich sicher war, was sich unter ihnen verbarg. Ich wollte ihn hassen, es war mein größter Wunsch, doch langsam begann sich etwas in mir zu regen. Vielleicht war er nicht so wie ihn all diese Menschen einschätzten. Vielleicht war er vollkommen missverstanden. Er hatte mir nicht viel mehr über jene Nacht gesagt, in der er dem Volk Rache schwor, doch es musste einen schwerwiegenden Grund gehabt haben.
Langsam öffnete er seine Augen und begann zu lächeln, sanft und verschlafen.
"Wie lange beobachtet ihr mich schon, Tenerezza?", fragte er und küsste mich sanft.
Ich erwiderte ihn. Freiwillig. Beinahe bereitwillig.
Mir grauste es bei dem Gedanken. Ich musste dringend Mia sprechen und ihre Meinung hören.
"Nicht lange.", antwortete ich und stand ohne ein weiteres Wort auf.
Ich ließ mich ankleiden, frisieren und baden und traf ihn schließlich wieder an der großen Tafel.
Nicht wie eigentlich üblich, setzte ich mich genau neben ihn, wo mein Platz gedeckt war.
"Dies ist euer erster richtiger Tag als Königin.", stellte Emilio fest, "Seid ihr bereit diese Bürde zu tragen?"
"Das bin ich.", antwortete ich leise.
"Nach dem Essen werden die Bürger kommen. Es ist üblich, dass sie eine Stunde vor den König und die Königin treten und ihre Sorgen vortragen. Ich möchte, dass ihr dabei seid."
Ich nickte still.
Ich fühlte mich unwohl in seiner Gegenwart. Ich fühlte mich unwohl, weil ich mich wohl fühlte. Es war verrückt, nicht zu begreifen. Ich sehnte den Hass zurück, den ich empfunden hatte, er hatte sich einfacher angefühlt.
Wir aßen auf und setzten uns dann auf die zwei großen verzierten Stühle. Die riesigen Türen flogen auf und die Bürger strömten in die großen Hallen, um sich in einer Reihe aufzustellen und über ihre Probleme zu reden.
Ich hatte das Schauspiel oft von weiten verfolgt, doch nach vorn getreten war ich nie. All das war eine Illusion, die dem Volk weismachen sollte, es gäbe jemanden, der sich um sie scherte.
Doch es stellte sich heraus, dass es noch sinnloser war als ich gedacht hatte. Bauern beschwerten sich über Ziegen, die von Wölfen gerissen worden waren, Kinder wollten mehr Spielzeuge und die Dirnen kämpften dafür näher an den Kirchen huren zu dürfen. Es war verwunderlich, suspekt, dass ein niemand die wahren Probleme ansprach. Niemand klagte wegen Hunger, wegen Furcht, wegen Kälte. Wurde ihnen befohlen so etwas nicht anzusprechen? Oder was war mit denen passiert, die es taten? Gerade als ich Emilio fragen wollte, trat ein Kind nach vorn, gerade mal zehn. Der Junge sah uns mit seinen tiefblauen großen Augen an und begann zu weinen.
"Ich verhungere!", rief er schluchzend, "Mein Bauch tut weh. Ich kann mir nicht einmal den Dreck auf den Straßen leisten."
"Arbeitest du denn für dein Geld?", fragte der König desinteressiert.
"Ich kann nicht. Wegen euch gibt es keine Arbeit mehr, die bezahlt wird", sagte er leise.
Plötzlich wirkte Emilio mehr als interessiert. Er beugte sich nach vorn und grinste hämisch als freute er sich darüber, was der Junge gesagt hatte.
"Habe ich richtig gehört?", fragte er scharf, "Ich bin daran Schuld, dass dich niemand bezahlen will? Bist du ein Hetzer? Weißt du, was ich mit Hetzern tue?"
Er winkte einer Wache zu, die sich augenblicklich in Bewegung setzte und ein Messer hervor zog.
Der Junge begann aufzuschreien, doch schon wurde er unsanft gepackt und ihm wurde das Maul gestopft. Gerade wollte die Wache ausholen als ich, hinein in den leisen Saal, "Nein!" schrie.
Ein jeder drehte sich zu mir und musterte mich argwöhnisch. Auch der König sah nicht begeistert von meiner Tat aus.
"Es wird euch gut tun eine gütige Gemahlin zu haben.", flüsterte ich leise, "Das Volk wird sich freuen, Hoffnung schöpfen. Wir sollten sie glauben lassen, dass ich euch ein wenig zur Vernunft bringen kann, wenn ihr versteht was ich meine."
Er begann zu grinsen. "Durchaus, ich verstehe."
Mit einem Wink gebot er mir Vorrang. Ich erhob mich und ging auf den bibbernden Jungen zu.
"Benutzt keine Wort von denen ihr nicht das Maß ihrer Bedeutung schätzen könnt, kleiner Kämpfer.", ich nahm das Tuch aus seinem Mund, damit er wieder ordentlich sprechen konnte.
"Ihr seid mutig.", sagte ich, "Doch das wird euch nicht weit bringen. Versucht erst zu verstehen, dann zu stürmen. Der König ist nicht der Grund, warum ihr keine Arbeit findet, ihr seid es. Strengt euch ein wenig mehr an und schon bald werdet ihr geschätzt und bezahlt. Macht nicht die anderen Menschen für euer Versagen verantwortlich. Ihr könnt es besser."
Der Raum blieb still. Ein niemand vertraute wirklich darauf, was er gerade gehört hatte.
Es war genial. Ein Plan für den mich der König noch loben würde und die Revolutionsgruppen hassen. Ja, es würde den Hass der Menschen schwächen, wenn ich mich weiterhin so verhielt.
Es war die perfekte Mischung. Ein grauenvoller König, der die Menschen in genug Angst und Schrecken versetzte, um sie davon abzuhalten ohne weiteres einen Aufstand anzuzetteln und eine liebevolle Gemahlin, die dem Volk weismachte, es würde falsch liegen, wenn es den König für all die Missstände verantwortlich machte.
Langsam verbeugte sich der kleine Junge und rannte aus dem Saal als hätte er sich falsch verhalten.
"Die Sitzung ist hiermit beendet!", schrie ein Diener des Königs.
Langsam verstreuten sich die Menschen wieder. Doch in all dem Trubel fielen mir zwei vermummte Gestalten auf. Es waren eindeutig Mia und Gennaro. Sie warfen mit einen bedeutungsvollen Blick zu bevor sie sich zwischen die anderen gesellten und mit ihnen hinaus gingen.
Es war höchste Zeit zu reden.


"Fantastisch.", schrie Emilio Cafissi als wir wieder unsere privaten Gemächer erreicht hatten, "Ihr seid genial, Tenerezza! Das Volk wird schon bald vor euch niederknien! Sie werden euch verehren, euch um eure Kleider beneiden, eure Schönheit. Ihr werdet schon bald das einzige Thema in ganz Venezia werden. Sie werden gar nicht bemerken, wie sehr ihr Bauch knurrt, wenn sie über euer letztes Kleid beim Ball sprechen, sie werden nicht bemerken, wie sie stinken, wenn sie über eines der unzähligen Gemälde sprechen, die noch von euch angefertigt werden."
"Dies war mein Plan.", erwiderte ich. Das und den armen kleinen Jungen zu schützen, der letztendlich nichts außer der Wahrheit gesagt hatte.
Ich atmete tief aus, erinnerte mich an Mia und Gennaro. Ich wollte zu ihnen und nicht hier im Schloss verrotten.
"Darf ich ausgehen?", fragte ich so liebevoll wie nur möglich, "Ich sah ein nettes kleines Geschäft am Rande der Stadt. Die Adligen werden es mögen."
"Natürlich, ihr habt es euch verdient. Tut, was ihr wollt, Tenerezza. Doch seid vor Sonnenuntergang wieder zurück. Ich habe ohnehin einige Dinge mit meinen Beratern zu bereden. Ihr gabt mir heute genug Denkanstöße."
Ich verbeugte mich dankbar und rannte beinahe aus dem Schloss, vorbei an Dienern und Zofen, vorbei an Wachen. Ich brauchte die Bürde von bewaffneten Rittern hinter mir nicht, nicht dieses Mal. Ich wollte so schnell sein wie ich konnte.
Ich kletterte aufs Pferd und ritt in Richtung des alten zerfallenen Stadthauses. Immer wieder drehte ich mich besorgt um, um sicher zu sein, dass mir niemand folgte. Im Hof sattelte ich ab und trat ein. Mia und Gennaro erwarteten mich bereits in dem großem Esszimmer, in dem ich noch immer Masjats Leiche vor meinem inneren Auge sah.
"Was ist in Euch gefahren?", fragte Mia aufgebracht, "Ihr unterstützt den König!"
"Das tue ich nicht.", erwiderte ich schnell, "Ich möchte meine Rolle nur glaubwürdig spielen und selbst wenn es die Menschen manipulieren wird, in eine Richtung, die wir nicht unbedingt wollen, so rette ich sie trotzdem vor der Gewalt des Königs."
"Doch von Anfang an war es unser Plan das Volk zu ermutigen, es gegen ihn aufzubringen.", meinte Gennaro, "Damit erreicht ihr exakt das Gegenteil. Ihr arbeitet gegen euch selbst. Eure innere Königin, gegen eure innere Rebellin."
"Ich bin nicht mehr überzeugt.", platzte ich heraus und setzte mich auf einen der vielen Stühle, "Ihr würdet es verstehen, wärt ihr ihm so nah wie ich. Er behandelt mich wie eine Blume. Er kann nicht nur Böse sein."
"Ein niemand kann nur böse sein.", meinte Gennaro deutlich ruhiger als Mia, "Doch es zählt was wir für gewöhnlich zu wählen zeigen. Lasst euch nicht manipulieren. Dieser Mann tat Schreckliches. Kein Grund dieser Welt kann solcherlei Schandtaten rechtfertigen, meint ihr nicht auch? Er war zu den meisten ein schlechter Mensch also verdient er gleiches."
Ich nickte traurig. Ich war davon überzeugt, dass sie anderes reden würden, wenn sie in meiner Lage gewesen wären. So leicht war es nicht.
"Werdet ihr uns immer noch führen?", fragte Gennaro einfühlsam.
"Ja, natürlich.", antwortete ich, "Ich weiß, dass er sterben muss. Doch nicht bevor ich nicht versuche ihn zu verändern."
Ich hörte Schritte. Aus dem dunklen des Raumes kam Matteo de Rossi hervor. Ich hatte ihn schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Nicht einmal auf meiner Hochzeit.
"Werden meine Worte euch umstimmen können?", fragte er und trat ins Licht.
Er sah grauenvoll aus. Wunden und blaue Flecke überströmten sein Gesicht. Deutliche Narben zeichneten sich auf seinem Hals und Handflächen ab. Nicht auszudenken, was sich unter seinen Gewändern verbarg.
"Was ist geschehen?", fragte ich aufgewühlt.
"Der König geschah.", antwortete er trocken, "Erzählte man Euch nicht von einem Gefangenen?"
Ich schluckte schwer. "Ihr tatet Besorgungen für das königliche Hause.", sprach ich schnell in der Hoffnung er würde nicht sagen, was er im Begriff war zu tun.
Er lächelte schwach. "Das war ich, sì, zumindest bis vor kurzem. Als ich wieder ankam wurde ich empfangen von einem aufgebrachten König. Er machte mich, als seinen Berater, verantwortlich für die Angriffe von Euch. Drei Tage ließ man mich foltern in den Verließen des Schlosses und Ihr traut euch zu sagen, dass in ihm nicht nur Böses sei."
Wie konnte Emilio so etwas nur tun? Da waren sie wieder die Masken, doch als er solch eine Entscheidung traf, trug er wohl zwei schwarze von ihnen.
"Ihr seid mein Großcousin.", sagte ich schnell, "zumindest glaubt er das. Er würde Euch nicht anrühren. Er sagt, er behandelt, jene, die er liebt, mit Anstand und Respekt."
Matteo sah mich bedeutend an. "Ja, das tut er, doch nicht deren Liebsten."
Ich atmete tief aus. Auch das stellte meinen Hass immer noch nicht wieder her, doch es half, so absurd es auch klingen mochte.
"Ich werde hier her kommen, wann immer ich kann. Ich nehme ein Geschäft, an dem ich arbeite, als Ausrede für meine Besuche. Gebt mir einen Eurer Männer. Er soll es vorrantreiben mit den Geldmitteln, die ich ihm gebe, damit der König einen Fortschritt sieht. Wir werden einen erneuten Angriff starten. Jetzt."
"Jetzt?", fragten alle drei wie im Chor, völlig ungläubig.
"Das ist unmöglich!", meinte Gennaro.
"Ich kann nicht jedes Mal aufs hier her kommen ohne etwas zu tun. Meine Besuche werden begrenzt sein, wenn Matteo erst einmal wieder auf Reisen ist habe ich gar keinen Boten mehr. Also nutzen wir, was wir haben."
Sie sahen sich bedeutungsvoll an. Ihre schlechten Vorahnungen waren zu spüren, doch ich hatte ein gutes Gefühl.
"Mia?", fragte ich an sie gewandt, "Holt den Hauptmann der Wache. Er sah euch stets, wenn ihr ins Schloss gingt, richtig?"
Sie nickte.
"Sagt ihm ich brauche seine Hilfe. Doch niemand darf euch hören und er darf keine Unterstützung anfordern. Er soll allein kommen."
Fragend sah sie mich an, nickte dann jedoch erneut und trat aus dem zerfallenen Gebäude.
"Was habt ihr vor?", fragte Matteo verwirrt.
"Heute ist ein großer Markt. Ich sah es als ich zu Euch ritt. Ich werde das Volk aufstacheln, so sehr ich nur kann mit dem Kopf des Hauptmanns in meiner Hand."
Matteo schluckte schwer. "Das könnt ihr nicht machen."
"Doch.", sagte Gennaro sofort, "Genau das ist, was sie machen soll. Radikale Absetzungen, erfordern radikale Maßnahmen."
"Was ist mit euch?", fragte ich an den Adligen gewandt, "Er wird euch wieder foltern lassen, wenn er davon hört."
"Egal!", schrie er sofort, "Er schätzt meine Meinung zu sehr, als dass er mich töten lassen würde. Jede Folter ist irgendwann zu Ende. Ich stehe hinter euch, Signora. Ich helfe bei allem, was diese Revolution vorrantreiben kann."
"Dafür danke ich euch.", erwiderte ich ehrlich, "Holt die anderen Männer, wärt ihr so nett?"
Matteo nickte und stürmte davon.
"Ihr seid nicht überzeugt von dem, was Ihr tut.", stellte Gennaro fest, der nun noch als einziger mit mir in dem kalten Essenssaal stand. "Warum also tut ihr es?"
"Das ist die Seite auf die ich wirklich gehöre, welche Zweifel ich auch empfinden mag, ich war schon immer das arme Bettlersmädchen, dass den Ärmsten das Wenige stahl, was sie hatten, nur um zu überleben. Ich weiß, dass er es verdient hat, tief in meinem Inneren.", erklärte ich.
"Ihr seid jetzt die Königin von Venezia. Ihr werdet noch viel erfahren, dass euch gegen ihn aufbringen wird, da bin ich mir sicher."
