Matteos Plan

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Matteo

"Zu viele Jahre sind vergangen.", sagte ich zu der schwarzhaarigen Schönheit gegenüber mir, an der großen Tafel in meiner Villa. Valeria war eine Spanierin, mit der mich Emilio vor einigen Jahren vermählte, um gewisse Kontakte zu pflegen. Liebe zwischen uns war es nicht, doch trotzdem konnten wir uns gut leiden. Wir gewährten uns gegenseitig Seitensprünge und standen uns stets loyal gegenüber. Sie war wie eine Schwester für mich, bereit an meiner Seite gegen den König zu kämpfen, der sie aus den Händen ihrer geliebten Familie riss.
"Was meint ihr?", fragte sie und nahm noch einen Schluck Wein zu sich.
"Es sind zu viele Jahre vergangen, in denen Aurora vergaß. Sie vergaß die Schmerzen, die sie bei dem Mord an ihren Eltern empfunden hatte. Sie vergaß das Leid, das sie erfuhr als sie Tag für Tag hungern musste. Sie stellt sich zwischen uns, verteidigt den König.", erwiderte ich.
"Wie rechtfertigt sie ein solches Handeln?", fragte Valeria.
"Sie hofft auf einen kampflosen Umsturz, fürchte ich. Sie will den König dazu bringen schnell genug das Weite zu suchen. Doch ehrlich gesagt ist auch das nicht, was wir wollen. Das Volk muss seinen Kopf rollen sehen, es muss sich zusammen schließen und kämpfen. Erst dann wird eine solche Schandtat nicht noch einmal geschehen."
"Ich verstehe", antwortete sie, "Ich gebe euch Recht. Gibt es einen Umsturz ohne das das Volk etwas opfern muss, wird es bald wieder von den Adligen herumgeschubst."
"Doch sie ist unsere Anführerin. Dagegen kann ich nichts machen. Sie ist nicht nur für unsere Männer ein Symbol, sondern auch für das gesamte Volk. Sie muss es wollen."
Valeria begann zu lächeln. "Nun ihr nanntet die Lösung doch bereits.", hauchte sie verführerisch, "Erinnert sie wieder daran. Erinnert sie, welch Barbar der König ist. Zeigt ihr zu was er im Stande ist und wie sehr er ihr weh tun kann."
Ich sah sie nachdenklich an. Wie sollte ich so etwas anstellen? Wie konnte ich all den Hass wieder in ihr wecken?
"Ihr denkt noch nach?", fragte sie und schmunzelte, "Was wohl ist das stärkste Gefühl von allen? Das Gefühl, dass am leichtesten in Hass übergehen kann."
"Die Liebe.", flüsterte ich und sah den blassen blondhaarigen Gennaro vor mir. Ich hatte Gerüchte von ihm und Aurora gehört. Öffentlich gaben sie sich stets als Kumpanen, als Mitstreiter, doch die Leute flüsterten von langen Besprechungen zu zweit und von liebenden Blicken, wenn sie sich unbeachtet wähnten. Jedem Menschen erkannte man früher oder später die Liebe an. Selbst jenen, die es zu verstecken versuchten.
"Da gibt es einen Mann.", sagte ich, "Die Männer munkeln, dass er ihr den Kopf verdreht haben soll."
"Liefert ihn aus.", fauchte Valeria beinahe so gefühlslos wie immer, wenn es ums Geschäft ging, "Der König soll ihn vor ihren Augen köpfen und ihr Hass wird so unschürbar sein wie das größte Feuer dieser Welt, so unzähmbar wie die weiten Ozeane oder die wilden Tiere."
Ich schluckte schwer. Würde ich nicht zu weit gehen? Galt eine solche Tat nicht schon als Verrat? Gennaro war ein guter Kämpfer. Ich würde der Fratellanza schaden, doch würde ich ihr vielleicht auch helfen? Würde ich ihr mehr helfen als schaden?
Doch es war was wir brauchten. Auroras Zorn. Wenn es so verlaufen würde wie geplant würde schon in einigen Tagen eine neue Sonne über Venezia stehen. Eine, so viel heller und schöner als zuvor.
"Doch wenn ich es tue.", sagte ich leise als ob uns jemand hören konnte, "So darf sie niemals etwas darüber erfahren. Niemals. Denn dann sind wir alle tot. Dann wird sich ihr Hass gegen uns wenden und nicht gegen den König. Dann wird sie ganz auf seiner Seite stehen und die Revolution beenden bevor wir es verhindern können."
Valeria nickte. "Ihr habt Recht. Darum werde ich mich kümmern. Ich werde jemanden schicken, der den Wachen mitteilt, wo dieser Gennaro zu finden ist. Niemand wird seinen Verrat mit euch in Verbindung bringen, geschweige denn mit einem anderen eurer Männer."
Dankend nickte ich ihr zu und beschloss damit das größte Vergehen in meinem wohl ganzem Leben. Doch ich tat es für das Volk, ich tat es für die schnelle Absetzung des Königs, ich tat es für meine tote Familie, ich tat es für die ganze Welt.

Aurora Pollina - die maskierte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt