die Hochzeit

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Es wurde mir strengstens untersagt den Kerker zu betreten. Nicht einmal in der Nacht konnte ich mich unentdeckt hinunter schleichen.
"So etwas zu sehen schwächt euch, macht euch krank.", hatte der König liebevoll zu mir gesagt, "Ihr müsst so etwas nicht sehen. Vor allen Dingen nicht, wenn ihr noch nicht einmal eine Königin seid."
Es brannte mir ein Loch in mein Herz, nicht zu wissen, wen sie gefangen genommen hatten.
Die Chance war hoch, dass es ein mir Unbekannter war, ich seinen Tod leicht überwand und sein Blut als Aufopferung für eine größere Sache sah. Doch ebenso gab es die Möglichkeit, dass die erbitterten Schreie, die ich nachts bis hoch in mein Schlafgemach hörte, die von Gennaro waren. Was sollte ich tun, wenn sie ihn da unten festhielten? Ihn folterten, quälten.
Ich wollte etwas tun, doch zum ersten Mal hatte ich keine Möglichkeit. Ich konnte ihm nicht helfen, so sehr ich auch wollte. Die Wachen waren überall. Sie alle zu töten, war diesmal keine Option.
Zum ersten Mal seit zwei Nächten hatte ich wieder schlafen könne. Vielleicht weil diesmal die Schreie verstummt waren. Ob dies ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, war ungewiss.
Am liebsten wäre ich in meinem warmen Bett liegen geblieben. Für immer.
Doch schon kurze Zeit nachdem ich aufgewacht war traten die Zofen hinein badeten mich, bekleideten mich und fütterten mich.
Das also würde mich ab dem heutigen Tage erwarten. Elende Zofen, die mir jeden Griff abnahmen, mich umsorgten und pflegten wie ein kleines Kind.
"Wie fühlt ihr euch?", fragte mich eine der Dienerinnen während sie meine Haare zu einer eleganten Frisur hochsteckte.
"Ich bin aufgeregt.", erwiderte ich trocken. Ich war alles, doch aufgeregt war ich nicht. Doch es war wohl die Antwort, die ein jeder erwartete.
Wie hätten sie wohl reagiert hätte ich die Wahrheit gesagt? Ich fühlte mich elendig, wollte wegrennen, den König erschlagen, der angewiesen hatte, einen meiner Männer zu foltern.
Wenn Gennaro tatsächlich sterben sollte, würde ich meinen Hass vielleicht nicht mehr zügeln können.
Ich mochte diesen blassen Mann, auf eine unerklärliche Art und Weise. Er war ein guter Mensch, so ehrlich und liebevoll. So aufgeweckt und herzlich. Er wirkte auf mich wie ein treuer Hund, der zur Bestie werden konnte, wenn er es wollte.
"Keine Sorge.", antwortete die Zofe und band den Schleier fest, "Es wird eine schöne Feier werden. Noch nie hat der König eine solch große Feierlichkeit auf die Beine gestellt. Auf der ganzen Welt redet man davon."
Was dachte sie nur? Das diese Worte meine angebliche Aufgeregtheit gemildert hätten?
Mit einem Wink schickte ich sie aus dem Zimmer. "Ihr seid jetzt fertig.", sagte ich und sah zu wie sie alle schnell hinaus tänzelten.
Ich betrachtete mich im Spiegel. Das Kleid war wunderschön geworden. Es saß perfekt und leuchtete so weiß wie der Schnee. Weicher Samt, Verzierungen und Rüschen waren eingewebt und verleihten dem Stoff eine Schönheit, die sich zu tragen lohnte.
Ich atmete tief aus und besah das Zimmer hinter mir in dem Spiegel. Ich würde es wohl nie wieder sehen. Jetzt, wo ich im Bette des Königs schlafen musste.
Mir wurde unwohl bei dem Gedanken. Für wahr, er war immer gut zu mir gewesen, doch ich vergaß nicht, was er alles getan hatte, was er vielleicht noch tun würde.
Es klopfte an die Tür. "Die Feierlichkeiten beginnen in einer Stunde.", sagte eine alte Dienerin, "Die Schneiderin ist da. Sie vergaß etwas am Kleid. Dürfen wir ihr den Einlass gewähren?"
"Ja!", schrie ich etwas zu schnell.
Mein Herz raste wie wild. Mein Brustkorb hob und senkte sich so schnell wie mein Herzschlag.
Endlich. Endlich würde Klarheit ins Dunkle kommen. Endlich würde ich wissen, wer da unten in den nassen, kalten Verließen verrottete.
Die Tür öffnete sich und das schöne Gesicht von Mia lugte mir entgegen.
"Schnell!", sagte ich, "Wen haben sie geschnappt? Ist es Gennaro?"
Verwundert sah Mia mich an. "Was meint ihr?"
Wie, um Himmels willen, konnte sie nicht wissen, was ich meinte?
"Bei eurem Angriff haben die Wachen einen unserer Männer gefangen genommen! Wer ist es?"
"Ihr irrt euch.", antwortete Mia schnell, "Alles verlief nach Plan, Aurora. Ein jeder von uns ist in Sicherheit."