"Ich nicht.", antwortete ich, "Im Schloss wirkt die Welt da draußen anders. Ich sehe nichts mehr von den leidenden Menschen, sondern nur noch die hochtrabenden Adligen, die ihr Leben leben als wäre nichts. Es ist leicht zu vergessen."
"Darum seid ihr hier. Um euch zu erinnern, wie die Welt wirklich aussieht. Ihr kennt sie, ihr habt sie immer gekannt, denkt nicht, sie wäre anders als das."
Ich lächelte ihn an. Er war ein guter Mann, ein guter Freund.
"Ich danke euch.", sagte ich leise.
"Für was?", fragte er schmunzelnd.
"Dafür, dass ihr mir den richtigen Weg weist, wenn ich ihn nicht sofort sehen kann."
"Der Nebel des Krieges ist dicht.", erwiderte er, "Oft ist man im Begriff die falschen Abzweigungen zu nehmen. Masjat wählte den ersten Weg und wurde zu der Bestie, die er zu töten versuchte. Das Volk wählte den zweiten Weg und unterwarf sich ohne zu kämpfen. Doch wir, wir schlugen uns ,zwischen Beiden, durch dichtes Geäst und über schwere Steine. Der gerade Weg, der gemachte, ist nicht immer der richtige, Signora Pollina. Auf beiden liegt ein wenig Wahrheit, ein wenig Tugend. Wir, die Fratellanza, sorgen dafür, dass wir nur dann auf einen der Wege wechseln, wenn wir wissen, dass es angemessen ist, doch niemals nur, weil uns ein Stein auf dem verwucherten Weg behindert. Ist das der Fall, kämpfen wir."
Ich sah ihn an, vollkommen beeindruckt von seinen Worten, seiner Intelligenz, seiner Güte. Noch niemals sah ich einen Mann wie ihn. Einen Mann, der so wenig Wert auf Macht und Herrschaft legte wie er. Das einzige worum es ihm ging, war die Freiheit, das Wohlbefinden der Bürger.
"Welch beeindruckende Symbolik.", flüsterte ich leise, "Ihr hättet wohl der Führer dieser Gruppe sein sollen."
Er schüttelte lächelnd den Kopf und kam mir näher. "Wir wählten richtig.", sagte er, "Solcherlei Entscheidungen zu treffen ohne groß darüber nachzudenken, könnte ich nicht. Ihr habt beschlossen, den Hauptmann der königlichen Wache zu töten, innerhalb von wenigen Sekunden. Ihr wisst, dass es nötig ist, wisst das es richtig ist, also tut ihr es."
"Ich denke es ist richtig.", erwiderte ich, "Am Ende schert es mich nicht, ob es so ist, Gennaro. Ich bin anders als ihr denkt. Man nahm mir jegliche Gefühle über mein ganzes Leben hinweg. Ich bin taub geworden gegenüber Zuneigungen, Konsequenzen, Gefühlen.
Gennaro begann zu lächeln und ergriff meine Hand. "Und zum ersten Mal liegt ihr falsch.", flüsterte er, "Ihr hofft, es wäre so, doch ich sehe es. In euren Augen, so viel Gefühl in einer einzelnen Person kann tödlich sein."
Er ergriff mein Gesicht, zog es zu sich und küsste mich.
Wie ein Blitz traf mich das Gefühl von dem ich noch Sekunden zuvor überzeugt war, es würde nicht mehr existieren. Ich fiel hinab in die schöne, warme Tiefe als ich meine Augen schloss und den Kuss erwiderte. Ich spürte ihn so nah an mir, dass es drohte mich umzubringen.
Langsam löste er sich wieder von mir, zu früh als, dass ich es begreifen konnte, begreifen wollte.
Es war ein zu kurzer Moment, in dem ich mich wieder gefühlt hatte, wie das sorgenlose Mädchen von früher.
Ich begriff den Grund für das plötzliche Ende als die komplette Elite der Fratellanza sich in dem kleinen Esszimmer versammelte.
Wie hatte er sie hören können? Ich war wohl zu berauscht gewesen, um irgendwas zu bemerken. Der Hauptmann selbst hätte durch diese Türen spazieren können und ich hätte ihn nicht bemerkt.
Ich versuchte mich zu fangen, wieder in die Realität zu gelangen.
"Signora Catalona wird den Hauptmann der königlichen Garde hier her bringen. Wenn er eintritt, werdet ihr ihn ergreifen. Wenn ich fertig damit bin ihm eventuell hilfreiche Informationen zu entlocken werdet ihr ihn töten und dann Köpfen. Dann werde ich zum Hauptplatz gehen und das Volk darauf aufmerksam machen. Irgendwelche Fragen?"
Alle nicken nur zustimmend und stellten sich in Position.
"Hier.", sagte Gennaro und übergab mir ein schwarzes, leichtes Gewand. So wunderschön wie nichts, dass ich jemals gesehen hatte. Kleine Rosen, beinahe unsichtbar, waren in den Stoff eingewebt. Leicht hoben sie sich ab durch ihre goldene Farbe.
"Mia fertigte es an.", erklärte er, "Es ist leicht, gut zum rennen oder kämpfen und der Stoff der Kapuze ist so gewebt, dass ihr mühelos hindurch sehen könnt und sie euch nicht die Sicht nimmt, doch für andere ist euer Gesicht nicht zu erkennen."
Beeindruckt nahm ich das Geschenk entgegen und warf es mir über mein Kleid. Es fühlte sich gut an, sehr leicht und dennoch blickdicht.
"Königin?", rief jemand nicht weit entfernt. Es war die Stimme des Hauptmanns. Ich erkannte sie deutlich. "Königin? Die Schneiderin schickte mich."
Ich sagte kein Wort, wartete nur bis er endlich in den Raum eintrat in dem wir uns versammelt hatten. Kaum tat er einen Schritt nach innen, fassten ihn meine Männer unsanft.
"Hinterhalt!", schrie er. Zwecklos, hier hörte man niemanden schreien.
Ich trat auf ihn zu. Ich sah wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte. "Ihr!", sagte er wütend, "Ihr seid die Rebellin, diese Anführerin! Diese Schneiderin gehört zu euch!"
"Sì.", erwiderte ich sanft lächelnd, "Wird die Garde einen neuen Hauptmann suchen, wenn ihr erst einmal tot seid?"
"Wollt ihr etwa Informationen?", schrie er laut, "Die kriegt ihr nicht, nicht von mir."
"Das habe ich mir gedacht.", meinte ich, "Ihr seid einer der Männer, die ihrem Herren treu sind. Bis ganz zum Schluss. Doch es schert mich nicht. Informationen waren das geringste, dass ich erhoffte zu bekommen."
Ich setzte die Kapuze ab, nur um in den Genuss des Gesichtes von dem Mann zu kommen. Lohneneswert, wie ich empfand.
"Ihr seid-", ich sah förmlich wie ihm übel wurde, "Das könnt ihr nicht-"
"Ich tat es bereits.", flüsterte ich.
Mit einem Handwink bedeutete ich den Männern ihn zu töten. Ein sauberer Schnitt durch die Kehle genügte. Ein anderer holte mit seiner Axt aus, so wie es einst die Wache mit meinen Eltern tat, und trennte den Kopf mit zwei Schlägen ab. Ich umwickelte das blutige Haupt des Mannes mit einem Tuch und verhüllte die zu Schrecken verzogenen Gesichtszüge.
"Seid ihr bereit?", fragte ich.
"Wenn ihr es seid.", antwortete Gennaro für die ganze Gruppe.
Ich nickte und bedeutete ihnen mir zu folgen. Es war an der Zeit endlich selbst das Gefühl der Revolution zu spüren, den Geruch von Freiheit zu riechen und den Geschmack von bevorstehendem Sieg zu kosten.





Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt