Ich hörte sie rufen. Je näher wir kamen, umso lauter vernahmen wir die pöbelnden Schreie der Bürger. Die Wachen taten sich schwer sie in Schach zu halten. Ja, es waren tausende. So unglaublich viele, dass ich es nicht fassen konnte. Beinahe das ganze Volk von Venezia hatte sich eingefunden.
Egal ob alt, krank oder viel zu jung. Es scherte sie nicht ob sie kampffähig waren oder nicht. Sie waren da um zu helfen und das zu geben was sie konnte, um der Nachwelt ein besseres Leben zu schenken.
Wie in Zeitlupe trat ich auf sie zu, dicht gefolgt von meinen Männern. Wir arbeiteten uns durch die Menge bis vor zu den Mauern. Es waren wenige Wachen. Ich gab meinen Brüdern einen Wink woraufhin sie lautlos jene töteten, die außen postiert waren. Sie hatten keine Chance. Zu schnell blitzten unsere Messer ihnen aus der Horde entgegen. Zu schnell als dass sie sie sehen hätten können.
Ich erhob mich, kletterte auf eine Säule an dem großen Tor währenddessen meine Männer es aufzubrechen versuchten.
"Jeder einzelne von euch!", schrie ich anerkennend in die Menschenmasse, "ist ein wahrer Held! Es wird Zeit, dass wir diesem König geben, was er verdient. Er muss leiden, so wie wir gelitten haben! Jahr um Jahr um Jahr. Und heute ist der Tag gekommen. Der Tag an dem sich Venezias stolzes Volk endlich erhebt! Es ist Zeit zu geben und zu nehmen!"
Jubelnde Zurufe der Leute erfüllten meine Ohren. Ein lautes Krachen ertönte und die Tore öffneten sich. Die Menschen stürmten hinein in die königlichen Ländereien, so wie ich es immer in meinen Träumen gesehen hatte. Sie zertrampelten den Rasen, rissen nieder was sie konnten und töteten die Wachen, die ihnen in den Weg kamen mit Leichtigkeit.
Ich gab meinen Männern ein Zeichen woraufhin sie mir empor zum Palast folgten.
Wir rannten so schnell wir konnten, vorbei an den sich bekriegenden Menschen.
Um die wenigen Wachen, die uns aufhalten wollten, kümmerten sich meine Brüder. Ich lief zielgerichtet in Richtung der großen Türen, die in den Ballsaal führten ohne mich von etwas beirren zu lassen.
"Schneller!", brüllte ich und stieß bettelnde Diener und Mägde bei Seite.
Endlich kamen wir an den Türen an, die ich geräuschvoll eintrat.
Ja, tatsächlich hatte ich mit einer Falle gerechnet, mit irgendwas, doch alles was auf uns wartete, waren die adligen Gäste, gekleidet in ihre schönsten Gewänder, die uns mit großen Augen entgegenblickten. Augenblicklich war der Raum schweigend still und die kompletten Gäste sahen uns ängstlich an als hätten sie rein gar nichts davon geahnt. Es war suspekt.
Die Gäste machten uns Platz, sammelten sich zaghaft an den Wänden der Halle, so dass sich ein freier Gang bildete, der direkt zum Thron des Königs führte.
Wütend sah er mich an. "Ihr wagt es einzudringen? Wo bleibt eure Totenwache, ihr gottloses Geschöpf?"
War das wirklich, was er dachte? War er tatsächlich der Annahme ich würde trauernd irgendwo am Brenta sitzen? War er sich sicher gewesen, er wäre am heutigen Abend dem Kampf ferngeblieben.
"Ihr nennt mich gottlos?", erwiderte ich laut, "Völlerei! Hass! Bosheit! Rache! Gewalt! Verleugnung des Heiligen Geistes! Lieblosigkeit! Mord! Nun nennt mich erneut gottlos, denn jene Sünden, die ich vortrug, sind die euren."
"Und die euren.", sagte er scharf und erhob sich von seinem mächtigen Thron, "Ihr tatet gleiches um meine Absetzung zu erzwingen. Dabei gab mir Gott höchst persönlich die Krone. Er wollte das es passierte."
"Er sah zu und lachte über euer törichtes Verhalten, euer Denken, ihr hättet gewonnen als ihr den heiligen Thron mit eurem Gesäß verseucht habt. Nein, er wählte euch und stimmte zu. Eine neue Prüfung für die Bürger von Venezia, dachte er sich. Eine Prüfung, derer wir zu lange nicht gerecht geworden sind. Doch nun ist es an der Zeit. Es is an der Zeit die Grausamkeit aus Italien zu verbannen!"
Er kam näher, noch hielt er seine Wachen zurück, doch ich sah wie meine Männer unruhig umher blickten, um jede kleinste Bewegung ausfindig zu machen. Einen Hinterhalt hätte ich diesem König zugetraut.
"Ich werde euch ausweiden!", schrie er wie wild, "Meine Männer sind in der Überzahl. Ihr habt nichts außer die Liebe des Volkes und was nützt diese Liebe? Also wählt einen anderen Weg. Geht so lange ihr noch könnt und gebt mir meine Frau und ihr werdet so lange leben wie ich euch nicht finde."
Ich gierte nach dem Ausdruck von Schmerzen in seinem Gesicht. Ich wollte ihm zeigen was es hieß zu verlieren, was man einst liebte.
"Die Garde des Königs gegen ganz Venezia? Ich glaube nicht, dass ihr in der Überzahl seid. Ihr mögt starke Panzerung und Waffen haben, doch uns treibt der Hass und der Drang nach Umsturz. Eine weitaus wichtigere Triebkraft."
Er sah mich verwirrt an, warum nur begriff er nicht? Warum nur handelte er nicht? Hatte die Sorge um die Königin ihn so stark verblendet?
Er stampfte hin zu einem Fenster und sah was er wohl vorher nicht gewusst hatte. Sein Mund öffnete sich und seine Augen wurden klein und ängstlich. Ich konnte nur ahnen, welches Schauspiel sich dort abspielte. Eine wütende Meute, die gegen die wenigen Männer des Königs kämpften.
"Warum teilte mir niemand davon mit?", schrie er wutentbrannt.
"Ich sah auch einige eurer Wachen mit dem Symbol der Rose, Emilio.", sprach ich, "Ein jeder kehrt euch den Rücken und diejenigen, die es nicht tun, ereilt das selbe Schicksal wie euch."
Wütend fasste er sich durch die Haare und zog sein Schwert.
"Ihr werdet mir nicht nehmen, was ich mir erarbeitet habe!", brüllte er, "Ihr seid wie eine Krankheit, die zwar Opfer fordert, doch dennoch vorbei geht."
"Nein, das seid ihr.", antwortete ich, "Und heute ist der Tag an dem ich ein für alle mal ein Gegenmittel gegen euch finde, Signor Cafissi. preparatevi a morire?"
Auch ich zog mein Schwert und schritt auf ihn zu. Ich konnte sein Kampftalent nicht einschätzen, ich hatte ihn nie zuvor ein Schwert führen sehen, doch das konnte gutes bedeuten. Er verstand sich mehr auf Lügen und Manipulation als auf direkte Konfrontationen.
"Ergreift sie!", flüsterte er hasserfüllt.
Die Wachen wollten auf uns zu rennen, doch just in diesem Moment schwärmten die Bürger Venezias hinein in den Saal. Sie ließen respektvollen Platz um mich herum, doch alles andere, dass ihnen in den Weg fiel erledigten sie in Windeseile.
"Lasst ihn leben!", schrie ich.
Einige nahmen ihn gefangen, fesselten ihn und liefen auf mich zu. Die anderen zelebrierten ein Schlachtfest. Es war ein heilloses Durcheinander. Sie töteten alles und jeden. Massakrierten die adligen Damen und stachen den feinen Herren viele Male in die Brust. War es sinnlose Gewalt? Mein Verstand hatte mich wohl verlassen. Irgendwann einmal würde ich es vielleicht bereuen ein solches Gemetzel zugelassen zu haben. Doch in jenen Moment scherte es mich nicht. Bekamen sie nicht lediglich das, was sie verdienten? Zahlten sie jetzt nicht endlich den Preis, den sie seit Jahren hätten zahlen müssen?
Ein Jeder, ein jeder Adlige in ganz Italien sollte sehen, was sich zugetragen hatte. Sie sollten erzittern unter der Macht des Volkes. Sie sollten an unserem Beispiel lernen und die Willkür und die Gewalt beenden.
Ich packte Emilio an seinen kurzen Haaren und schliff ihn hinaus, weg von den wütenden Bürgern, aus dem Schloss in unser Hauptquartier. Es war wieder sicher. Am Ende dieser Nacht würde wohl niemand mehr übrig sein, der uns hätte verfolgen können.
Und so schritten wir in der Dunkelheit durch die Stadt. In unseren Händen das Leben des Königs und in unserem Rücken die Schreie, der Menschen, die lodernden Feuer, die nieder brannten, was Emilio einst als seinen Besitz bezeichnete.
Das war die Revolution. Das waren die wohl letzten Schritte in eine neue Welt.
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Aurora Pollina - die maskierte Kriegerin
Historical FictionAurora Pollina ist die Tochter eines Bauern im italienischen Mittelalter. Als ein neuer König die Macht ergreift versinkt ihr Land in Armut und treibt die Menschen zur Hungersnot. Trotz ihres mangelnden Einflusses versucht sie schon bald den König...