War das ihr Ernst? Oder belog sie mich, um mir keine weiteren Sorgen zu bereiten. Doch so war Mia nicht. Sie hasste Lügen, sie hatte Lügen schon immer gehasst.
"Wurde euch etwa gesagt, es gäbe Gefangene?", fragte Mia.
Ich nickte schnell. "Sì, der Hauptmann redete von einem."
"Nun, er wird den nächst besten Bettlersjungen ergriffen haben.", meinte sie, "Und vorgeben er wäre einer der unseren um vor dem König besser dazustehen und nicht bestraft zu werden."
Ich nickte und setzte mich um mich zu beruhigen.
"Doch warum fragtet Ihr ausgerechnet nach Gennaro?", meinte sie schief grinsend.
Jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt um über Banalitäten wie solche zu reden.
"Wolltet ihr nicht mein Kleid fertig stellen?", fragte ich keck.
Mia lachte auf und nahm einige letzte kleine Änderungen vor. Dann verabschiedete sie sich, traurig darüber, nicht beim Fest dabei seien zu dürfen und trat hinaus.
Pünktlich, als die Sonne am höchsten Punkt stand, wurde ich abgeholt und hinab vor die prachtvollen Türen des großen Saals geführt. Ich hörte das Stimmengewirr darin, hörte das adlige Gelächter, das adlige Gesäusel von prunkvollen Heeresführern, Grafen, Fürsten und Lehnsherren.
Plötzlich ertönte wohlklingende Musik, das Gemurmel verstummte und die Diener öffneten die großen Türen.
Bei Gott, es war wie im Himmel. Wohin ich sah, sah ich Gold, Farbenpracht und Prunk. Ein langer roter Teppich führte bis zu der Erhöhung auf der der König geduldig wartete.
Er war ein attraktiver Mann, sah man einmal von den Bösen Zügen in seinem Gesicht ab. Die Jugend machte ihn attraktiv. Etwas, dass man selten sah bei all den alten, reichen Säcken.
Ich atmete tief durch und schritt zum Takt der Musik nach vorn zu meinem Verlobten so wie es die Ehre und der Anstand geboten. Still schweigend stellte ich mich gegenüber ihm und mied seinen Blick, der mich mit einer Gier und einer Freude verfolgte, wie ich sie nicht erwidern konnte.
Der Pater sprach sein Gebet, sprach seine Floskeln, doch ich hörte kein Wort, nahm nichts mehr um mich herum wahr.
Das war das Ende, dachte ich bei mir. Tatsächlich heiratete ich gerade den Mörder meiner Eltern. Ich ging ein ewiges Bündnis mit ihm ein. Mit dem Mann, der mir alles nahm, was mir lieb und teuer war.
Plötzlich schwieg der Pater und der König stieß ein freudiges "Ja" hervor. Wieder redete der Pater und schwieg erneut. Auch ich sagte "Ja" ohne vorher gehört zu haben zu was ich eigentlich gerade zustimme. Ich war zu gefangen in meinen Gedanken, meiner Trauer.
Es war ein harter Weg, der mir vorbestimmt war. Doch hinter mir rollte ein riesiger Brocken. Es gab keinen Ausweg, ich konnte nicht zurück.
"... bis das der Tod euch scheidet." waren die letzten Worte des Paters.
Oh der Tod wird uns scheiden, dachte ich. Schon sehr bald.
Der König griff nach meiner Hand und führte mich hinaus zu dem Balkon seines Schlosses. Das Volk jubelte uns zu. Die reichen sowie die Armen. Sie alle versuchten einen Blick zu erhaschen von der neuen Königin Venezias. Mir. La regina di Venezia.
"Diese Hochzeit tut den Menschen gut.", flüsterte der König während er mit mir den Bürgern zuwinkte, "Es ist eine willkommene Abwechslung in ihrem Leben."
Ich nickte nur, das erste Mal seit langem wieder unfähig vor ihm zu sprechen. Es war besiegelt. Mein Schicksal war besiegelt. So viel schneller als ich es hätte vorher sehen können.
Es war eine lange Nacht. Wir tanzten, jubelten und tranken nur mit den Wichtigsten Familien Italiens. Erst als die Sonne aufging verabschiedeten sich die ersten Gäste. Innerlich hoffte ich die Feierlichkeiten würden niemals enden, damit ich niemals im Bette des Königs landen musste. Doch so später es wurde, desto mehr gingen und desto freudiger verhielt sich der König.
Ich war überrascht, er hatte sich gemäßigt und kaum Alkohol getrunken. Ich hingegen viel zu viel, in der Hoffnung mir würde es dann etwas besser gehen, doch ich dachte nur noch mehr über das Kommende nach und wurde noch emotionaler.
Dann, plötzlich, nahm er mich an der Hand, zog mich zu sich und hob mich hoch.
"Wir sollten uns jetzt ein wenig ausruhen, meint ihr nicht auch?"
Ich nickte widerwillig, roch seinen Atem mit dem Duft von Alkohol.
Er trug mich empor bis zu seinem Gemach, welches ich bisher noch nicht erblicken durfte. Erst nach der Türschwelle ließ er mich vorsichtig zu Boden gleiten.
Es war ein schönes Zimmer. Rund und groß. Ein riesiges Bett stand an einem Ende des Raumes, ein großer Kamin am anderen. Portraits schmückten die Wände und  altertümliche Zeichnungen die Decke.
So sehr ich auch versuchte Zeit zu schinden indem ich mir alles ganz genau ansah. Es gelang nicht.
Er griff nach meinen Hüften und zog mich näher zu sich. Seine Lippen waren nah an meinem, ich konnte spüren wie er Luft holte. Sein Bart war gestutzt, kaum noch sichtbar. Seine schwarzen Augen betrachteten die meinen.
"Wenn ihr nur ahnen könntet, wie sehr ich mich darauf gefreut habe.", hauchte er leise in mein Ohr.
Er begann zärtlich meinen Hals zu küssen und presste mich damit sanft gegen die Wand, die ich noch wenige Sekunden vorher für unglaublich interessant empfunden hatte.
Liebevoll löste er die Striemen an meinem Kleid und zog es mir aus. Er nahm mich hoch, ich umklammerte ihn mit meinen Beinen um nicht zu fallen.
 Dann schmiss er mich aufs Bett und legte sich auf mich. Er küsste mich, küsste meinen Busen, meine Waden, meinen Bauch, meine Handflächen.
Ich spürte die Beule in seiner Hose, spürte seine Lust. In der seinen fand ich die meine. Ich schloss meine Augen und ließ mich darauf ein. Es musste getan werden, warum also sollte ich es nicht genießen? Es brauchte nur die Vorstellung um einen guten Beischlaf daraus zu machen.
Ich ließ es über mich ergehen. Stunden um Stunden. Beinahe einen Tag lagen wir beieinander, lediglich versorgt von einigen Krügen Wasser, die die Zofen uns ab und an brachten, kleinen Tellern mit Früchten und der bloßen Liebe, die Emilio ganz eindeutig empfand.
Ich wusste nicht was genau ihn dazu brachte, mich so anzuhimmeln, wie er es tat, doch es fühlte sich gut an. In jeder Hinsicht. Es war das Ziel, das ich von Anfang an erreichen wollte und außerdem kannte ich solcherlei Zärtlichkeiten gegenüber mir nicht. Ich wurde akzeptiert, respektiert, zum ersten Mal in meinem Leben.
Liebevoll strich er über meinen nackten Busen. "Euch wird es gut ergehen.", sagte er, "Ich werde euch ein Leben schenken, um das euch ganz Italien beneiden wird."
"Und ich", erwiderte ich, "werde eine Ehefrau um die euch die ganze Welt beneiden wird."
Er lächelte und küsste meine Wange. "Das seid ihr schon jetzt, Tenerezza. Die schönste aller Ehefrauen. Der Mond erblasst bei eurer Schönheit und die Sonne stirbt vor Scham, cuore mio."
Meine Wangen nahmen eine rote Farbe an bei solch lieblichen Worten. Wer war dieser Mann, wenn er liebte? Er war nicht mehr der barbarische König in diesem Bett. Er war Emilio Cafissi. Der zärtlichste aller Männer.
"Ich hörte Gerüchte.", sprach ich leise und fuhr durch seine Haare, "Gerüchte von einer Ernte."
Es war riskant, es anzusprechen, doch ich konnte nicht mehr länger warten. Ich wollte Antworten, wollte endlich Wissen.
Er sah mich verwundert an. "Nun, was habt ihr gehört?"
"Ich hörte ihr habt an einem Tag all eure Widersacher ermorden lassen, samt ihren Familien, ihren Kindern? Ist es wahr? Seid ihr so weit gegangen um Angst und Furcht zu sähen?"
Emilio blickte mir tief in die Augen. So treu und ehrlich wie es niemals zuvor jemand getan hatte.
"Ja, ich ließ sie töten.", erwiderte er, "Jeden einzelnen von ihnen. Doch nicht weil sie meine Widersacher waren sondern weil sie mir alles nahmen, was ich einst geliebt hatte. Es war Rache, nicht mehr und nicht weniger. Sie sollten leiden, wie ich einst gelitten hatte. Jetzt weiß ich, dass es sinnlos war. Ein sinnloser Akt, der nicht das Leben derer zerstörte, die es verdient hatten, sondern deren Nachkommen, die niemals auch nur die Chance hatten etwas böses zu tun. Mir ist wohl bewusst, dass diese Gruppe von Revolutionären mir noch große Schwierigkeiten machen wird. Sie sind augenscheinlich die Überlebenden. Ich kann sie verstehen, kann ihren Hass, ihre Wut verstehen. Auch ich fühlte so als ich jünger war. Sie sollen tun, was sie für richtig halten, doch ich hoffe inständig, dass sie nicht den selben Fehler machen wie ich es einst tat. Denn dann tragen sie das Gewicht ihres Gewissens auf den Schultern. Es wird sie zerstören, kaputt machen, zerfressen. Ein Schicksal, dass ich niemanden wünsche, nicht einmal meinem größten Feind."

Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt